Aufhebung der Exkommunikation gegen die Bischöfe der FSSPX
Ein Artikel von Rabbi Irwin Kula in der Washington-Post vom 2. Februar
Nach all diesen Unsäglichkeiten, die Vertreter der jüdischen Gemeinschaft in den letzten Tagen gegen Papst und Kirche geäußert haben, kann man wohl am Sinn des vielbeschworenen Dialogs verzweifeln: Wozu seit Jahrzehnten interreligiöse Zusammenkünfte, Kongresse, Wochen, Feiern, wenn die eine Seite der anderen offenbar nicht den geringsten good will zugestehen will und bei jedem denkbaren Anlaß wild um sich schlägt? Rabbi Irwin Kula, Vorsitzender des National Jewish Center for Learning and Leadership in New York, hat sich auf den Dialog eingelassen und anscheinend mehr von der Kirche begriffen als mancher Purpurträger, der dieser Tage nicht schnell genug auf Abstand zum ins Kreuzfeuer gestellten Papst gehen konnte. Er tut das übrigens nicht zum ersten Mal: Auch in Sachen Karfreitagsfürbitte hat Kula sich mit bemerkenswerten Überlegungen zu Wort gemeldet. Und er ist auch nicht der einzige, wie aus der Wortmeldung eines anderen Vertreters der Jüdischen Gemeinschaft in den USA hervorgeht. Der Dialog ist hilfreich - aber offenbar nicht für jeden.

Rabbi Kula bei einer religiösen Zeremonie
Die jüdische Reaktion auf den Papst ist unverhältnismäßig
Die offizielle jüdische Reaktion auf Papst Benedikt XVI. kürzliche Entscheidung, sich der Piusbruderschaft anzunehmen und die Exkommunikation (nicht den rechtlichen Status) von vier Bischöfen aufzuheben ist sehr aufschlußreich für den sozialpsychologischen Zustand der amerikanischen Juden oder zumindest der Führer, die behaupten, für die amerikanischen Juden zu sprechen.
Die zugegebenermaßen irritierenden und empörenden den Holocaust bestreitenden Ansichten eines dieser Bischöfe, des in England geborenen Richard Williamson, eines unbedeutenden, unbekannten und ziemlich verrückten alten Mannes, die im schwedischen Fernsehen ausgestrahlt wurden, riefen den heiligen Zorn der Anti-Defamation-League, des American Jewish Committee, von B'nai B'rith International, des Internationalen Jüdischen Rates für Interreligiöse Beratungen und des amerikanischen Holocaust-Museums hervor, „Diese Entscheidung untergräbt die guten Beziehungen zwischen Katholiken und Juden“ protestierten sie, „wir sind sprachlos, daß der Vatikan unsere Bedenken ignoriert“.
Sie drohten, das werde „ernste Folgen für die katholisch-jüdischen Beziehungen haben“ und „dem Vatikan politische Kosten verursachen“. Aus Israel meldete sich das Oberrabinat, eine der korruptesten Einrichtungen aller westlichen Demokratien, zu Wort und stellte die bevorstehende Reise des Papstes nach Israel infrage. All dieser Aufruhr und das zornige Auskeilen um eine interne Kirchenangelegenheit im Zusammenhang mit jener Sorte von schäbigen, miesen und unbekannten Verrückten, jenem depperten alten Onkel, der uns jedesmal blamiert, wenn er in die Öffentlichkeit kommt – und den wir doch alle aus unseren eigenen Gemeinschaften kennen.
Als Rabbi in der achten Generation und ein Mann, der viele Verwandte im Holocaust verloren hat, steht mir ja vielleicht kein Urteil zu – aber diese offizielle jüdische Reaktion erscheint mir maßlos übertrieben. Interessiert die Tatsache, daß der Papst die Exkommunikation dieses unbekannten Bischofs aufgehoben hat, die Millionen amerikanischer Juden denn so sehr, daß alle größeren jüdischen Organisationen so viel Kraft und Aufmerksamkeit darauf verwenden und daraus eine Riesenangelegenheit machen, die einen Platz auf den Titelseiten verdient? Und ist das die angemessene Form, miteinander zu reden, nachdem wir in jahrzehntelanger Arbeit am interreligiösen Dialog unsere Beziehungen verbessert haben?
Wie kommt es, daß die Ansichten eines verschrobenen Bischofs ohne offizielles Amt solche Alarmrufe über eine Krise in den katholisch-jüdischen Beziehungen auslöst, obwohl sich die Lehre der Kirche in Sachen Juden seit dem 2. Vatikanischen Konzil doch revolutionär verändert hat? Wo ist bei dieser zwar irritierenden, aber im Gesamtbild doch eher unbedeutenden Sache die „Verhältnismäßigkeit“, wo die Bereitschaft, im Zweifel nicht gleich das Schlimmste zu vermuten, die doch ein zentraler religiöser und spiritueller Imperativ sein müßte. Zumal dieser Papst bei seiner historischen Reise nach Ausschwitz das Unheil, das den Juden im Holocaust zugefügt worden ist, unzweideutig anerkannt hat und auf seine Weise „Abbitte“ dafür leistete, daß auch verzerrte Lehren der Kirche einen Beitrag dazu geleistet haben könnten, den Boden für diesen Ausbruch des Bösen vorzubereiten.
Hier ist irgend etwas aus dem Gleichgewicht geraten. Ist es möglich, daß die Führung der jüdischen Verteidigungsorganisationen, die in der Geschichte wertvolle Arbeit zur Bekämpfung des Antisemitismus geleistet haben, so von ihrer Rolle als Warner vor dem Anti-Semitismus überwältigt sind und so getrieben von unverarbeiteten Ängsten, Schuldgefühlen und Schmach wegen des Holocausts, dazu unbewußt auch noch davon angetrieben, daß all das ihre Institutionen am Laufen hält – daß sie nun nicht mehr dazu in der Lage sind, zwischen den lächerlichen, grundlosen und unglaubwürdigen Reden eines Bischofs über den Holocaust einerseits und einer Kirche andererseits zu unterscheiden, die vom Papst an abwärts mehrfach deutlich das Böse, das den Juden im Holocaust zugefügt wurde, anerkannt hat und dazu aufruft, das niemals zu vergessen.
Vielleicht braucht man dazu auch ein wenig Verständnis dafür, was es wohl bedeutet, eine religiöse Gemeinschaft von 1,2 Milliarden Menschen zu führen (mit der ich in vielen Fragen nicht übereinstimme) und zu versuchen, eine gewisse Einheit von rechts bis links, von extremem Liberalismus bis zu extremem Traditionalismus herzustellen. (...) Wie wäre es, wenn man dem Papst, von dem wir wissen, daß er zusammen mit seinem Vorgänger wahrscheinlich zu den für das Anti-Semitismus-Problem sensibelsten Päpsten der Geschichte gehört, ein wenig mehr Spielraum dafür zugestehen würde, wie er versucht, seine eigene Gemeinschaft mit sich selbst zu versöhnen? Wäre es nicht möglich, daß der päpstliche Wunsch, die Hoffnung und die Notwendigkeit zur Wiedervereinung der Kirche (er hat sich auch dem liberalen Theologen Hans Küng zugewandt) für die Kirche und für die Religion insgesamt auf diesem Planeten wichtiger ist als der Umstand, daß wir Juden uns über die Aufhebung der Exkommunikation eines unbedeutenden Bischofs aufregen?
Wollen wir Juden nach dem schrulligsten, verkehrtesten, beleidigendsten und dümmsten beurteilt werden, was irgendwo in der Welt ein Rabbi über Katholiken oder Christen sagt? Wir haben nicht mehr die Organisation, um jemanden zu exkommunizieren, und ein Rabbi kann auch nicht so laisiert werden, wie das die Kirche mit ihren Klerikern kann, aber zweifellos gibt es vereinzelt Rabbis, die so scheußliche Dinge über die „Anderen“ sagen, daß wir dafür jede Verantwortung zurückweisen würden, selbst wenn wir diese Person immer noch als Rabbi bezeichnen.
Ist es nicht vielleicht möglich, daß die Rückholung Richard Williamsons in die Kirche ihn tatsächlich dazu bringt, seinen Fehler einzusehen, da doch die Kirche zum Holocaust und zum katholisch-jüdischen Dialog eine so klare Position vertritt? Schließlich hat doch der Papst selbst gesagt: „Ich wünsche, dass auf diese meine Geste das umgehende Bemühen von ihrer Seite folgt, die weiteren notwendigen Schritte zu setzen, um die volle Einheit mit der Kirche zu realisieren. Auf diese Art sollen sie echte Treue und echtes Anerkennen des Lehramtes und der Autorität des Papstes und des II. Vatikanischen Konzils bezeugen“. Das kann man überhaupt nicht anders verstehen als dahingehend, daß diejenigen, die die erste Hürde übersprungen haben, zur vollen Rückgliederung in den Verbund der Kirche die zweite große Hürde überwinden müssen: annehmen, was die katholische Kirche lehrt, oder draußen bleiben. Und zu dem, was die Kirche lehrt, gehört unter anderem die Notwendigkeit, die Juden zu respektieren.
Sollte nicht das Führungspersonal der Jüdischen Verteidigungsorganisationen, die doch die erfolgreichste und effektivste aller ethnischen und religiösen Gruppen in diesem Lande ist, wenigstens versuchen, die inneren Abläufe auf der anderen Seite zu verstehen, nachdem man jahrzehntelang interreligiösen Dialog geführt hat? Was im konkreten Fall bedeutet, zu sehen, daß es einen Unterschied gibt zwischen Verfehlungen in der Lehre – einer Verfehlung, von der der Papst einen Teil seiner Gemeinschaft heilen will – und gewöhnlicher Dummheit? Und was ist der Preis dafür, diesen Unterschied zwischen Irrlehre und Dummheit nicht sehen zu wollen?
Und letztlich: Der Papst und die vatikanischen Offiziellen haben innerhalb eines Tages erklärt, daß die Ansichten Williamsons „absolut nicht zu rechtfertigen“ seien und daß – in des Papstes eigenen Worten – die Kirche „volle und unverbrüchliche Solidarität mit den Juden gegen jede Form der Leugnung des Holocausts“ übe. Wäre in der Antwort darauf nicht vielleicht ein klein wenig Demut angebracht gewesen? Wäre es, wenn schon nicht ethisch verpflichtend, so doch zumindest interessant gewesen, wenn diejenigen, die zuerst wild losschlugen, zugegeben hätten, überreagiert zu haben und daß sie wissen, daß die Kirche und insbesondere dieser Papst in dieser Sache sehr sensibel sind. Und daß wir den Papst und die kirchliche Hierarchie gebeten hätten, bitte zu verstehen, daß wir, zurecht oder auch nicht, in Sachen Holocaust noch sehr dünnhäutig und sehr verletzlich sind, und daß es uns leid tut, überreagiert zu haben und wir sehr dankbar dafür sind, daß der Papst immer wieder und unzweideutig das wiederholt, von dem wir wissen daß es seine Ansicht und die Lehre der Kirche in der Gegenwart ist.
Hier finden Sie das englische Original. Übersetzung der Arbeitsgruppe.