St. Alphonsus in Baltimore
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- 19. Dezember 2017
Im vergangenen Mai haben wir über die Entscheidung der Erzdiözese Baltimore berichtet, die Gemeinde St. Alphonsus als Personalpfarrei für die Katholiken des alten Ritus zu etablieren und die Seelsorge dort der Petrusbruderschaft anzuvertrauen.
Die Baltimore Sun hat in der vergangenen Woche in ihrem Lokalteil einen bemerkenswerten Bericht über die Entwicklung in dieser Pfarrei gebracht, in der die überlieferte Liturgie zwar nie ganz untergegangen war, seit der Übernahme durch einen jungen und anscheinen überaus tatkräftigen Pfarrer – der Vorgänger war im Mai mit 90 in Pension gegangen – aber noch einmal deutlich steigende Zahlen bei den Messteilnehmern aufzuweisen hat. Bemerkenswert ist der Bericht wegen seiner Länge von 1500 Worten, bemerkenswert auch wegen seines sachlichen und vorurteilsfreien Tons.
Baltimore ist eine Stadt mit etwas mehr als 600 000 Einwohnern, davon sind für amerikanische Verhältnisse relativ viele katholisch. Die Hauptstadt des Ostküstenstaates Maryland ist die älteste Diözese in den USA – das Bistum wurde bereits 1789 errichtet und umfasste zur Zeit seiner Gründung große Teile der nördlichen Ostküste; heute besteht es nur noch aus der Großstadt Baltimore selbst und einigen umgebenden Counties. Die kirchliche Entwicklung in Baltimore entspricht im großen Ganzen dem allgemeinen Trend in den USA, d.h. seit Mitte der 60er Jahre geht es in jeder Beziehung abwärts. Seit dem Frühjahr wird die Diözese zusätzlich belastet durch eine Netflix-Serie über den bislang unaufgeklärten Mord an einer Schul-Schwester im Jahr 1969, die diesen Kriminalfall auf reißerische Weise mit angeblichen oder tatsächlichen Mißbrauchsfällen an einer Mädchenschule des Bistums in Verbindung bringt.
Die Veröffentlichung eines Artikels, der die katholische Tradition mit Sympathie betrachtet, ist da keine Selbstverständlichkeit. Der Artikel läßt einige Gemeindemitglieder berichten, was sie an der dort gefeierten Liturgie anzieht. Es ist nicht gerade das, was eine Pastoral, die sich auf der Höhe der Zeit wähnt, zu ihren Dogmen gemacht hat. Eine Endvierzigerin, die die Faszination beschreibt, die von dem neugotischen Bauwerk mit seinen Pfeilern, Gewölben, Heiligenfiguren und bunten Fenstern ausgeht: „Ich komme hierhin und schaue mich um wie ein Kind. Hier spüre ich etwas, das tief in die Vergangenheit zurückreicht, es ist wie ein Schatz, den ich wieder neu entdecke. Ich muß nicht gleich jedes Wort verstehen – ich nehme das alles nach und nach auf. Ich merke einfach, wie es mich voranbringt.“ Und ihre 13-jährige Tochter: „Der Priester schaut nicht uns an – er wendet sich Gott zu, und darin liegt die Kraft. Ich denke, für junge Leute ist das cool, wie das alles schon seit so langer Zeit auf uns gekommen ist.“
Nostalgie? Aber doch nicht bei einer 13-Jährigen. Und die Mutter wurde auch erst geboren, als das Konzil schon vorbei war. Die Kraft der Tradition ist weitaus mehr als Nostalgie oder Sentimentalität. Tatsächlich hat die Gemeinde St. Alphonsus eine höchst beeindruckende Vergangenheit, die bestens geeignet ist, als Kraftquelle auf die Gegenwart auszustrahlen. Einer ihrer ersten Pfarrer war Mitte des 19. Jh. der Deutschböhme John Neumann – heiliggesprochen 1977. Sein Nachfolger Francis Xavier Seelos wurde im Jahr 2000 selig gesprochen, und eine frühere Schulschwester der Gemeinde, Sr. Casimira Caupas, trägt seit 2010 den Titel einer Verehrungswürdigen Dienerin Gottes. Der neue Pfarrer Joel Kiefer (48) bringt jedenfalls eine Voraussetzung mit, die es ihm erleichtern könnte, sich in diese Reihe zu stellen: In seinem Leben vor der Petrusbruderschaft war er Berufsoffizier. Daß das Leben auch aus Kampf besteht, auch für einen Pfarrer, muß er nicht erst mühsam im „training on the Job“ lernen.
Es lohnt sich, den Artikel der Baltimore Sun im Original anzuschauen.