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Advent und das Heil Israels III

Bild: https://hopepca.org/december-6-2020-the-messianic-trajectory-of-the-old-testament-part-5/Der Advent ist die Zeit des Wartens auf die Ankunft des Messias. Vor allem als Erinnerung an sein erstes Kommen „im Fleisch“, aber auch in Erwartung seiner Wiederkunft als Weltenrichter „in Herrlichkeit“. Für die Christen dauert die Zeit der Erinnerung an das Warten auf sein erstes Kommen als Abschnitt des Kirchenjahres je nach Ritustradition vier oder sechs Wochen, bis die jeweiligen Kirchen die Geburt des Herrn in Bethlehem am 24. Dezember oder die Erscheinung des Herrn vor aller Welt am 6. Januar feiern. Für die Juden dauert das Warten auf sein Kommen – ein zweites haben sie noch nicht im Blick – seit dem Verlust des Paradieses und bis zum heutigen Tag an. Streng nach der orthodoxen Jahreszählung der Bibel berechnet wäre das seit 5783 Jahren, und ein Ende ist nicht abzusehen.

Für Juden wie für Christen ist der Messias der Erlöser, der sein Volk von aller Sündenlast frei machen und ihm seine königliche Stellung als „Krone der Schöpfung“ wiedergeben wird. Ihre erste Andeutung findet die Hoffnung auf diesen Erlöser in der heiligen Schrift an überaus passendem Ort: Unmittelbar nach der Bericht über den Sündenfall gibt der Herr der Menschenfrau das Versprechen: „Einer deiner Nachkommen wird ihr (der verführerischen Schlange) den Kopf zertreten (Gen 3, 15)“.

Die nächsten messianisch zu verstehenden Passagen des Pentateuch (Gen. 49, 10; Deut. 18, 15 ff) sind in ihrer genauen Interpretation umstritten, darüber, daß sie auf einen künftigen von Gott gesandten Erlöser hindeuten, besteht jedoch weitgehende Einigkeit. Ebenfalls im Hinblick auf den kommenden Messias wird der Bundesschluß Yahwehs mit David gedeutet, von dem 2 Samuel 7 berichtet: Das Königtum soll auf ewig bei David und seinen Nachkommen bleiben. Auch bei den Juden war diese Stelle stets messianisch verstanden, und im neuen Testament wird sie immer wieder angeführt, um Jesus von Nazareth aus dem Hause Davids als Messias zu beglaubigen.

Eine Fülle von messianischen Hinweisen findet sich im Buch der Psalmen, dessen endgültige Zusammenstellung in die Jahrhunderte nach dem Exil fällt, als messianische Hoffnungen durch die wunderbare Befreiung aus der Hand der Babylonier einen mächtigen Aufschwung nahmen. Der Inhalt dieser Hoffnungen war freilich wenig präzise bestimmt: Das Bild des erhofften Messias schwankt zwischen einem doch sehr weltlich vorgestellten Großkönigs und einem Erlöser aus Schuld und Sünde, der das Volk Israel wieder in seine unmittelbare Beziehung zu Gott führt.

Hier geht es weiterDie traditionelle katholische Bibelwissenschaft deutet eine große Zahl von Psalmen als messianisch, die sie in die verschiedensten Kategorien (direkt messianisch, prophetisch, typologisch usw.) einteilt. Das Neue Testament und die Kirchenväter sehen auch in vielen Psalmen Hinweise auf Jesus, den Messias – diese sind als solche aber erst aus der Rückschau erkennbar und können zum Verständnis der messianischen Hoffnungen der Juden in der Zeit vor Christus nur bedingt beitragen.

Ein gutes Beispiel dafür ist Psalm 2, der sehr wahrscheinlich Teile aus einem tatsächlichen oder rekonstruierten Krönungsritual der alten Könige enthält, die ihrerseits bis in die Wortwahl und Sprachbilder hinein viele Ähnlichkeiten mit erhaltenen Krönungsliedern anderer altorientalischer Königreiche aufweisen. Das gilt auch für den später von den Christen durchaus zu Recht auf Christus hin ausgelegten Vers „Mein Sohn bist Du, heute habe ich dich gezeugt“ – denn genau diese „Adoption“ als Sohn der Gottheit war eines der Hauptkennzeichen des Königtums der frühen Zeit, wie es in allen Reichen von Ägypten bis Assyrien verstanden wurde, und dieses Verständnis teilten auch die zahlreichen Kleinkönige, die zwischen den Großreichen eine mehr oder weniger prekäre Existenz fristeten, Juda eingeschlossen.

Die Aufnahme eines solchen Liedes in den Psalter mehrere hundert Jahre nach dem Ende des jüdischen Königtums hatte also einen starken rückwärtsgewandten Aspekt und war messianisch nur insoweit, als man sich von der Zukunft die Wiederkehr eines derartigen Königtums erwartete und erhoffte. Die Erlösungshoffnung des auserwählten Volkes hatte immer eine starke diesseitige Komponente, die vom verheißenen Messias die Errichtung eines irdischen Reiches der Gerechtigkeit (und der Vorherrschaft des so oft unterdrückten Israel) erwartete. Zwar wäre dieses irdische Reich kein rein säkulares gewesen, sondern der König wäre, wie das in Psalm 19 (20) ausgesagt ist, der „Gesalbte Jahwehs“ gewesen, königlicher Vollstrecker des Willens Gottes auf Erden wie einstmals David. Doch das schloß für das Bewußtsein der Zeit irdische Ambitionen keineswegs aus – auch noch zur Zeit Jesu selbst, als viele seiner Anhänger im römischen Protektorat Syria auf die Wiedererrichtung des irdischen Königtums setzten, in dem sie wichtige und ehrenvolle Stellen einzunehmen hofften.

So verbreitet diese vorwiegend irdisch ausgerichtete messianisch Erwartung auch gewesen sein mag – sie war keinesfalls konkurrenzlos. Das Judentum war in der Zeit vor der Zerstörung Jerusalems nie ein theologisch einheitliches Gebilde. Zentrum war das „Gesetz“, das von allen geachtet wurde und dessen Einhaltung erforderlichenfalls rigoros erzwungen wurde. Aber schon da gab es Interpretationsunterschiede. Glaubensdogmen in dem Sinne, wie sie das Christentum hervorbrachte, gab es nicht oder nur sehr ansatzweise. Es bestanden viele organisatorisch mehr oder weniger verfestigte Schulen, die in vielen Fragen unterschiedliche Glaubensinhalte lehrten.

Das betraf auch die Erwartungen an den Messias. Schon die Vorstellung eines messianischen Königtums bot viel Interpretationsspielraum – vom siegreichen Kriegerkönig in der nächsten Generation bis zum Friedenskönig am Ende der Zeiten. Andere Vorstellungen griffen weniger auf die Könige der Zeit des ersten Tempels zurück, sondern standen unter dem Einfluß des Prophetien Jesajas und seiner Lieder vom Leidenden Gottesknecht - sie stellen den Gedanken der Versöhnung des vom rechten Weg abgeirrten Volkes mit seinem Gott und die Sühneleistung in den Vordergrund. Besonders deutlich wird dieser Bezug auf den ganz und gar nicht königlichen Leidenden Gottesknecht in Psalm 21 (22) mit den berühmten Versen:

„Sie haben meine Hände und Füße durchbohrt und all mein Gebein gezählt; sie betrachten mich und schätzen mich ab, sie teilen meine Kleider unter sich und werfen das Los über mein Gewand.“

Was nachträglich als Prophetie auf das Leiden Christi am Kreuz erkennbar wurde, war auch schon vorher ein Hinweis darauf, daß der Messias sein Erlösungswerk nicht im Glanz irdischer Macht, sondern durch das äußerste Selbstopfer vollbringen würde. Wenn das Werk vollbracht ist, dann wird nicht irgendein irdischer König die Krone tragen, sondern der Herr selbst wird über alle Völker herrschen.

Trotz seiner (punktuellen) Aufnahme in das Buch der Psalmen war das Bild vom Messias als dem leidenden Erlöser unter den Juden durchaus umstritten, für viele sogar inakzeptabel: Das Bild des großen Königs, der Israel zum Herren aller Völker machen würde, war für viele attraktiver (Ps. 149) Tatsächlich scheint die nach der Zerstörung Jerusalems zur Alleinvertretung gekommene pharisäisch-masoretische Tradition in Psalm 21 Verschlimmbeserungen des Textes vorgenommen oder zumindest geduldet zu haben, die einige anstößige Verse in der hebräischen Sprachversion ganz und gar unverständlich gemacht haben. Mit dem leidenden und dann sogar am Kreuz gestorbenen Messias wollten die Masoreten nichts zu tun haben.

Aber die Spaltung des Judentums im Streit über das Bild des Messias hatte schon früher, noch lange vor dem öffentlichen Wirken Jesu, begonnen. Zwar waren viele Juden nicht in der Lage, im Kind von Bethlehem und dem am Kreuz gestorbenen Wanderprediger den Messias zu erkennen und anzuerkennen. Doch einige Zweige des auserwählten Volkes – mögen es Familienverbände oder religiöse Schulen gewesen sein – waren dazu vorbereitet und bereit. Nirgendwo wird dieser (für einige) bruchlose Übergang vom alten zum neuen Bund im Bild des wahren Messias so deutlich erkennbar wie an einem Lied aus dem Lukasevangelium (Luk 1, 68-79), das auch im griechischen Urtext so klingt, als sei es gerade simultan aus dem alttestamentarischen Hebräisch übersetzt worden:

„Gelobt sei Jahweh, der Gott Israels, der zu seinem Volk gekommen ist und ihm die Erlösung gebracht hat und der ein Zeichen unseres Heils errichtet im Haus seines Knechtes David.“

Mit diesen Worten beginnt der Lobgesang des Zacharias, hochbetagter Priester im Tempel von Jerusalem, und vom heiligen Geist befähigt, die wahre Bedeutung der Mutterschaft Mariens und der Geburt seines wider jede menschliche Erwartung von seiner ebenfalls hochbetagten Frau zur Welt gebrachten Sohnes Johannes zu erkennen und zu verkünden. Noch ganz im Geist des alten Testamentes und einige Monate vor dessen Geburt bekennt Zacharias Jesus, den Sohn Mariens, als den gottgesandten Messias.

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