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Eine Rituskirche für die Lateiner

Die berechtigte Entrüstung über die heidnischen Praktiken auf der Amazonas-Synode soll nicht den Blick darauf verstellen, daß dort Positionen formuliert und Pläne entwickelt worden sind, die längerfristig erhebliche strukturelle und rechtliche Auswirkungen auf die ganze Kirche haben können. Neben den im Zentrum des allgemeinen Interesses stehenden Themen „Ämter für Frauen“ und „Lockerung des Zölibats“ fällt hier insbesondere das Plädoyer des einflußreichen Kurienerzbischofs Rino Fisichella für einen amazonisch-katholischen Ritus ins Auge, das dieser am 19. des Monats bei der Vorstellung der Ergebnisse der Arbeitsgruppen vorgetragen hat. Zum einen wegen der verheerenden Auswirkungen auf die Liturgie nicht nur in Amazonien, die dabei nach dem Präzedenzfall der Pachamama-Auftritte zu befürchten wären. Zum anderen aber auch wegen weitreichender Vorschläge für die rechtliche Stellung einer künftigen Amazonischen Kirche, die der Erzbischof in diesem Zusammenhang vorgetragen hat.

Die Arbeitsgruppe Fisichellas hat sich nämlich nicht auf den Vorschlag eines lokalen Ritus beschränkt, sondern eine eigene Rituskirche nach dem Vorbild der mit Rom unierten Ostkirchen ins Gespräch gebracht. Solche Rituskirchen haben nicht nur ihre eigenen liturgischen Bücher, sondern auch eine eigene Synodalstruktur und vor allem – wie Fisichella ausdrücklich anführte – auch ein eigenes Kirchenrecht, nach dem z.B. in den Ostkirchen verheiratete Männer die Priesterweihe empfangen können. Sie stehen zwar hinsichtlich der Lehre in Einheit mit dem Papst, sind aber in allen inneren Angelegenheiten weitgehend selbständig, bis einschließlich ihrer Synoden und Bischofswahlen, die der Bestätigung durch den Papst bedürfen. Und sie sind für ihre Tätigkeit nicht auf die Erlaubnis der Bischöfe anderer Rituskirchen angewiesen.

Die Idee von der amazonischen Rituskirche hat sofort den begründeten Einwand des Münchener Liturgiewissenschaftlers Haunerland provoziert, daß eine Rituskirche eine bestehende Gemeinschaft mit eigener Tradition und eigenem Ritus voraussetzt und kein Werkzeug sein könne, einen solchen Ritus und eine solche Gemeinschaft zu schaffen. In der Wiedergabe von katholisch.de:

„Ein solcher Ritus könne nicht "einfach in Rom konzipiert und errichtet" werden, sondern es "bedürfte in vielen Bereichen des kirchlichen Lebens einer eigenständigen Aufbauarbeit und Entwicklung vor Ort". Denn trotz "aller Innovationen und partiellen Brüche entstehen liturgische Ordnungen immer auf der Basis älterer gottesdienstlicher Praxis".

Von daher sei die angestoßene Debatte zumindest verfrüht.

Dem ist voll zuzustimmen. Bemerkenswert am Vorschlag der Gruppe Fisichellas und der Resonanz darauf ist jedoch, daß der Gedanke einer eigenen Rituskirche überhaupt ins Gespräch gebracht und nicht von vornherein als abwegig zurückgewiesen wurde. Daher wollen wir für die Errichtung einer neuen Rituskirche einen Kandidaten benennen, der alle von Haunerland genannten Bedingungen quasi aus dem Stand erfüllt: Die Gesamtheit der der überlieferten Lehre und Liturgie der katholischen Kirche verpflichteten Gemeinschaften von Pius über Petrus bis zu den kleineren Gruppierungen. Eine Kirche „sui iuris“ des Lateinsch-Katholischen Ritus in Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom. Hier geht es weiter

Natürlich spricht nichts dafür, daß dieser Vorschlag ebenso wohlwollend aufgenommen würde wie die amazonische Variante – entrüstete Abwehr von vielen Seiten ist gewiss. Das sollte die „Lateiner“ jedoch nicht davon abhalten, diesen Gedanken ernsthaft zu prüfen, inwieweit er ein strategisches Ziel beschreibt, das zu verfolgen sich auch dann lohnt, wenn die Chancen auf baldige Realisierung eher gering sind. Die im gegenwärtigen Pontifikat vorangetriebene „Kantonalisierung“ mag nicht der traditionellen Idealvorstellung von der Una Sancta entsprechen – prinzipiell zu verwerfen ist sie angesichts vieler historischer Präzedenzfälle nicht.

Einige wichtige Voraussetzungen zur Realisierung einer „lateinischen Rituskirche“ sind bereits gegeben. Es gibt einen etablierten Ritus mit langer Tradition, dessen Rechtgläubigkeit nur von denen bestritten werden kann, die die gesamte Geschichte und Tradition der Kirche verwerfen. Für den höchst problematischen Streitpunkt der Regelung des Zugangs zu einer neuen Rituskirche gibt es in den aktuellen Ausführungsbestimmungen für die Ordinariate der anglikanischen Tradition zumindest Ansatzpunkte für eine allgemeine Regelung.

Eine andere noch wichtigere Voraussetzung fehlt jedoch noch weitgehend: Ein Mindestmaß an Einvernehmen unter den Gruppierungen der Tradition. Unter den Belastungen durch die Wirrnisse des aktuellen Pontifikats hat die Versuchung zu Auseinandersetzungen und immer neuen Spaltungen eher noch zugenommen. Der Appell von Michael Matt „Unite the Clans“ ist bisher weitgehend wirkungslos geblieben. Eine soeben bekannt gewordene Stellungnahme aus der Piusbruderschaft, die der gegenwärtigen Leitung der Gemeinschaft zu große Nachgiebigkeit gegenüber den Zumutungen aus dem Vatikan vorwirft, erweckt eher den Eindruck weiterer Spaltungstendenzen.

An dieser Stelle etwas zu ändern, wäre die Voraussetzung dafür, aus der Idee einen Plan zu machen. Und das Schöne daran: Die Schaffung dieser Voraussetzung läge ganz alleine in der Hand der Lateiner selbst.

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