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„Die Liturgiereform ist Gesetz“ - II

Die zweite große Ansprache von Papst Paul VI., gehalten am 26. 11. 1969, (hier der Text) bringt noch stärker als die erste zum Ausdruck, wie sehr sich der Papst des Bruches bewußt war, den er den normalen Gläubigen mit der anstehenden Neufassung der Liturgie zumutete. Nachdem die letzten Abschnitte der ersten Ansprache in immer neuen Wendungen beschworen, am Inhalt der Messe könne und werde sich nicht das Geringste ändern, sind die ersten Abschnitte der zweiten Rede ganz dem Bemühen gewidmet, die Gläubigen auf die bevorstehenden Umbrüche im (vermeintlich nur) formalen Bereich vorzubereiten. Der Papst spricht von „Veränderung einer verehrungswürdigen Tradition, die schon seit Jahrhunderten besteht“ und konzediert „Das berührt unser religiöses Erbe, dem das Privileg der Unantastbarkeit und der Stabilität zuzukommen schien“. Er räumt ein, daß díe Volkssprache „künftig die Hauptsprache der hl. Messe sein“ werde und bereitet die Gläubigen darauf vor, daß die Kirche „einen großen Teil jenes großartigen und unvergleichlichen künstlerischen und spirituellen Gebildes, der Gregorianik, verlieren“ werde. Insgesamt seien die Neuerungen „keine Kleinigkeit“, sondern stellten „tiefgehende Veränderungen“ dar.

Beim Versuch, das zu rechtfertigen, greift Papst Paul VI. stellenweise zu rhetorischen Mitteln, die durchaus als Vorahnung der mit dem neuesten Pontifikat in Rom hoffähig gewordenen Hemdsärmeligkeit gelesen werden können. Er unterstellt (in Abschnitt 4 und 5) den „ganz besonders Frommen“, die sich den bisherigen Formen verbunden fühlen, Bequemlichkeit und gedankenlose Routine - die gelte es aufzubrechen. In Abschnitt 11 führt er aus, das Verständnis des Gebetes sei „mehr wert als die seidenen Gewänder, mit denen es königlich angetan ist“ und verfügt einigermaßen kurzschlüssig: „Die Teilnahme des Volkes hat den höheren Wert – insbesonderer die Teilnahme moderner Menschen, die so großen Wert auf eine schlichte Sprache legen, die man leicht versteht und im alltäglichen Gespräch verwenden kann.“

Gut, fast jeder Papst nimmt für seine Ansprachen vorbereitende Arbeiten und Formulierungshilfen von Mitarbeitern in Anspruch, und es ist schwer vorstellbar, daß der Intellektuelle Giovanni Montini sich solchen bugninistischen Flachsinn selbst ausgedacht hätte. Aber vorgetragen hat er ihn - und er hat Gesetze erlassen und durchgesetzt, die eben auf diesen Vorstellungen beruhen. Dabei erleben wir heute ein halbes Jahrhundert später nicht nur das praktische Scheitern der damals mit diesen theoretischen Ansätzen verbundenen theoretischen Hoffnungen. Wir beobachten auch das Wirksamwerden eines geradezu entgegengesetzten theoretischen Ansatzes, der mit Vergewaltigung der Sprache und ohne jede Rücksicht auf deren alltäglichen Gebrauch (Schwulen„ehe“ Elter A und Elter B, Professorx) durchaus erfolgreich darangeht, von der Sprache her Bewußtsein und soziale Wirklichkeit zu prägen

Besonders bezeichnend für den kollektivistischen Zeitgeist der Jahrhundertmitte, aus dem heraus der Papst 1969 argumentiert, ist die Bekundung seiner Absicht, die Gläubigen aus ihren gewohnten Gedanken herauszureißen und „zu zwingen, denen von anderen zu folgen“. Die liturgische Bewegung seit etwa den 40er Jahren des totalitären 20. Jahrhunderts hat nicht nur ein neues Paradigma liturgischer Fömmigkeit entwickelt - dagegen wäre angesichts der ständigen Entwicklung der Zeitumstände und der in deren Verlauf unübersehbar gewordenen Schwächen der bisherigen Praxis kaum etwas einzuwenden. Der autoritäre und kollektivistische Zeitgeist besteht auch darauf, für das neue Paradigma Allgemeinverbindlichkeit zu beanspruchen, alles Vorhergehende zu delegitimieren und die Menschen - so wörtlich - zu zwingen, sich den  vermeintlich höheren Einsichten der Reformer zu unterwerfen. Ganz im Gegensatz zur katholischen Tradition übrigens, die in allem, was nicht den Kern der Lehre betrifft, von der Bereitschafgt zu vielfältigem „sowohl - als auch“ gekennzeichnet ist.

Papst Paul läßt an seiner Entschlossenheit zur kompromisslosen Umsetzung der Reform nicht den geringsten Zweifel aufkommen, wenn er behauptet: „Es ist Christi Wille, es ist der Atem des Heiligen Geistes, der die Kirche zu dieser Änderung aufruft. Der Mystische Körper Christi, der die Kirche ist, erlebt einen prophetischen Augenblick. Dieser Augenblick erschüttert die Kirche und erweckt sie und ruft sie dazu auf, die geheimnisvolle Kunst ihres Gebetes zu erneuern.“(Abschnitt 6)

Es ist schwer, in den Reden Papst Pauls VI. zur Inkraftsetzung der Liturgiereform auch nur einen Absatz zu entdecken, in dem keine Aussagen oder Denkvoraussetzungen stecken, die nicht von der seitherigen Entwicklung mitleidlos dementiert worden wären. Ob das nun seinerseits als Indiz dafür gewertet werden kann oder muß, daß diese Reformen eben nicht wie behauptet dem Willen Christi und dem Wehen des Heiligen Geistes entsprechen, steht dahin. Aber die damalige Überhöhung des Menschenwerks der Liturgiereform erklärt, warum die Väter dieser Reformation und ihre heute in Amt und Würden befindlichen Schüler und Nutznießer wohl solange die herrlichen Früchte dieses im Frost erstarrten neuen Frühlings besingen werden, bis keiner mehr da ist, der sie pflücken wollte.

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Hier noch einmal die Links zu den zu ihrem 40-jährigen Jubiläum hier unseres Wissens nach erstmalig auf deutsch veröffentlichten und kommentierten Reden:

Ansprache von Papst Paul VI. zur Generalaudienz am 19. 11. 1969

Ansprache von Papst Paul VI. zur Generalaudienz am 26. 11. 1969

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