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Franziskus wütet

Bild: Gefunden in http://www.scarrablog.com.au/2018/06/04/pope-francis-the-inevitable/So kennen und lieben wir unseren Papst Franziskus: „Sie müssen das zweite Vatikanum annehmen, und damit basta.“ Das war die kurze und knackige Antwort von Franziskus, als er von südfranzösischen Bischöfen beim Ad-limina Besuch auf das „Traditionalistenproblem“ und sein Motu Proprio „Traditionis Custodes“ angesprochen wurde. Nun zerbrechen sich Theologen uns Historiker seit 60 Jahren den Kopf darüber, was die vielfach unklar und teilweise widersprüchlich formulierten Dokumente dieses 21. Ökumenischen Konzils zu bestimmten Fragen sagen oder nicht sagen wollen – schließlich wollen sie wissen, was sie oder wir als „Lehre des Konzils“ annehmen sollen. Die Frage ist also dringlich – aber anerkannte und verbindliche Antworten darauf gibt es bisher bestenfalls in Ansätzen. Seit dem Abschluß der großen Kirchenversammlung in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts – genauer genommen schon seit seinen ersten Sitzungen, die zur Verabschiedung der Liturgiekonstitution führten – ringen zwei Linien darum, die rechte Auslegung der „Lehre des Konzils“ zu geben.

Die eine wurde von Papst Benedikt als die „Hermeneutik von Reform und Kontinuität“ bezeichnet, diese ist nicht nur seiner Ansicht nach die einzig richtige und sie entspricht zweifellos auch der Vorstellung, mit der die übergroße Mehrheit der Konzilsväter den Dokumenten zustimmte – Erzbischof Lefebvre eingeschlossen. Die andere Linie beruht nach Benedikt auf einer Hermeneutik des Bruches – Kontinuität und Tradition bedeuten ihr wenig, „Verheutigung“ ist ihr ebenso umgreifendes wie inhaltlich undefiniertes Oberziel. Auf dem Konzil selbst wurde diese Linie – wenn auch eher in verschleierter Form – hauptsächlich von der kleinen, aber aktiven Minderheit der „Rheinischen Koalition“ vertreten; sie fand begeisterte Resonanz bei den Medien und wurde daher von Benedikt XVI. auch als „Konzil der Medien“ im Gegensatz zum „Konzil der Väter“ angesprochen. Durch die Unterstützung der Medien von außen und der von Papst Pius X. in den Untergrund getriebenen Modernisten innerhalb der Kirche errang diese Linie als „Geist des Konzils“ sehr bald die Deutungshoheit über die Konzilsdokumente. Sie sollten eben nicht nach ihrem Wortlaut gelesen und verstanden werden, sondern nach ihrem Geist – und den hatte Karl Rahner, entschlossen von der Verheutigung in die Zukunft ausschreitend, als den „Anfang eines Anfangs“ beschrieben.

Giuseppe Alberigo und seiner „Schule von Bologna“, in deren Händen die Herausgabe der Konzilstexte lag, spielten eine wesentliche Rolle dabei, diesen Denkansatz in der mitteleuropäischen (Hoch)schulheologie eine monopolartige Stellung zu verschaffen. Fachkollegen wie Joseph Ratzinger, die sich den neuen Dogmen von der Dogmenlosigkeit nicht unterwarfen, wurden erfolgreich marginalisiert. Die Mehrzahl der seit den 70er Jahren ausgebildeten Priester und Bischöfe haben sich dieser Denkrichtung angeschlossen. Sie haben viele Erfolge dabei gehabt, ihre dem säkularen Bewußtsein wohlgefälligen Vorstellungen innerhalb und außerhalb der Kirche zu verbreiten. Die zweite Hälfte des Pontifikats von Johannes Paul II mit Joseph Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation konnte zwar einige besonders krasse Erscheinungen des dominierenden Modernismus in Lehre und Liturgie zurückdrängen, war aber nicht in der Lage, der Tradition wieder die ihr in der Kirche Christi gebührende Stellung zurückzugeben.

Die Wahl Joseph Ratzingers zum Papst 2005 war ein harter Schlag für die Propagisten des Konzilsgeistes, sie hat ihr Narrativ schwer beschädigt, daß es nur eine Lesart „Des Konzils“ von 1965 gebe und daß sie die autorisierten und bevollmächtigten Verkünder dieser Lesart wären.

Hier geht es weiter Seit Ratzingers Amtsantritt arbeiten die Modernisten der verschiedenen Spielarten mit verbissener Wut daran, diese schwere Niederlage rückgängig zu machen, und die Wahl des theologisch profillosen, aber allgemein progressiv gestimmten und säkularistisch eingestellten Jesuiten Bergoglio war für sie ein großer Erfolg. Teils unter seiner Führung, teils mit ihm als Rückendeckung für eigene Lieblingsprojekte, sind sie nun dabei, dem Ungeist des Konzils wieder die Vormachtstellung zu verschaffen, und das heuchlerisch als „Traditionis Custodes“ bezeichnete Dokument ist einer ihrer bislang größten Erfolge.

Natürlich kennt Franziskus trotz seines geringen theologischen und Interesses diese Problematik um die Dokumente, um den Geist und die wahre Interpretation des Konzils von 1965. Er weiß sehr wohl um die Unmöglichkeit, im Befehlston die „Annahme des Konzils“ zu verlangen, wo weit und breit keine Einigkeit darüber besteht, was die Dokumente dieses Konzils besagen. Und er weiß natürlich auch, daß gerade hinsichtlich der Liturgie sein päpstlicher Vorgänger offensichtlich ein ganz anderes Verständnis des vom Konzil Gewollten hatte, als er selbst nun zum Ausdruck bringt. Wie ist mit der so geschaffenen Unklarheit, ja Widersprüchlichkeit, umzugehen?

Für Franziskus ist das aus zweierlei Gründen kein Problem. Erstens – das wissen wir seit seiner berühmten Interview-Äußerung „Wer bin ich denn, zu urteilen?“ und seinem Jonglieren mit Fußnoten und Selbstzitaten in Amoris Laetitia aus erster Hand – ist die Schaffung und Nutzung von Ambivalenzen und Grauzonen sein bevorzugter Modus operandi, um (kirchen)politische Ziele zu erreichen. Und zweitens ist nach seinem Amts- und Selbstverständnis die Frage nach der Bedeutung der Dokumente ohnehin falsch gestellt, wenn nicht gar unzulässig: Wenn er als Papst den Dokumenten eine bestimmte Bedeutung gibt – dann haben sie die, basta! Er und sein Kirchenlehrer Humptius Dumptius Carrollus sehen da überhaupt kein Problem: „Wenn ich ein Wort verwende“, sagte dieser einstens ziemlich geringschätzig, „dann bedeutet es genau das, was ich es bedeuten lasse, und nichts anderes“. „Die Frage ist doch“, sagte die Zweiflerin, „ob du den Worten einfach so viele verschiedene Bedeutungen geben kannst?“. „Die Frage ist“, antwortete Humptius, „wer die Macht hat – das ist alles.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Humpty_Dumpty)

Lewis Carroll wußte noch, und jedes Kind zu seiner Zeit konnte das verstehen, daß die Frage nach Sinn und Wahrheit sich nicht durch Verweis auf Macht beantworten läßt. Über hundert Jahre später scheinen ein unglücklich regierender Papst und seine Hoftheologen das anders zu sehen. Unbekümmert darum, daß sein Vorgänger die innere Einheit und freie Zugänglichkeit der älteren und der neueren Form des Ritus der Kirche von Rom gesetzlich ausgesagt hatte, verkündet er das genaue Gegenteil und versucht dem, durch sein „Basta“ (und entsprechende administrative Zwangsmaßnahmen) Nachdruck zu verleihen. Damit bringt er nicht nur die seiner Willkür unterworfenen Bischöfe und die Gläubigen, denen er ihre aus über tausendjähriger Tradition ererbte Liturgie und Spiritualität verbieten will, in größte Schwierigkeiten. Indem er seinen Vorgänger ebenso dreist wie drastisch dementiert, legt er die Axt an das 1871 feierlich dogmatisierte Verständnis von der Unfehlbarkeit des Papstes in wichtigen Fragen der Lehre und der Moral: Nur einer kann im Recht sein: Benedikt oder Franziskus, der andere ist im Irrtum.

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