Neues Stadium der Kirchenkrise III
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- 19. November 2016
Auf dem Weg in die Despotie?
Unter der weltzugewandten und leutseligen Oberfläche des „Pontifikats der Barmherzigkeit“ steckt ein kompromissloser Wille zur Machtausübung, der jetzt wieder in der Reaktion auf die Dubia der Kardinäle zu Amoris Laetitia in abstoßender Form sichtbar wird. Franziskus „koche vor Zorn“ berichtet der stets bestens informierte Edward Pentin. Der Papst und seine Umgebung – und dabei weiß heute niemand, wer hier treibt oder wer hier getriebener ist – verweigern den Fragestellern nicht nur eine der Form und dem Inhalt ihrer Besorgnisse entsprechend Antwort. Statt dessen versucht Bergoglio, die Kritiker seines Kurses öffentlich lächerlich zu machen: „Einige - denken Sie an gewisse Entgegnungen zu Amoris laetitia - verstehen es einfach nicht“, sagte Franziskus in einem Interview der Mailänder katholischen Tageszeitung Avvenire.(18.11.) Sein Chefratgeber Spadaro S. J. veröffentlicht auf Twitter eine in die gleiche Richtung weisende lehramtliche Kurznachricht, die er mit einem Bild, aus dem Film „Der Herr der Ringe“ dekoriert, das in der Unterschrift einen „hirnlosen Wurm“ anspricht.
Unterdessen erreichen die Säuberungen im Vatikan einen neuen Höhepunkt. Die von Johannes Paul II. errichtete „Päpstliche Akademie für das Leben“ - bisher standhafte Vertreterin der traditionellen Ehelehre der Kirche – wird zum Ende dieses Jahres faktisch aufgelöst: Sämtliche Mitglieder werden entlassen. An die Stelle der Akademie des heiliggesprochenen Papstes tritt eine Neugründung unter dem alten Namen, aber mit neuer Satzung, deren Mitglieder ab Januar neu ernannt werden. Dafür sollen vor allem jüngere, der Zukunft zugewandte Wissenschaftler aus allen Welt- und Denkrichtungen herangezogen werden. Der Kurs ist in der oben angeführten verächtlichen Reaktion auf die Dubia der Kardinäle in Avvenire bereits unmißverständlich vorgegeben: In so komplexen Fragen gebe es nicht nur Schwarz oder Weiß, sondern man müsse „im Fluss des Lebens unterscheiden ... Das hat uns das Zweite Vatikanische Konzil gesagt.“ Es brauche wohl noch etwas Zeit, bis das überall ankomme: „Die Geschichtsschreiber sagen, ein Konzil braucht ein Jahrhundert, um richtig die Kirche zu durchdringen... Wir sind bei der Hälfte.“
Aus dem Munde und im Namen eines Mannes, der sich sonst mit Floskeln von Güte, Offenheit und Barmherzigkeit schmückt, sind das harte Worte und Taten. Sie wären selbst dann als Ausdruck der Haltung eines Papstes gegenüber Zweifeln der Gläubigen, von Kardinälen zumal, gänzlich unpassend, wenn die Rezeption des zweiten Vatikanischen Konzils ohne jedes Problem verlaufen wäre und eine glänzende Erfolgsgeschichte darstellte. Beides ist nicht der Fall, und nichts berechtigt Franziskus zu der Annahme, schon morgen werde eine strahlende Zukunft anbrechen, wenn erst die ewig Gestrigen – darunter auch die begriffststutzigen Anhänger alten Liturgie – zurecht gestutzt oder noch besser endgültig ausgestorben wären.
In Wirklichkeit wissen er und sein jesuitischer Think Tank wohl ganz genau, daß dem nicht so ist, und daß sie den gewollten, aber bestrittenen Bruch mit der Vergangenheit nur noch mit unredlichen Mitteln weiter betreiben können. Öffentliche Verhöhnung derer, die sich dem als alternativlos dargestellten Wandel nicht bedingungslos anschließen, ist eines davon. In anderen Fällen, am deutlichsten sichtbar geworden bei den Franziskanern der Immakulata und jetzt wieder bei der Akademie für das Leben werden auch direktere Machtmittel angewandt, denen sich die Betroffenen, seit der Papst nicht mehr über eigene Gerichtsbarkeit und Kerkermeister verfügt, nur noch dadurch entziehen könnten, daß sie ihm öffentlich Gehorsam und Gemeinschaft aufkündigten. Ein Mittel, zu dem gerade die dem traditionellen Bild von Kirche, Glaube und Papst verpflichteten Kräfte nur im aller äußersten Fall Zuflucht nähmen.
Der Papst ist oberster Gesetzgeber der Kirche. Es ist daher nicht leicht möglich, ihm Verstoß gegen geltende Gesetze vorzuwerfen: Er könnte sie jederzeit offiziell ändern. Allerdings ziehen Franziskus und Co es in vielen Fällen vor, schlichtweg zu tun, was ihnen beliebt – Gesetze sind ihnen, wie der Papst in seinen Ausfällen gegen „starren Legalismus“ ja oft genug betont, einfach nicht wichtig – sogar die gerade selbst erlassenen. Wo Gesetze ihnen die Möglichkeit geben, den Gegner scheinbar ins Unrecht zu setzen, nutzen sie sie – wie im Falle der Franziskaner der Immakulata, die sich in bewundernswerter Weise in dem von ihnen gelobten Gehorsam unterwerfen.
Wo es keine Gesetze gibt, greift man zu außergesetzlichen Mitteln, um Abweichler (so nannte man das zu Zeiten, als es noch klare Parteilinien gab) zur Raison zu bringen. An der päpstlichen Lateran-Universität ist in diesen Wochen eine sich ansonsten nicht näher identifizierende oder gar legitimierende Gruppe katholischer Laien aufgetreten, die sich Observatory for the Implementation of the Church Reform of Pope Francis (OARCPF) nennt. In einem von Sandro magister veröffentlichten Schreiben warnt die Gruppe die Hochschullehrer vor Abweichungen vom neuesten Lehramt. Ausdrücklich genannt wird dabei – dreimal darf man raten – Amoris Laetitia, anscheinend das Schlüssdeldokument des Pontifikats. Zur Warnung kommt die Drohung: Man habe ein wachsames Auge und Ohr auf die Lehrveranstaltungen sowie die Examensarbeiten heißt es da, und das „Observartorium“ werde die Ergebnisse seiner Überwachungstätigkeit ian die zuständigen Stellen weiterleiten.
Hoffen wir, daß es sich dabei mehr um einen Hoax handelt als um ein ernst gemeintes Kampfinstrument im römischen Intrigenzirkus, aber in diesem Pontifikat erscheint nichts unmöglich. Falls das „Observartorium“ jedoch einen ernsthaften Versuch darstellt, wie vor gut hundert Jahren das „Sodalitium Pianum“ die Hochschullehjre auf ihre Übereinstimmung mit der Lehre der Kirche zu beobachten, geben wir dem Unternehmen keine großen Chancen: Zu Zeiten Pius X. war, nicht zuletzt durch die unermüdliche Tätigkeit dieses großen Mannes, immer völlig klar, was die Lehre der Kirche war und was dem entgegen stand. In dem heute mit Bedacht erzeugten Nebel, in dem selbst Kardinäle sich nicht mehr zurecht finden, hat eine solche Beobachtungsstelle schlechte Chancen – es sei denn, sie verstehe sich als bloßes Werkzeug zur Einschüchterung und Denunziation von Abweichlern.
Völlig undenkbar ist die Schaffung eines solchen Werkzeuges im machiavellistischen Geist, der neuerdings im Vatikan weht, nicht. Darauf hin deutet auch eine andere beunruhigende Entwicklung, über die in der reichhaltigen vatikanischen Gerüchteküche derzeit viel spekuliert wird. Schließlich wird der Papst im kommenden Monat 80 Jahre alt – die Frage der Nachfolge wird sich früher oder später unabweisbar stellen, ob durch Rücktritt oder auf natürlichem Wege. Die Bergoglianer – so muß man die gegenwärtigen Machthaber aus dem Jesuitenorden wohl nennen, selbst wenn man annimmt, daß ganz andere als der Mann aus Argentinien im Zentrum stehen – scheinen sich schon einen genehmen Nachfolger ausgeschaut zu haben: Immer öfter ist in Rom der Name des philippinischen Kardinals Tagle zu hören. Ihm wird ebenfalls hohe „Sensibilität für die Eingebungen des Geistes“ nachgesagt.
Doch wie soll man den Mann aus Manila (Jahrgang 1957) , der bis jetzt außerhalb eines kleinen Kreises von Radikalreformatoren wenig aufgefallen ist, auf den Papststuhl bringen? Zwar hat Franziskus I. bereits eine beträchtliche Zahl von Kardinalshüten an Leute vergeben, von denen eine Unterstützung des mit seinem Namen verbundenen Kurses erwartet wird. Aber genug, um die Wahl eines dieser Gruppe genehmen Franziskus II. mit Sicherheit zu garantieren, sind es wohl kaum – zumal viele Kardinäle, die Bergoglio vor drei Jahren gewählt haben, inzwischen einigermaßen desillusioniert sind, und sich mit den Neuzugänge aus der dritten Welt ebenfalls viele Fragezeichen verbinden. Wie unsicher man sich in Rom des gegenwärtigen Kardinalskollegiums ist, geht wohl auch daraus hervor, daß der Papst ein im Zusammenhang mit dem heutigen Konsistorium geplantes Zusammentreffen mit den Kardinälen abgesagt hat. Konsistorium ohne consedere - darauf muß man erst mal kommen.
Jedenfalls: Den Ausgang der nächsten Papstwahl will man keinesfalls den potentiellen Vertretern einer endgültig zu überwindenden Vergangenheit überlassen. Der überaus kenntnisreiche Vatikanist Andrea Gagliarducci hat da einige Glocken läuten hören: Das Küchenkabinett im Palast von Santa Marta diskutiert verschiedene Modelle, den Kreis der Papstwähler über die Zahl der Kardinäle hinaus auszuweiten, zum Beispiel durch Kooptierung von Synodenbischöfen. Vor- und Nachteile der verschiedenen Modelle brauchen uns nicht en Detail zu interessieren. Worauf es ankommt, ist, daß ein solcher Bruch mit einer mehr als tausendjährigen Tradition reiche Möglichkeiten böte, die Wahl zu manipulieren. Und die Abläufe um die Familiensynode haben offenbart, daß die Kreise um Bergoglio keinesfalls über den Verdacht erhaben sind, genau das zu wollen.
Wenn das so zutrifft, hätte die Krise des Papsttums tatsächlich ein Ausmaß erreicht, das sich nur mit den großen Krisen des Mittelalters vergleichen läßt. Vielleicht, sie sogar übertrifft. Despotische Päpste – teils im Auftrag mächtiger Adelsfamilien wie im hohen Mittelalter, teils aus absolutistischem Hochmut wie in der beginnenden Neuzeit – gab es schon öfter. Meistens ging es dabei freilich um Macht und Reichtum der gewöhnlichen Art – sex and crime, nichts weiter. Die Lehre Christi wurde dabei vielleicht persönlich mißachtet, aber nie in päpstlicher Machtvollkommenheit zur Disposition gestellt. Die Kirche blieb bei aller Verweltlichung und Entstellung doch das, was sie immer war und sein muß: Die Verkörperung Christi in der Welt, aber nicht von der Welt.