Franziskus gegen Paulus
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- 20. Januar 2022
Im Zentrum der von Papst Franziskus und seinen Unterstützern verfolgten Bemühungen zur Austreibung der überlieferten Liturgie aus der römischen Kirche steht die in Traditionis Custodes in normativem Ton vorgetragene Behauptung, diese Liturgie entspreche nicht mehr der „lex orandi“ Roms, die nunmehr ihren einzigen Ausdruck im Novus Ordo Missae von Papst Paul VI. gefunden habe. Mit dieser Behauptung haben sich Franziskus, sein Liturgiepräfekt Roche und Prof. Grillo als „geistiger Hintermann“ in eine logisch und theologisch unhaltbare Situation begeben. Sie widersprechen direkt den päpstlichen Vorgängern Johannes Paul und Benedikt, die beide den überlieferten Ritus als legitimen Ausdruck der „lex credendi“ der Kirche auch nach der Reform von 1969 anerkannt haben, wenn sie auch seine Praktizierung an bestimmte Bedingungen gebunden haben. Bedingungen, die keinen grundsätzlichen Vorbehalt ausdrücken wie jetzt Franziskus, sondern die eher das Ziel hatten, das Nebeneinander zweier ritueller Formen durch disziplinarische Vorgaben in geregelte Bahnen zu lenken und in längerer Sicht eine Versöhnung, vielleicht auch eine Konvergenz, zu ermöglichen.
Damit folgten beide letztlich nur dem bereits von Papst Paul VI. als Promulgator des neuen Missales gegebenen Ansatz. Auch er hat es nicht gewagt, die bis dahin verwandte Liturgie „abzuschaffen“ oder für ungültig zu erklären – dafür war sein Sinn für den Traditionszusammenhang denn doch zu stark. Statt dessen hat er ihre im Prinzip weiterhin mögliche Verwendung an strenge Bedingungen geknüpft. Von Anfang an gab es die Möglichkeit zur Dispens für Priester, die sich der Umstellung aus Altersgründen nicht gewachsen sahen. Bereits 1971 kam dann das „Agatha-Christie-Indult“ dazu, mit dem der Papst nicht nur auf die Bitte von Klerikern, sondern auch von Gläubigen (und Nichtgläubigen) reagierte. Dieses sehr begrenzte Entgegenkommen war bei Paul VI. zweifellos verbunden mit der Erwartung, daß solche Indulte nur ein Übergangsphänomen darstellten, das sich nach einigen Jahren angesichts der von ihm angenommenen Überlegenheit der reformierten Form selbst erledigen werde. Auch war sich der Papst durchaus bewußt, daß der anhaltende Widerstand gegen die Reform sehr wohl auch seine Autorität in Frage stellen und den Kristallisationskern für anhaltende Opposition gegen das II. Vatikanum bilden konnte – von daher war er zu keinen weiteren Zugeständnissen bereit.
In diesem Punkt, bei dem es um den Einsatz päpstlicher Machtmittel zur Disziplinierung von Dissidenten geht, ist das Vorgehen von Franziskus dem von Paul VI. durchaus ähnlich. Hinsichtlich der „lex orandi“ unterscheidet es sich jedoch grundsätzlich. Wo Franziskus versucht, der überlieferten Liturgie durch seine Konstruktion „es gibt nur eine lex orandi“ auch theologisch ihre Legitimation zu entziehen, war Paul VI. im Gegenteil bemüht, die Legitimität seines neuen Missales dadurch zu unterstreichen, daß er herausstellte, das Reformmissale entspreche der gleichen lex orandi wie der des Vorgängers. Er bekräftigt also in diesem zentralen Punkt die Kontinuität, die sein Nachfolger Franziskus jetzt für aufgehoben erklärt. In seiner Ansprache vom 19. 11. 69 zur Einführung des neuen Missales wendet Paul VI. gegen die Kritiker seines Missales ein:
Nichts an der Substanz der traditionellen hl. Messe ist verändert worden(10), (und:)
Die Einheit des Herrenmahls und des Opfers am Kreuze in ihrer Darstellung und Erneuerung in der hl. Messe wird nach dem neuen Ordo ebenso unverletzlich bekräftigt und gefeiert, wie das nach dem alten Ordo der Fall war. Die hl. Messe ist und bleibt das Gedächtnis von Christi letztem Abendmahl. Bei diesem Mahl verwandelte der Herr das Brot und den Wein in Seinen Leib und Sein Blut und setzte das Opfer des neuen Bundes ein. Er wollte, daß dieses Opfer als ein und dasselbe durch die Vollmacht Seines Priestertums erneuert werde, das er den Aposteln übertrug.“ (12)
Paul VI. greift damit die Gedankenführung seiner Enzyklika Mysterium Fidei von 1965 auf, die durchgängig von dem Bestreben geprägt ist, die in Trient zusammengefasste überlieferte Lehre der Kirche von der Eucharistie gegen die Uminterpretationen der modernen Theologie zu verteidigen. Das „letzte Abendmahl“ ist dabei auch für Papst Paul eben nicht nur ein feierliches Mahl, sondern die Vorwegnahme des Kreuzesopfers vom Karfreitag.
Noch wichtiger als diese doch noch recht allgemeinen Bekräftigungen der Kontinuität in der Lehre ist jedoch, daß der Papst in dieser Ansprache ausdrücklich darauf besteht, daß es in der „lex orandi“ und der „lex credendi“ zwischen dem alten und dem neuen Missale keinen Unterschied gäbe. Nachdem er eingeräumt hat, daß die erneuerten Formen vielen zunächst ungewohnt vorkommen und als der Andacht wenig förderlich erscheinen werden:
(Einige) könnten zu der Ansicht kommen, daß der Gleichklang zwischen der Weise des Gebetes, der lex orandi, und der Weise des Glaubens, der lex credendi, dadurch beeinträchtigt worden ist. Das ist definitiv nicht der Fall.“
Die gleiche Feststellung findet sich dann auch in der Institutio Generalis zur Editio Typica des neuen Missales, wo es im zweiten Abschnitt „Zeugnis des unveränderten Glaubens“ im Anschluß an die Darlegung der Lehre von Trient zum Meßopfer heißt:
So entspricht die Gebetsweise (lex orandi) der Kirche im neuen Meßbuch dem beständigen Glauben (perenni legi credendi) der uns wie folgt lehrt: Das Kreuzesopfer ist ein und dasselbe wie seine sakramentale Vergegenwärtigung in der Messe, abgesehen von der verschiedenen Art und Weise der Darbringung. “
Der Wille von Paul VI. als Gesetzgeber der Reform und Promulgator des neuen Missale ist also völlig unmißverständlich: Lex orandi und lex credendi sollen in der alten und der neuen Form identisch sein. Inwieweit der von ihm promulgierte Ritus diese Forderung tatsächlich einlöst, ist hier nicht zu untersuchen – einiges deutet daraufhin, daß die Schwächen des Reformwerkes deutliche Ansatzpunkte für die seither verstärkte entgegengesetzte Entwicklung geboten haben, doch das ist ein anderes Thema.
Aber daß Franziskus in diesem zentralem Punkt seinem Vorgänger bis in die Wortwahl hinein so hart widerspricht, ist weder zu verstehen noch zu akzeptieren. Er zerstört damit nicht nur den in vielen Teilen der katholischen Welt mühsam erreichten „liturgischen Frieden“. Er beschädigt die gesamte Reihe seiner Vorgänger seit der Reform – und damit sich selbst und das Papstamt generell. Und er befördert das, was er und die anderen Verfechter der inzwischen als gescheitert erkennbar gewordenen Reform am wenigsten wollen: Die eingehende Untersuchung der Irrtümer, die sich von Anfang an in die Arbeit des Bugnini-Consiliums eingeschlichen haben und die schließlich dazu geführt haben, daß der dritte Nachfolger Pauls VI. heute hinsichtlich des Verhältnisses von Lex orandi und lex credendi vor und nach der Reform genau das Gegenteil dessen aussagt, was dieser feierlich bekräftigt hatte.