Andächtig in der hl. Messe
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- 20. Juli 2014
Zu den Mythen, die bereits von der liturgischen Bewegung aufgebracht und dann von den Liturgiereformern nach dem zweiten Vatikanum ständig wiederholt wurden, gehört die Behauptung, vor 1970 sei die hl. Messe als „Klerikerliturgie“ vor einem im wesentlichen unbeteiligten Kirchenvolk „gelesen“ worden, das sich die Zeit – bestenfalls – mit dem Herunterbeten von Rosenkränzen vertrieben habe. Über den Zusammenhang oder Nicht-Zusammenhang der Geheimnisse des Rosenkranzes mit der hl. Messe ist hier ein ander Mal nachzudenken. Heute soll erstmalig ein gutes Wort zugunsten eines Gegenstandes eingelegt werden, bei dessen bloßer Benennung sich allen aufgeklärten Geistern der liturgischen Erneuerung sämtliche Nackenhaare sträuben: Die sogenannten „Messandachten“.
Die ersten „Messandachten“ scheinen im Zusammenhang mit der Messerklärung des Martin von Cochem (1634-1712) gedruckt worden zu sein – jedenfalls enthalten die meisten Ausgaben dieses überaus populären Werkes einen Anhang mit mehreren solchen Andachten. Sie wurden sehr bald zu umfangreicheren Sammlungen ausgebaut, die populärste davon war anscheinend das „Weltlicher Leute Messbuch“ des bayrischen Sulpicianers Kaspar Erhard, dessen frühestes Exemplar mir aus dem Jahr 1741 vorliegt.
Der Titel enthält, wie im 18. Jh. üblich, die vollständige Inhaltsangabe: Weltlicher Leute Messbuch, begreifend sehr andächtige und herzliche Messgebete. In zweiundfünfzig heil. Messen von großer Kraft, und auf alle Sonn- und Feiertäge, alle heiligen Zeiten und auf alle Tage eingerichtet. Auf daß gleichwie die Priester auf allerlei Weise und Meinung die hl. Messe lesen, also auch die Weltlichen allerhand Messgebete lesen und aufopfern mögen. Samt allerlei heilsamen Morgen-, Abend-, Beicht-, Kommunion- und Ablass-Gebeten.
Die meisten „Messgebete“ dieses Buches sind eher kurz – 2 – 3 Druckseiten in großen Lettern auf kleinen Seiten. So scheinen sie den ja tatsächlich nicht unberechtigten Vorwurf zu bestätigen, daß vor dem 19. Jahrhundert in den Pfarrkirchen in aller Regel werktags wie Sonntags eher eine „eilige“ denn eine heilige Messe gelesen worden sei. Bei näherem Hinschauen verliert dieser Vorwurf an Kraft. Einmal weil die Messgebete vom Typ der „52 Messen“ – es gibt auch andere Typen – offenbar nicht dazu bestimmt waren, als Begleitung zur heiligen Handlung gelesen zu werden – zumal diese Handlung selbst mehrfach von deutschen Kirchenliedern unterbrochen wurde. Die Gebete dienten eher der der Betrachtung während der Kanonstille und der Einstimmung auf den Festgedanken, vielleicht auch der Vor- oder Nachbereitung.
Unsere Messandacht von 1742 – das ist also ein halbes Jahrhundert vor der französischen Revolution – für das Fronleichnamsfest hat folgenden Wortlaut:
O Jesu, du verborgner Gott und Heiland! Mit tieffster Demuth bete ich dich im hochwürdigsten Sakramente des Altares an und lobe dich mit allen Engeln und Menschen.
O wunderbarlicher Mittler und Versöhner! Ach versöhne uns mit deinem himmlischen Vater. O du unschuldiges Lamm! Für unsere Sünden geschlachtet und geopfert. Ach, opfere dich abermal deinem himmlischen Vater für unsere Sünden und Schulden.
O du lebendiges Seelenbrod, labe und stärke unsere Seelen, und theile uns das ewige Leben mit.
O Jesu! du lieb- und lobwürdigster Gott, es betrübt und kränket mich von Herzen, daß dir von vielen bösen Leuten, Gläubigen und Ungläubigen, Geistlichen und Weltlichen so viele Unehre, Lästerungen, Schmach und Unbilden im hochwürdigen Sakrament täglich zugefügt werden. Wollte Gott! Ich könnte alle Sünder bekehren, alle solche Unehre verhindern, alle Schmach und Unbilden von Dir abwenden. Auf das wenigst will ich suchen herein zu bringen und um nach Möglichkeit alle solchen Unbilden zu ersetzen, öftermalen sprechen: „Gelobt sey das allerheiligste Sakrament des Altares.“
Du aber, o Jesu! bekehre und bewege alle Geschöpfe, daß wir dich alle im hochwürdigen Sakramente stets verehren, anbeten und in der hl. Messe deinem himmlischen Vater aufopfern, auch endlich im Himmel mögen sehen, loben und benedeyen mit allen Heiligen in Ewigkeit Amen.“
Mit modernen Sensibilitäten und heutiger Spiritualität hat das wenig gemeinsam – fast 300 Jahre sind eine lange Zeit. Aber wer so auch nur einmal im Jahr betete – tatsächlich sind viele andere Messandachten in Tonlage und Grundaussage ähnlich – dürfte kaum in die Gefahr gekommen sein, die Realpräsenz des Erlösers auf dem Altar zu vergessen. Das im Gebet eingeschlossene Versprechen, sich im Stoßgebet mit der Opfergesinnung Christi zu vereinigen, kommt wahrer „partizcipatio actuosa“ jedenfalls näher als massenhaftes Herumgewusel im Altarraum. Und übers Jahr gesehen bildeten die „52 Messandachten“ darüberhinaus einen ansehnlichen Volkskatechismus.