Tradition und Aggiornamento
- Details
- 05. Februar 2017
An Dutzenden Mauern und Plakatwänden Roms erschienen gestern früh Plakate, die Papst Franziskus mit seinem gewinnendsten Lächeln zeigten, darunter in römischem Dialekt eine Aufschrift: „Heh Franz – Du verpaßt den Gemeinschaften Kommissare, feuerst Priester, köpfst den Malteserorden und die Franziskaner der Immakulata, mißachtest Kardinäle – wo steckt eigentlich deine Barmherzigkeit?“
Messerscharf schlossen daraus Qualitätsjournalisten, daß dahinter wohl „konservative Kreise der Kurie“ stecken müßten. Was sie natürlich wieder einmal nicht wissen: Solche Anschläge gehen auf die lange Tradition der „pasquinata“ zurück, mit denen die Bürger Roms seit dem Mittelalter durch anonyme Anschläge an öffentlichen Plätzen ihren Unmut äußerten: Meist über zu hohe Steuern oder Korruption und Heuchelei von Würdenträgern, im 18. und 19. Jahrhundert oft auch mit aufklärerischer und antiklerikaler Stoßrichtung gegen das päpstliche Stadtregiment und die Kirche allgemein.
Mit dem Ende des Kirchenstaates und dem Aufkommen einer Massenpresse geriet diese Form bürgerlichen Widerspruchs in Vergessenheit. Sie wurde erst in den letzten Jahren wiederbelebt – meist zu politischen Themen. Und nun also auch zum Papst, dessen traditionsfeindliches Gebaren bei vielen eher säkular eingestellten Römern Mißvergnügen auslöst, und sei es nur, weil der lukrative Papst-Gucken-Tourismus auch nicht mehr das ist, was er mal war.
Die römische Stadtverwaltung beeilte sich, die anscheinend mit Qualitätsklebstoff befestigten Ärgernisse zu entfernen oder zumindest zu zensieren – schließlich war es eine ungenehmigte Aktion, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Mit Hunderten von Handyphotos fanden die pasquinata dennoch schnell weltweite Verbreitung. Eine kleine Sammlung solcher Aufnahmen, der wir auch das oben gezeigte Belegstück entnehmen, bringt der Corriere della Sera auf seiner Internetseite.