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Zwei Reden - kein Vergleich

Am 18. April 2005 wandte sich Josef Kardinal Ratzinger in der Missa pro eligendo Romano Pontifice an die in der Peterskirche versammelten Kardinäle. In seiner Auslegung der Tageslesungen ging er dabei insbesondera auf das Verhältnis der Kirche zur Welt und zu der in Jesus Christus begründeten Wahrheit ein. Einige wesentliche Auszüge - hier der vollständige Text.

Es beginnt ein langes ZitatDie Barmherzigkeit Christi ist keine billig zu habende Gnade, sie darf nicht als Banalisierung des Bösen mißverstanden werden. Christus trägt in seinem Leib und in seiner Seele die ganze Last des Bösen, dessen ganze zerstörerische Kraft. Er verbrennt und verwandelt das Böse im Leiden, im Feuer seiner leidenden Liebe. Der Tag der Vergeltung und das Jahr der Barmherzigkeit fallen im Ostermysterium, im toten und auferstandenen Christus zusammen. Das ist die Vergeltung Gottes: Er selbst leidet in der Person des Sohnes für uns. Je mehr wir von der Barmherzigkeit des Herrn berührt werden, um so mehr solidarisieren wir uns mit seinem Leiden, werden wir bereit, »das, was an den Leiden Christi noch fehlt« (Kol 1,24), in unserem Leib zu ergänzen.

Gehen wir zur Zweiten Lesung über, zum Brief an die Epheser. (...)

Wir verweilen nur bei zwei Punkten. Der erste ist der Weg zur »Reife Christi«, wie es etwas vereinfachend im italienischen Text heißt. Dem griechischen Text nach müßten wir genauer von dem »Maß der Fülle Christi« sprechen, die zu erreichen wir gerufen sind, um wirklich Erwachsene im Glauben zu sein. Wir sollen nicht Kinder im Zustand der Unmündigkeit bleiben. Was heißt, unmündige Kinder im Glauben sein? Der hl. Paulus antwortet: Es bedeutet, »ein Spiel der Wellen zu sein, hin- und hergetrieben von jedem Widerstreit der Meinungen...« (Eph 4, 14). Eine sehr aktuelle Beschreibung!

Wie viele Glaubensmeinungen haben wir in diesen letzten Jahrzehnten kennengelernt, wie viele ideologische Strömungen, wie viele Denkweisen... Das kleine Boot des Denkens vieler Christen ist nicht selten von diesen Wogen zum Schwanken gebracht, von einem Extrem ins andere geworfen worden: vom Marxismus zum Liberalismus bis hin zum Libertinismus; vom Kollektivismus zum radikalen Individualismus; vom Atheismus zu einem vagen religiösen Mystizismus; vom Agnostizismus zum Synkretismus, und so weiter. Jeden Tag entstehen neue Sekten, und dabei tritt ein, was der hl. Paulus über den Betrug unter den Menschen und über die irreführende Verschlagenheit gesagt hat (vgl. Eph 4,14). Einen klaren Glauben nach dem Credo der Kirche zu haben, wird oft als Fundamentalismus abgestempelt, wohingegen der Relativismus, das sich »vom Windstoß irgendeiner Lehrmeinung Hin-und-hertreiben-lassen«, als die heutzutage einzige zeitgemäße Haltung erscheint. Es entsteht eine Diktatur des Relativismus, die nichts als endgültig anerkennt und als letztes Maß nur das eigene Ich und seine Gelüste gelten läßt.

Wir haben jedoch ein anderes Maß: den Sohn Gottes, den wahren Menschen. Er ist das Maß des wahren Humanismus. »Erwachsen« ist nicht ein Glaube, der den Wellen der Mode und der letzten Neuheit folgt; erwachsen und reif ist ein Glaube, der tief in der Freundschaft mit Christus verwurzelt ist. Diese Freundschaft macht uns offen gegenüber allem, was gut ist und uns das Kriterium an die Hand gibt, um zwischen wahr und falsch, zwischen Trug und Wahrheit zu unterscheiden. Diesen erwachsenen Glauben müssen wir reifen lassen, zu diesem Glauben müssen wir die Herde Christi führen. Und dieser Glaube – der Glaube allein – schafft die Einheit und verwirklicht sich in der Liebe. Dazu bietet uns der hl. Paulus – im Gegensatz zu den ständigen Sinnesänderungen derer, die wie Kinder von den Wellen hin- und hergeworfen werden – ein schönes Wort: die Wahrheit tun in der Liebe, als grundlegende Formel der christlichen Existenz. In Christus decken sich Wahrheit und Liebe. In dem Maße, in dem wir uns Christus nähern, verschmelzen auch in unserem Leben Wahrheit und Liebe. Die Liebe ohne Wahrheit wäre blind; die Wahrheit ohne Liebe wäre wie »eine lärmende Pauke« (1 Kor 13,1).


 

Gut 10 Jahre später hielt Papst Franzisks eine Ansprache zum Abschluss der Generalversammlung der Bischofssynode, in der er die Kritik an seiner Politik verurteilte und seine Vision einer vielgestaltigten Kirche vortrug. Auch hier nur einige besonders aussagekräftige Auszüge aus dem auf der Website des Vatikan gebotenen vollständigen Text:

Es beginnt ein langes ZitatWährend ich die Arbeiten der Synode verfolgte, habe ich mich gefragt: Was bedeutet es für die Kirche, diese der Familie gewidmete Synode abzuschließen? (...)

Es bedeutet versucht zu haben, die Wirklichkeit, besser noch: die Wirklichkeiten von heute mit den Augen Gottes zu sehen und zu deuten, um in einem historischen Moment der Entmutigung und der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und moralischen Krise, in dem das Negative vorherrscht, die Herzen der Menschen zu entzünden und mit der Flamme des Glaubens zu erleuchten.

Es bedeutet, allen bezeugt zu haben, dass das Evangelium für die Kirche eine lebendige Quelle ewiger Neuheit bleibt – ein Zeugnis gegen die, welche es „indoktrinieren" und zu toten Steinen machen wollen, mit denen man die anderen bewerfen kann.

Es bedeutet auch, die verschlossenen Herzen entblößt zu haben, die sich oft sogar hinter den Lehren der Kirche oder hinter den guten Absichten verstecken, um sich auf den Stuhl des Mose zu setzen und – manchmal von oben herab und mit Oberflächlichkeit – über die schwierigen Fälle und die verletzten Familien zu richten.

Es bedeutet bekräftigt zu haben, dass die Kirche eine Kirche der „Armen vor Gott" und der Sünder auf der Suche nach Vergebung ist und nicht nur eine der Gerechten und der Heiligen – ja, eine Kirche der Gerechten und der Heiligen, wenn diese sich als Arme und als Sünder fühlen.

Es bedeutet versucht zu haben, die Horizonte zu lichten, um jede konspirative Hermeneutik oder Verschlossenheit der Perspektiven zu überwinden, um die Freiheit der Kinder Gottes zu verteidigen und zu verbreiten, um die Schönheit der christlichen Neuheit zu übermitteln, die manchmal vom Rost einer archaischen oder einfach unverständlichen Sprache überdeckt ist.

Auf dem Weg dieser Synode haben die verschiedenen Meinungen, die frei – und leider manchmal mit nicht gänzlich wohlwollenden Methoden – ausgedrückt wurden, zweifellos den Dialog bereichert und belebt und so ein lebendiges Bild einer Kirche dargeboten, die keine „vorgefassten Formulare" verwendet, sondern aus der unversiegbaren Quelle ihres Glaubens lebendiges Wasser schöpft, um den Durst der vertrockneten Herzen zu stillen.

Und – jenseits der vom Lehramt der Kirche genau definierten dogmatischen Fragen – haben wir auch gesehen, dass das, was einem Bischof eines Kontinentes als normal erscheint, sich für den Bischof eines anderen Kontinents als seltsam, beinahe wie ein Skandal herausstellen kann – beinahe! –; was in einer Gesellschaft als Verletzung eines Rechtes angesehen wird, kann in einer anderen eine selbstverständliche und unantastbare Vorschrift sein; was für einige Gewissensfreiheit ist, kann für andere nur Verwirrung bedeuten. Tatsächlich sind die Kulturen untereinander sehr verschieden, und jeder allgemeine Grundsatz – wie ich sagte: die vom Lehramt der Kirche genau definierten dogmatischen Fragen – jeder allgemeine Grundsatz muss inkulturiert werden, wenn er beachtet und angewendet werden soll. Die Synode von 1985, die den zwanzigsten Jahrestag des Abschlusses des Zweiten Vatikanischen Konzils feierte, hat die Inkulturation beschrieben als die »innere Umformung der authentischen Kulturwerte durch Einbindung in das Christentum und zugleich die Einwurzelung des Christentums in die verschiedenen menschlichen Kulturen«. Die Inkulturation schwächt nicht die echten Werte, sondern zeigt deren wahre Kraft und ihre Authentizität, denn sie passen sich an, ohne sich zu verwandeln, ja, sie bewirken gewaltlos und stufenweise eine Umformung der verschiedenen Kulturen.“

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