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Gesiebte Tradition

Der hl. Liborius war im 5. Jahrhundert Bischof und Bürgermeister von Le Mans -ein Amts- und Zeitgenosse des hl. Martin von Tours, und wenn man den Berichten Glauben schenken kann, ähnlich wirkungsmächtig und erfolgreich. Seit der Übertragung seiner Reliquien aus Westfranken nach Ostfranken zu den gerade befriedeten und getauften „Sachsen“ von Paderborn im Jahr 836  wird der Liboritag dort mit großer Anteilnahme gefeiert - es ist, wie wenn Weihnachten und Ostern auf einen Tag fallen, Kirchentag von oben und von unten noch dazu und im weltlichen Paderborn ein Volksfest reif für einen Eintrag im Buch der Rekorde.

Kirchlicherseits holt man für das neuntägige Fest alles hervor, was die Schatzkammern der Tradition zu bieten haben: Zu Beginn wird der Schrein im Dom ausgesetzt - geschmückt mit dem Ehrenzeichen eines Flabellum, das sich in Rom keiner mehr aus der Versenkung zu holen traute. Am Sonntag tragen zünftige Bruderschaften den goldenen Schrein mit den Reliquien des Heiligen in einer Prozession durch die Stadt. Für die Pontifikalvesper gibt es ein eigenes aus dem Spätmittelalter stammendes musikalisches Programm.  Nach dem Libori-Triduum wird der Schrein am Dienstag feierlich wieder beigesetzt - das Fest geht weiter. 

Während der neun Tage gibt es Pontifikalämter für die verschiedensten Gruppen und Intentionen: Am ersten Sonntag der Ortsbischof für alle, am Montag mit dem Bischof von Le Mans für die Völkerverständigung und ein weiteres für die Frauen. Am Dienstag Pontifikalamt für das Landvolk (ohne Differenzierung nach Frauen und Männern - die sind wohl noch nicht so weit). Am Mittwoch eines für die Missionarinnen und Missionare. Donnerstag Pontifikalamt für „die ältere Generation“ (die sind wohl schon darüberhinaus). Am Freitag gibt es gleich zwei Pontifikalämter: Zunächst eines für die Ministrantinnen und Ministranten, am Abend noch eins für die Jugendlichen. Samstags haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Caritas ihr Pontifikalamt, am zweiten Sonntag die Familien.

Da lag es nahe, daß die in Paderborn durchaus zahlreich vertretenen Anhänger der überlieferten Liturgie ein Gesuch an das Bistum stellten, man möge auch für sie ein Pontifikalamt im alten Ritus ausrichten, also in dem Ritus, der nach Summorum Pontificum eine von zwei Formen des römischen Ritus darstellt und Anspruch auf gleiche Anerkennung und Wertschätzung hat. Die Antwort des zuständigen Amtswalters (hier eine ausführlichere Darstellung) kam im besten Kanzleistil und verfügte nach Hinweis auf die behauptete Sättigung des Grundbedarfs: „...Von da­her er­scheint mir das An­ge­bot an hl. Mes­sen in der außer­or­dent­li­chen Form des römi­schen Ri­tus in der Li­bo­ri­wo­che mehr als aus­rei­chend zu sein und kei­ner Er­wei­te­rung durch die Fei­er ei­nes Pon­ti­fi­kal­am­tes zu bedürfen.“

Nein, das ist kein Skandal und bestenfalls eine milde Form von Diskriminierung. Aber es ist ein weiteres Indiz dafür, daß die Funktionärskirche längst jedes inhaltliche Verhältnis zur Tradition (und nebenbei auch zum geltenden Recht) verloren hat. Die Tradition ist eine Abstellkammer, aus der man hervorholt, was man gerade brauchen kann, und in der man verstauben lässt, was den Tagesbedürfnissen zu widersprechen scheint. Und dazu gehört eben auch die Form der Liturgie, in der die Paderborner 1000 Jahre lang das Fest ihres Heiligen begingen. Wer sich dazu bekennt, kann bestenfalls auf Zuteilung des Grundbedarfs hoffen - von der anderswo demonstrierten Fülle, von Entgegenkommen und Empathie bleibt er ausgeschlossen.

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