Finger weg vom Missale!
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- 10. Februar 2017
In der englischsprechenden Welt – soweit sie sich für liturgische Fragen interessiert, und so gesehen ist diese Welt auch nicht allzu groß – gibt es seit einigen Tagen eine heftige Diskussion um 14 Thesen von Fr. Stravinskas: Was der Novus Ordo zur Verbesserung des überlieferten Ritus beitragen kann. (Hier die Vorschläge, dazu ein erster Kommentar von Peter Kwasniewski) Stravinskas gehört zur angesichts der enormen Polarisierung der letzten vier Jahre ständig kleiner werdenden Zahl von „Neokonservativen“, die – motiviert von einer nicht unberechtigten Furcht vor einem Auseinanderbrechen der Kirche – nach Kompromissen suchen die „den Laden zusammenhalten“ sollen. Deshalb muß man ihm nicht von vornherein unterstellen, seine Vorschläge zielten auf eine Zerstörung der überlieferten Liturgie ab – obwohl diese Zerstörung tatsächlich das Ergebnis wäre, sollten diese Ideen umgesetzt werden, und wären die Gläubigen, die der überlieferten Liturgie und Lehre treu sind, bereit, eine solche Umsetzung akzeptieren. Wovon heute ja nicht mehr ohne weiteres auszugehen ist.
Eine Durchsicht der Vorschläge Stravinskas' – hier in der Reihenfolge des Originalartikels numeriert – ergibt immerhin drei Punkte, über die man diskutieren könnte. Könnte, wenn nicht die aktuelle Situation jede Änderung gegenüber den Formen des Missales von 1962 und seiner Vorläufer im 20. Jahrhundert verbieten müsste:
Aufgabe der doppelten Rezitation einiger Gebete durch Priester und Gemeinde
Diese Praxis entstand im Mittelalter als Reaktion auf einen Mißstand: Vielfach waren Scholen oder Chöre nicht imstande, die ihnen zukommenden Texte korrekt zu verbalisieren – sie produzierten dann sinnloses Küchenlatein. Also entschlossen sich gewissenhafte Priester, diese Gebete zunächst selbst mit leiser Stimme vorzutragen – zur Sicherheit. Wo diese Notwendigkeit nicht besteht, spricht nichts dagegen, daß der Priester sich mit seinem Gebet dem Gesang der Schola anschließt. (Punkt 4)
Einbeziehung der Predigt in die Liturgie
Der historische Ursprung der Herausnahme der Predigt aus der Liturgie – versinnbildlicht durch die Ablegung von Manipel und Messgewand – war kurzfristig nicht zu ermitteln. Der Brauch hat möglicherweise damit zu tun, daß an Bischofs-, Stifts- und Klosterkirchen oft ein anderer Priester als der Zelebrant predigte. Jedenfalls ist der Einwand von Stravinskas ernst zu nehmen, daß die Einbeziehung der Predigt in die Liturgie eine Handhabe bieten könnte, um der Tendenz zu Laienpredigten entgegenzuwirken – die freilich in der überlieferten Liturgie ohnehin nicht sehr stark ausgeprägt sein dürfte und im NO bekanntlich nicht wirklich funktioniert. (Punkt 8)
Ad populum im Lehrgottesdienst, Ad Deum bei der Opferliturgie
Wie beim Pontifikalamt, teilweise auch noch beim levitierten Hochamt zu sehen ist, kennt der römische Ritus auch heute noch eine Unterscheidung von Zeremonien, die am Altar und in der direkten Hinwendung zum göttlichen Empfänger des Opfers stattfinden von solchen, die sich freier im Kirchenraum orientieren und bewegen. Ihre Konzentration am und auf den Altar ist nicht zuletzt eine praktische Folge der Ein-Priester-Messe, und die latreutische Deutung dieser Ausrichtung am Altar ist wohl eher sekundär. Das macht sie keinesfalls wertlos, stünde aber auch einer (erneuten) Umorientierung nicht prinzipiell im Wege. (Punkt 11)
Mit Entschiedenheit abzulehnen, weil entweder Ausdruck eines Bewußtseins, das zur Entwicklung des Novus Ordo und seiner Mißsstände geführt hat – oder auf Denkweisen beruhend, die erst durch den Novus Ordo popularisiert und akzeptabel gemacht worden sind:
(1.) Übernahme des reformierten Lektionars
(3.) Eröffnung weiterer Optionen zur „feierlichen Gestaltung“ des Gottesdienstes
(5.) „Wiederherstellung“ der Offertoriums-Prozession und des Gebetes der Gläubigen
(6./10.) Übernahme der „reformierten“ Riten zuKommunion und Entlassung
(7.) Platzierung der Fractio Panis zum Agnus Dei
(9.) Unlösbare Kopplung von Sanctus und Benedictus
(13.) Allgemeine „Vereinfachung der Rubriken“ und „Vermeidung von Doppelungen“
(14.) Übernahme der Nomenklatur „Liturgie des Wortes“ und „Liturgie der Eucharistie“
Eine eingehende Auseinandersetzung mit diesen Forderungen soll einem weiteren Artikel vorbehalten bleiben. Im Vorgriff sei hier nur bemerkt, daß das reformierte Lektionar mit seiner Meidung „schwieriger Stellen“ nicht unwesentlich zum Glaubensverfall beigetragen hat und daß eine feste Anbindung des Benedictus an das Sanctus – die weder historisch noch inhaltlich stringent zu begründen ist – auch für die überlieferte Liturgie die Verwendung der von den großen Künstlern der geistlichen Musik geschaffenen Werke im liturgischen Zusammenhang ausschließen würde. „Eröffnung von Optionen“ und „Vereinfachung von Rubriken“ gehören schließlich zu den Zauberformeln, mit denen die liturgischen Revolutionäre das feste zeremoniale Gefüge aufbrachen, ohne das keine Liturgie und kein Gottesdienst ihre Verankerung im Transzendenten bewahren können.
Zwei Punkte wurden bisher noch nicht erwähnt:
Aufnahme neuer Messformulare
Das wäre keine Übernahme aus der reformierten Liturgie, sondern eine Rückkehr zu einer selbstverständlichen Praxis der Kirche. Immer wieder wurden nach Heiligsprechungen oder der Einführung neuer Feste von der zuständigen Autorität Messformulare neu entwickelt oder auch bereits in bestimmten Orten oder Gemeinschaften gebrauchte für die ganze Kirche offiziell zugelassen. (Punkt 2)
Vereinheitlichung des Kalenders
Unterschiede im Kalendarium – entweder regionaler Natur, oder im Umkreis bestimmter Gemeinschaften – sind fester Bestandteil der Liturgiegeschichte. Eine gewisse Vereinheitlichung des Festkalenders wäre in höchstem Maße wünschenswert, aber sie kann nicht – wie stellenweise im Novus Ordo – auf der Grundlage von Prinzipien erfolgen, die sich gegen die Tradition wenden oder das Leben der Kirche den Anforderungen der säkularen Gesellschaft unterordnen. (Punkt 11)
Bemerkenswert an dem Vorstoß Stravinskas' ist, daß er gar nicht erst auf den Gedanken kommt, auch den reformierten Ritus einer kritischen Revision zu unterziehen – der gehört für ihn anscheinend zu den nicht mehr in Frage zu stellenden Gegebenheiten. Bestenfalls mag ihn die Hoffnung leiten, einen Mischritus entstehen zu lassen, in dem die beiden auseinanderentwickelten Formen des römischen Ritus wieder zusammengebracht werden könnten.
Die Chancen zur Verwirklichung eines solchen Vorhabens sind freilich extrem gering. Die Auseinanderentwicklung der Riten erweist sich immer deutlicher nicht nur als Folge von Differenzen im Glaubensverständnis, sondern auch als Ursache der weiteren Vertiefung dieser Unterschiede. Nach der faktischen Selbstaufgabe des Lehramtes unter Franziskus ist bis auf weiteres keine Autorität sichtbar, die die Katholiken, die an der überlieferten Lehre und Liturgie festhalten wollen, davon abbringen könnte, genau aus diesem Grund auch jedes Abgehen von der überlieferten Liturgie zu verweigern. Im Gegenteil: Wie Joseph Shaw kürzlich beobachtet hat, bietet sich der unveränderte überlieferte Ritus dazu an, alle Kräfte und Positionen zusammenzuführen, die zeitgeistige Kompromisse in der Lehre ablehnen.