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Von „Mediator Dei“ nach Pistoja

Anfang des Monats hatten wir in zwei Beiträgen zu Tra le solicitudini und Veterum Sapientia nachgezeichnet, wie zwei wichtige Dokumente zweier großer Päpste des 20. Jahrhunderts vom Kartell der Modernisten systematisch missachtet, missdeutet und teilweise sogar in das Gegenteil des von ihren Urhebern Gewollten verkehrt worden sind. Damit waren freilich nicht alle entsprechenden Fälle erfasst, ganz und gar nicht. Nächstes Dokument in dieser Reihe ist daher die große Enzyklika zur Liturgie Mediator Dei, die Papst Pius XII. im Jahr 1947 veröffentlichte. Weitere Fortsetzungen werden folgen.

Theologisch gesehen ist diese Enzyklika eine großartige Zusammenfassung der traditionellen Lehre der Kirche zum hl. Messopfer. Sie knüpft nahtlos an die Canones des Konzils von Trient an, die es bekräftigt und auf die in der Nachkriegszeit aktuelle Situation der Kirche anzuwenden sucht – gerade so, wie die Gläubigen und ihre Hirten es zu Recht erwarten können. Das macht den bleibenden Wert dieses Dokuments aus.

Kirchenpolitisch ist Mediator Dei ein Appell an die Liturgische Bewegung, deren immer lautstärker auftretende Vorreiter einen Kurs einschlugen, der erkennbar von den unaufgebbaren Grundlagen des Glaubens wegstrebte. Ihnen macht der Papst einerseits ein „Friedensangebot", indem er die grundsätzliche Berechtigung des Verlangens nach Reformen anerkennt. Andererseits zeigt er ihnen in seiner Enzyklika aber auch ganz klar die Grenzen auf, an die sie gebunden sind. Sehr schön zusammengefasst ist das in den letzten Absätzen des 3. und den ersten Sätzen des 4. Abschnitts der Enzyklika:

(4) Ihr wißt ohne Zweifel sehr wohl, dass der Apostolische Stuhl jederzeit eifrig bestrebt war, das ihm anvertraute Volk mit richtigem und lebendigem liturgischem Empfinden zu erfüllen; und wie er mit nicht geringerem Eifer darauf geachtet hat, dass die heiligen Handlungen auch nach außen durch angemessene Würde wirkten. (...) (7) Während also diese Bestrebungen [der lit..Bewegung] infolge ihrer heilsamen Wirkungen Uns nicht geringen Trost bereiten, fordert doch auch das Gewissen, dass Wir jene Erneuerungsbestrebungen im Auge behalten und sorgsam darauf achten, dass die Anregungen nicht ins Maßlose oder Fehlerhafte ausarten.

(8) Wenn Wir nämlich einerseits mit großem Bedauern feststellen, dass in verschiedenen Ländern der Sinn für die heilige Liturgie, ihre Kenntnis und ihr Studium gelegentlich ungenügend sind oder fast ganz fehlen, so müssen Wir anderseits mit Besorgnis, ja mit Furcht wahrnehmen, wie einige allzu neuerungssüchtige Leute vom Weg der gesunden Lehre und der Klugheit abweichen. Den Plänen und Bestrebungen zur Erneuerung der Liturgie, an die sie herantreten, mischen sie häufig Auffassungen bei, die in der Theorie oder Praxis diese heilige Sache gefährden und bisweilen mit Irrtümern behaften, die den. katholischen Glauben und die aszetische Lehre berühren.“

Pius XII. beläßt es nicht bei diesem allgemeinen Hinweis, sondern benennt im Folgenden auch ganz konkret einige dieser Irrtümer, denen er hier entgegentreten will.

In Absatz 64 wendet er sich gegen „jene übertriebene und ungesunde Altertumssucht ..., der die unrechtmäßige Synode von Pistoja Auftrieb gegeben hat“, in Absatz 83 gegen die „bereits verurteilte“ Ansicht, „ im Neuen Testament gebe es nur jenes Priestertum, das sich auf alle Getauften erstrecke“. In Absatz 92 bekräftigt er dementsprechend: „Die unblutige Hinopferung, wobei kraft der Wandlungsworte Christus im Zustand des Opferlammes auf dem Altare gegenwärtig wird, ist das Werk des Priesters allein, insofern er die Person Christi vertritt, nicht aber insofern er die Person der Gläubigen darstellt.“ In 114 weitet er das noch aus: „Es weicht also vom Weg der Wahrheit ab, wer das heilige Opfer nur feiern will, wenn das christliche Volk zum Tische des Herrn hinzutritt; noch mehr ist im Irrtum, wer um es als unbedingte Notwendigkeit hinzustellen, dass die Gläubigen zusammen mit dem Priester das eucharistische Mahl empfangen - arglistig behauptet, es handle sich hier nicht nur um ein Opfer, sondern zugleich um ein Opfer und ein Mahl der brüderlichen Gemeinschaft, und es sei die gemeinschaftlich empfangene Kommunion sozusagen der Höhepunkt der ganzen Opferfeier.“ Ausdrücklich wendet sich der Papst auch gegen den Irrtum, in Christus nur noch den verklärten Auferstandenen und nicht den irdischen Leidenden sehen zu wollen und wendet sich dagegen, die Bilder des am Kreuze leidenden Christus aus den Kirchen entfernen zu wollen (162). Scharf wendet er sich gegen die Abwertung außerliturgischer Frömmigkeitsformen wie z.B. des Rosenkranzgebetes und der sogenannten „Andachtsbeichte“. Diese Aussagen der Geringschätzung seien „Giftfrüchte, die an faulen Zweigen des gesunden Baumes reifen. Sie müssen daher abgehauen werden, damit die Lebenskraft des Baumes nur saftige und gute Früchte nähren kann.“ (176)

Das alles sind keine isolierten Einzelsätze des Textes, sondern Ausdruck ihrer generellen Linie. Selbst wenn einzelne Sätze einmal missverständlich formuliert sein sollten – uns sind bei der Lektüre keine aufgefallen – kann es an der Aussage insgesamt keinen Zweifel geben. Die in den Anfangssätzen ausgesprochene Würdigung des Bestrebens der liturgischen Bewegung bezieht sich ganz eindeutig nicht auf die Forderungen ihrer modernistischen Vertreter, sondern auf die von Dom Gueranger, Pius Parsch, Romano Guardini und anderen verfolgte Absicht, die Gläubigen wieder näher an die heilige Liturgie heranzuführen. Diese Liturgie selbst und die dahinter stehende Theologie stehen für Pius XII. In keiner Weise zur Diskussion.

Trotzdem erging es Mediator Dei wie im 20. Jahrhundert allen Versuchen des Lehramtes, in einen Dialog mit dem Modernismus einzutreten und ihm gleichzeitig seine Grenzen aufzuzeigen. Die Revolutionäre ergriffen nicht nur statt des gebotenen kleinen Fingers die ganze Hand, sondern schritten zur Amputation des ganzen Armes.

Ein eindrückliches Beispiel dafür bieten die Akten des 1. pastoralliturgischen Kongresses in Assisi 1956 – also keine 10 Jahre nach der Veröffentlichung von Mediator Dei. Schon die Bezeichnung „pastoralliturgisch“ deutet das Programm an: Liturgie wird auf einen nicht primär in der Gottesverehrung liegenden Zweck hingeordnet. Die einleitenden Beiträge des von Johannes Wagner herausgegebenen Sammelbandes mit den Reden von Assisi können sich zwar nicht genug tun mit Verbeugungen vor der segensreichen Tätigkeit des Papstes im allgemeinen und Mediator Dei im besonderen. Zwischen den stellenweis geradezu byzantinisch anmutenden Lobpreisungen wird allerdings an vielen Stellen bereits die Absicht erkennbar, die Enzyklika weniger als verbindlichen Rahmen für die Reform der Liturgie, sondern als Carte Blanche für die Aktivitäten der Liturgischen Bewegung in all ihren Ausprägungen zu interpretieren.

Die wahren Progressisten halten sich aber dabei schon nicht mehr auf – die vom Papst feierlich festgeschriebene Tradition ist für sie bereits abgehakt und erledigt. Joseph Andreas Jungmann, wegen seiner einige Jahre zuvor erschienene Missarum Solemnia auf der Höhe seines Ansehens, erspart sich jede Verbeugung vor dem Inhaber des Lehramtes und bezieht sich nur einmal und mehr am Rande auf Mediator Dei. Stattdessen gibt er bereits im Thema seines Vortrages „Seelsorge als Schlüssel der Liturgeschichte“ der historischen Entwicklung einen neuen, nämlich seinen Sinn. In bemerkenswerter Arroganz tut er die lturgischen Bestrebungen des Konzils von Trient als „erste Versuche“ ab, spottet über die „Folianten“ Mabillons ab, bis er zu den „gelehrten Arbeiten unseres Jahrhunderts“ voranschreitet. Auch dabei hält er sich nicht lange auf, sondern entwickelt – unter ständiger Berufung auf die Geschichte, so wie er sie sehen will – sein Programm für die zukünftige „Gestaltung“ der Liturgie.

Diese Liturgie soll vor allem „lebendig" sein – und was er darunter versteht, macht er deutlich in entschlossener Abgrenzung von der Vergangenheit, die seiner Ansicht nach seit über tausend Jahren in ritueller Abgehobenheit und Volksferne erstarrt ist. Sein Fazit:

Heute beginnt die Starre sich zu lösen. Formen, die versteinert schienen, werden wieder lebendig. Die Kirche fühlt, daß sie des Schutzes der Starre nicht mehr bedarf. So wie sich die Kirche unter Pius XI. In den Lateranverträgen jenes äußeren Schutzes begeben hat, der in den rauheren Zeiten des Mittelalters als weltliche Macht notwendig schien, so beginnt sie jetzt, unter Pius XII., den schützenden Panzer aufzulösen, der die geheiligten Formen der Liturgie bis jetzt umschloß. Die Interessen der Seelsorge beginnen wieder wie ehemals das entscheidende Wort zu sprechen, die Interessen jener Hirtensorge, aus der die Formen der Liturgie in der Frühzeit der Kirche hervorgegangen sind.“

So viele Irrtümer in einem so kurzen Absatz. Nie zuvor – das ist nach 50 Jahren Reformgeschichte unbestreitbar - bedurfte die Liturgie des Schutzes der Formen mehr als heute. Niemals war in der Frühzeit der Kirche „Seelsorge“ Ursprungs- und Prägekraft der Liturgie in dem von Jungmann beanspruchten Sinne, und nie wollte Pius XII. die Liturgie aus dem Schutz der Tradition lösen.

Doch diese von Jungmann hier genial zusammengefassten Irrtümer bilden genau die Grundlage der von ihm in Assisi entwickelten Blaupause für die später durchgesetzte Bugninireform, deren theologisch-ideologische Elemente inklusive. Damit haben sich bis in die Einzelheiten viele liturgische Vorstellungen der von Papst Pius XII. in seiner Enzyklika so vehement verurteilten „unrechtmäßigen Synode“ von Pistoja durchgesetzt – im Widerspruch zu allem, was das Lehramt der Kirche 1947 bekräftigt hat.

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