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Die Reform der Reform ist tot

Joseph Shaw: Der Tod der Reform der Reform

1. Zwei Riten, zwei Spiritualitäten

Hw. Thomas Kocik, Hw. Mark Kirby und Hw. Hugh Sommerville-Knapman, die sich lange für das große Projekt einer „Reform der Reform" (RdR) eingesetzt haben, stimmen in ihrem Schluß überein, daß daraus nichts werden wird. Der Novus Ordo hat grundlegende Probleme, die das unmöglich machen.

Zur Klärung vorweg: Was ist die RdR und was wollten sie erreichen? Sie hofften, dadurch, daß man den Novus Ordo so ehrfürchtig wie möglich und mit den traditionellsten darin angelegten Optionen – auf Latein, ad Orientem usw. - zelebriert, der Liturgie größere Gemeinsamkeit mit der überlieferten Messe zu verleihen. Wie sie in einer langen Reihe von Publikationen vortrugen, setzten sie ihre Hoffnung auf Veränderungen des Missales, die noch weitere traditionelle Optionen (wie etwa die alten Offertoriumsgebete) eröffnen und sogar einige entschieden nicht-traditionelle Optionen (etwa einige der neuen Präfationen) abschaffen sollten. Teilweise setzten sie sogar auf eine Verschmelzung der beiden Riten in einer Art Kompromiss-Missale. Das Ziel ihrer Anstrengungen sahen sie darin, der Zelebration etwas von dem zurückzubringen, was im Novus Ordo allzu oft fehlt und was Papst Benedikt als ein Charakteristikum des Vetus Ordo ausgemacht hatte: Sakralität, den Sinn für das Heilige.

Ich empfehle den Lesern, sich die Argumente und die sehr interessanten Zuschriften auf New Liturgical Movement anzusehen – ich möchte das, was dort gesagt worden ist, nicht wiederholen.

Ich habe bereits in der Vergangenheit darauf hingewiesen, daß eine RdR praktische und pastorale Probleme aufwirft: Während ihre Befürworter ständig beanspruchen, diese sei in einer Pfarrei leichter durchzusetzen als eine herkömmliche heilige Messe, ist das in Wirklichkeit schwieriger. Der Grund ist ganz einfach: Wenn ein Priester sich von den Messdienerinnen verabschiedet, den Alter zur Feier ad orientem umdreht und etwas Latein einführt, wird er in der typischen Novus-Ordo-Pfarrei einen Bürgerkrieg auslösen, den er mit großer Sicherheit verlieren wird. Wenn er in einer bisher freien Zeit eine Messe im alten Ritus einführt, bekommt er bei einem feindselig eingestellten Dekan oder Bischof vielleicht einen schwarzen Punkt in seiner Personalakte, aber kurz- und mittelfristig wird er damit wahrscheinlich durchkommen. (Langfristig handelt er sich damit vielleicht eine Versetzung ein.) Das hat sich so in vielen Fällen bestätigt. Die RdR ist nicht der leichtere Weg.

Aber ich will auf etwas anderes hinaus. Ich bin zwar sehr für Latein, für die Feier ad orientem und so ziemlich alles, was die RdR propagiert, aber ich bin mir darüber im klaren, daß ihrer Umsetzung im Novus Ordo nicht nur die Gewohnheiten in den Pfarreien entgegenstehen. Wenn man eine Annäherung an die überlieferte Messe anstrebt, stellt sich nicht nur ein Problem der Texte und Zeremonien und wieviele Veränderungen man daran vornehmen müsste. Das Problem ist vielmehr, daß der Novus Ordo sein eigenes Ethos, seinen eigenen Begründungszusammenhang und seine eigene Spiritualität aufweist. Er enthält sein eigenes und sehr spezifisches Verständnis davon, was liturgische Teilnahme bedeutet. Seine Texte und Zeremonien sind so, wie sie sind, um diese Art von Teilnahme zu befördern. Wenn man das auf Latein und ad orientem macht und insbesondere wenn man Dinge einführt, die gegenwärtig nicht zulässig sind wie die Kanonstille, dann untergräbt man genau die Art von Teilnahme, für die der Novus Ordo entwickelt worden ist.

Das heiß, wenn man auf etwas anstrebt, das auf einen Kompromiss zwischen den beiden Missales hinausläuft, besteht die Gefahr, sich zwischen zwei Stühle zu setzen Ich werde darauf im weiteren Verlauf näher eingehen.

2. Das Verkennen der non-verbalen Kommunikation

Die Erkenntnis, daß der Novus Ordo und der Vetus Ordo zwei unterschiedliche Vorstellungen von gottesdienstlicher Teilnahme zum Ausdruck bringen, hat schwindelerregende Auswirkungen für die künftige liturgische Entwicklung der Kirche, darauf wird noch zurückzukommen sein.

Während der Liturgischen Bewegung begeisterten sich die Liebhaber an den wunderbaren Reichtümern der katholischen Liturgie und setzten alles daran, diese Reichtümer in all ihrer Pracht den Gläubigen näher zu bringen. Da sie Liturgiehistoriker waren, orientierten sie sich in erster Linie an den Texten, und so schrieben sie Mengen von sehr guten Büchern über die heilige Messe und von Kommentaren zum Kirchenjahr. Diese Bücher hatten auch großen Erfolg, aber sie wurden naturgemäß nur von einer kleinen Minderheit der Katholiken gelesen.

Im Lauf der Zeit stellten sich die Mitglieder dieser Bewegung die Frage, wie man diese Reichtümer in größerem Umfang für die Gläubigen zugänglich machen könne. Das Schreiben von Büchern hat schließlich nur begrenzte Auswirkungen – man muß etwas mit der Liturgie selbst machen. Sie versuchten eine ganze Reihe von Dingen. Es gab eine große Bewegung zur Wiederbelebung der Gregorianik, daher ermutigten sie die Gläubigen zum Gesang der soeben neu edierten Choräle des Ordinariums. Sie versuchten mit den zweisprachigen Missales die Leute dazu zu bringen, während der Messe den Text der Gebete zu lesen – schließlich konnte inzwischen jedermann lesen. In der Stillen Messe setzten sie sich dafür ein, daß die Leute die Antworten des Messdieners sprechen sollten.

Das sind im Grunde keine schlechten Ideen.Aber sie gehen alle in eine Richtung: Weil für die Liturgiker dieser Epoche – des frühen und mittleren 20. Jahrhunderts – die Texte im Mittelpunkt standen, wollten sie, daß sich auch die Gläubigen auf die Texte konzentrieren sollten. Sie kamen zu der Überzeugung, daß die Gläubigen nur dann wirklich an der Messe teilnehmen, wenn sie sie auf der Ebene der Texte verfolgen und verstehen. Dieser Gedanke fand seinen Weg in offizielle Dokumente. Pius X. sprach beispielsweise von ‚aktiver Teilnahme‛ im Zusammenhang mit seinem Bestreben, die Leute ans Singen zu bringen. Später war in einer Instruktion die Rede davon, die Übernahme der Antworten der Ministranten durch die Gemeinde stellten „eine vollkommenere Form“ der Teilnahme dar. Und seitens der Liturgiker wurde eine Kritik über die Art der Teilnahme der gewöhnlichen Katholiken an der Messe laut, da diese nicht gut genug geschult seien. Man bezeichnete sie als „stumme Zuschauer“. Es dauerte nicht lange, bis sie dahinter kamen, daß diese liebenswürdige Bezeichnung eigentlich auf alle Laien von – mindestens – dem 8. Jahrhundert bis 1930 und auf die große Mehrheit derer von 1930 bis 1964 zutraf. Diese Epoche der Liturgiegeschichte, in der die Messe wie wir sie kennen in vielfacher Weise Gestalt annahm, war nur eine tote Zone. Sie war spirituell wertlos.

Einige Liturgiker unternahmen eine letzte Anstrengung, um die wunderbaren Texte der liturgischen Tradition den Gläubigen näher zu bringen: Sie stellten Versuche mit der Zelebrationsrichtung zum Volk hin an, damit jedermann sehen konnte, was stattfand. Dann kamen sie dahinter, daß man die Texte, wenn die Leute sie verstehen sollten, auf jeden Fall besser laut und in der Umgangssprache vortragen müsse. Das leuchtet ein. Aber die Entwicklung ging weiter. Selbst laut gelesen und auf Englisch waren die Texte zu lang und zu kompliziert. Ihre Übersetzung in die Umgangssprache machte deutlich, daß sie für den ständigen Gebrauch in der Muttersprache der Gemeinde unbrauchbar waren. Außerdem erwies sich die Reihenfolge der Abläufe als verwirrend und (anscheinend) unlogisch. Und dann gab es noch die anderen theologischen Moden mit ihrer Abneigung gegen jede Betonung von Sünde, Buße oder die Heiligen. Das alles mußte weg.

An dessen Stelle bekamen wir ein Missale, dem die Gläubigen Wort für Wort folgen konnten, nach einiger Zeit auch ohne den Schott. Die Gebete waren einfach, die Riten kurz und auf das Notwendigste reduziert und (anscheinend) logisch. Das alles war in der Muttersprache, es war auf das Volk hin ausgerichtet, die Übersetzungen verwandten die kürzest möglichen Worte. Alles passte zusammen.

Ich habe schon früher einmal ein Wort des katholischen Soziologen Anthony Archer zitiert, das die Absurdität dieser ganzen Entwicklung auf den Punkt bringt:

Es war ein unfreundlicher Zug des Schicksals, der die neue Messe gerade dann zur Vollendung führte, als – anderswo – die Bedeutung der nicht-verbalen Kommunikation wiederentdeckt wurde.

Und das ist es, was der liturgischen Bewegung fehlte. Die Hochschätzung der nicht-verbalem Kommunikation ist durchaus vereinbar mit den Schriften ihrer früheren Befürworter wie z.B. Gueranger, der den Wert des Verstehens durchaus betonte. Aber während die Bewegung sich entwickelte und zu der Bewegung wurde, die dann den Novus Ordo hervorbrachte, wird deren Blindheit gegenüber nicht-verbaler Kommunikation (und ein damit einhergehendes Desinteresse an Gesten und sichtbaren Riten) immer deutlicher sichtbar und immer problematischer.

Aber was war denn eigentlich in alle den Jahren zwischen 700 und 1930 gewesen? Wie kam es, daß die vielen Heiligen von der Liturgie geprägt wurden? Im Gegensatz zu den arroganten Annahmen von Wissenschaftlern wie Jungmann, nahmen sie an der Messe teil, obwohl die die Worte des Canons nicht hörten, obwohl sie das Latein, selbst wenn sie es hörten, nicht verstanden. Sie verstanden alles auf einer tieferen, kontemplativen Ebene. Diese Art der Beteiligung an der Liturgie war tatsächlich besonders intensiv, weil sie nicht nur intellektuell war. Sie brauchen das nicht mir zu glauben – glauben sie es dem Katechismus der Katholischen Kirche von 1992, der zusammengestellt wurde, als das Konzept der nicht-verbalen Kommunikation langsam wieder in die Theologie zurückkehrte: 

2711 Der Eintritt in das innere Gebet ist der Eröffnung der Eucharistiefeier vergleichbar: Unter dem Antrieb des Heiligen Geistes „sammeln“ wir unser Herz und unser ganzes Wesen, leben wir bewußt in der Wohnung des Herrn, die wir selbst sind, und beleben wir den Glauben, um in die Gegenwart dessen einzutreten, der uns erwartet. Wir lassen unsere Masken fallen und wenden unser Herz wieder dem uns liebenden Herrn zu, um uns ihm als eine Opfergabe, die gereinigt und verwandelt werden soll, zu übergeben.

2716 Das innere Gebet ist Hören auf das Wort Gottes. Dieses Hören ist keineswegs untätig, sondern ist ein Gehorchen des Glaubens, ein bedingungsloses Empfangen des Knechtes und liebendes Einwilligen des Kindes. Es nimmt teil am „Ja“ des Sohnes, der Knecht geworden ist, und am „Fiat“ der demütigen Magd des Herrn.

2718 Insofern das innere Gebet am Mysterium Christi teilhaben läßt, ist es Vereinigung mit dem Beten Jesu. Das Mysterium Christi wird von der Kirche in der Eucharistie gefeiert; im inneren Gebet läßt es der Heilige Geist aufleben, damit es durch die tätige Liebe offenbar werde.

Ist das nicht erstaunlich? Hier wird doch tatsächlich das Gebet ohne Worte als Vorbild für die Teilnahme an der Liturgie dargestellt.

Allerdings ist das kein gutes Vorbild für die Teilnahme im Novus Ordo. Um es brutal zu sagen: Kontemplative Teilnahme ist hier nicht zulässig. Da gibt es zuviel Bewegung auf und ab, Hände schütteln, Antworten geben. Der Priester versucht, Ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die Texte verlangen nach Ihrer Aufmerksamkeit. Dei Leute verhalten sich spontan. Die Lesungen sind nicht vertraut und vielfach schwer verständlich. All diese Mittel wurden absichtlich in die Liturgie eingeführt um die Wort-für-Wort-Beteiligung zu unterstützen, die der Vorstellung seiner Schöpfer von „Teilnahme“ entspricht.

Das hat – folgt man den Befürwortern der Reform der Reform – natürlich auch seine Probleme. Der Messe fehlt etwas: Die Sakralität ist verschwunden. Daher wollen sie etwas Sakralität zurückholen. Sie richten ihre Aufmerksamkeit auf die Elemente der überlieferten Liturgie, die am meisten Sakralität auszudrücken scheinen, und wollen sie wieder einführen. Daher fordern und praktizieren sie den Gebrauch der lateinischen Sprache, die Zelebration ad Orientem, die Gregorianik usw. Das alles ist nicht schlecht. Aber als die Reformer erklärten, daß man all das zugunsten der Verständlichkeit opfern müsse, hatten sie nicht ganz unrecht. Aus der Sicht eines wörtlichen Verständnisses, der verbalen Kommunikation, liegt es auf der Hand, daß man dem Kanon auf Latein nicht so leicht folgen kann wie in der Muttersprache. Und wenn man nicht lippenlesen kann, ist das beim still gesprochenen Kanon noch schwieriger. Und nochmals schwieriger, wenn der Priester einem den Rücken zuwendet – wenn man nicht gerade Röntgenaugen hat.

Berühmt ist der Ausspruch von Papst Paul VI, der sich dabei auf Jungmann stützte, daß das Lateinische einen Vorhang bilde, der die Liturgie verschleiere – der müsse zurückgezogen werden. Ja, wenn man ein verengtes Verständnis von Teilnahme hat. Aber genau auf diesem Verständnis von Teilnahme, beruhte die ganze Reform.

Meine Schlußfolgerung daraus: Selbst wenn man die Texte und Rubriken der Ordentlichen Form mit allem Glanz und Gloria der Tradition anreichert, wird man doch nicht vollständig die Atmosphäre und die Dramatik hervorbringen, die uns in die alte Messe hineinzieht und eine tiefe Form der Teilnahme mit Herz und Geist ermöglicht. Aber man wird – vom Standpunkt der verbalen Kommunikation aus gesehen – einen Vorhang vor die Texte ziehen. Im Ergebnis können die Texte dabei unverständlich werden – gerade so, wenn man sie auf Latein vorträgt.

Das Problem ist also, daß man letztlich zwischen zwei Stühle zu stehen kommt. Der Novus Ordo verfolgt hinsichtlich der Form der Teilnahme einen völlig anderen Ansatz als die überlieferte Messe. So, wie der Versuch, die Gläubigen vor 1970 mit zweisprachigen Missales zu einem Wort-für-Wort-Verständnis der Messe zu führen, wenig überzeugende Ergebnisse brachte, wird auch der Versuch, sie auf der Basis des Missales von 1970 zu einer kontemplativen Teilnahme zu bringen, keine zufriedenstellenden Ergebnisse haben. Kontemplation kann man nicht einfach an- und abstellen.

3. Zwischen allen Stühlen

Der historische Ablauf hat uns eine Liturgie gebracht, die systematisch der dramatischen Elemente, der Gestik, des Geheimnisses, der Ehrfurcht und der Schönheit entkleidet worden ist. Ein wenig ist noch übrig, aber viel weniger als zuvor. Und das Entscheidende ist: Diese Entwicklung war kein Zufall, sondern gewollt und systematisch. Das Leitprinzip war:

Die hl. Messe soll leicht verständlich sein.

Dramatik, Dichtung, alles was den Augen verborgen ist oder in einer fremden Sprache geschieht, ist unweigerlich schwerer zu verstehen. Und wer könnte denn auch das Leitprinzip bestreiten? Aber die Reformer gingen unausgesprochen von der Voraussetzung aus, daß es allein um verbale Kommunikation gehe. Daher wollen wir diese Annahme auch offen mit aussprechen:

Die hl. Messe sollte auf der Ebene der verbalen Kommunikation leicht verständlich sein.

Und damit erscheint das Leitprinzip plötzlich schon viel weniger einleuchtend. Könnte es sein, daß das, was auf der verbalen Ebene leichter verständlich ist, tatsächlich weniger verständlich oder – um eine der Lieblingswendungen der Liturgiewissenschaft zu verwenden – „relevant“ ist, wenn man verbale und non-verbale Formen der Kommunikation zusammennimmt? Hw. Aidan Nichols OP hat dazu in seinem Buch „Looking at the Liturgy“ (S. 59) ausgeführt:

Für den Soziologen ist es ganz und gar nicht selbstverständlich, daß kurze, einfache Riten ein größeres Wirkpotential aufweisen als komplizierte, reich ausgeschmückte, verschwenderische und in die Länge gezogene Riten, die in einem ausgefeilten Zeremoniell ausgeführt werden.

So ausgedrückt wird die Sache ganz deutlich: Es ist ohne weiteres möglich, daß das Bestreben, die hl. Messe auf der Ebene des Wortes „relevanter“ zu machen, so abträgliche Auswirkungen auf ihre non-verbale Seite hatten, daß im Endergebnis etwas herausgekommen ist, das alles in allem weniger „relevant“ ist.

Dabei spreche ich von „verbaler Kommunikation“ im engeren wissenschaftlichen Sinne. Wenn wir ein Gedicht lesen oder ein Theaterstück sehen, haben wir zwar auch mit Worten zu tun, aber die Wirkung dieser Worte auf uns ist umfassender und komplexer als der reine intellektuelle Effekt, auf den es den Reformern ankam. Wir können auch Dinge, die wir nicht vollständig verstehen, würdigen – ein etwas dunkles Gedicht kann große Wirkung auf uns ausüben – aber die Reformer wollten, daß wir jede Silbe verstehen. Aus diesem Grund wollten sie in der (englischen) Übersetzung von 1974 nicht die Worte „Er nahm den Kelch in Seine Heiligen und Verehrungswürdigen Hände“ hören, wie es im lateinischen Text des Römischen Kanons heißt, sondern entschieden sich für „Er nahm den Becher“.

Der Soziologe Anthony Archer erwähnt noch einen weiteren Aspekt, den ich nicht vertiefen, aber auch nicht übergehen möchte: Rituelle Wirksamkeit. Die Gläubigen gingen bereitwillig zu einem Gottesdienst, wo sie das, was geschah, nicht sehen und einen großen Teil der Worte nicht verstehen konnten, weil das ganze Drum und Dran ihnen vermittelte, daß auf dem Altar etwas hoch Wichtiges stattfand. Er stellt dabei diejenigen, die annehmen, daß das Sakrale durch Teilnahme vermittelt wird, denen gegenüber, die mehr eine „rituelle Wirksamkeit“ betonen. Der Novus Ordo ist weit weniger als die überlieferte Messe dazu in der Lage, das Wesen der hl. Messe in der erstaunlichen Erscheinung unseres Herrn Jesus Christus im allerheiligsten Sakrament und seiner Aufopferung vor dem Vater zaufzuzeigen und uns damit geistig zu vereinen.

Doch davon wieder zurück zum Problem der Reform der Reform. Der Novus Ordo ist ganz und gar auf das sprachliche Verständnis hin ausgelegt. Er mag in anderer Hinsicht Defizite haben – die RdR-Leute berichten uns genug davon, – aber hinsichtlich der Verständlichkeit der liturgischen Texte ist er sehr gelungen. Sie werden sauber und deutlich meistens in der Muttersprache vorgelesen, oft mit elektrischer Verstärkung, und das Vokabular bringt keine Verständnisschwierigkeiten mit sich, zumindest bis zu den neuen Übersetzungen. Ja, auf der intellektuellen Ebene eines wörtlichen Verständnisses werden wir bestens bedient.

Es ist bedarf keiner besonderen Erwähnung, daß der Vetus Ordo auf einer anderen Ebene operiert. Die wichtigsten Sätze kann man noch nicht einmal hören, weil sie leiste gesprochen werden. Und wenn man sie hören könnte, wären sie auf Latein. Und trotzdem findet dieser Ritus seine Befürworter. Seine Botschaft kommt an, und das nicht trotz dieser Hindernisse bei der verbalen Kommunikation, sondern gerade durch jene Dinge, die eindeutig Hindernisse bei der verbalen Kommunikation darstellen. Die Stille und das Lateinische gehören zu den wirkungsvollsten Mitteln mit denen der Vetus ordo das mitteilt, was er mitteilt: das mysterium tremendum, die staunenswerte Wirklichkeit , daß Gott in der Liturgie gegenwärtig wird.

Wenn man dem Novus Ordo seine wörtliche Verständlichkeit nimmt oder dem Vetus Ordo das Lateinische und die Stille, entsteht daraus nicht die ideale Liturgie. Man gerät in die große Gefahr, etwas hervorzubringen, das weder Fisch noch Fleisch ist und das auf keiner der verschiedenen Kommunikationsebenen funktioniert.

Das ist nicht nur eine Frage des Ausgleichs und des Gleichgewichts. Zum ersten: Weil der ganze moderne Ritus auf Verständlichkeit im Gegensatz zu Mysterium hin entwickelt worden , dürfte es außerordentlich schwer fallen, eine revidierte Form des NO auf eine überzeugende Weise in die Aura des Geheimnisvollen zu hüllen. Und das gilt umgekehrt genauso: Da die Texte der überlieferten Form (in vielen Fällen) nicht darauf ausgelegt sind, laut oder in der Muttersprache vorgelesen zu werden, sind sie zu lang und konzeptionell sowie grammatisch zu kompliziert, um auf der verbalen Ebene wirklich gut zu funktionieren.

Zum zweiten und wichtigeren: Die beiden Formen der Teilnahme setzen zwei unterschiedliche und unvereinbare Haltungen auf Seiten der Gläubigen voraus. Auf der Grundlage des Teilnahme-Modells der Liturgiereform muß man jedes Wort aufnehmen und mit Akklamationen, Antworten, Händeschütteln usw. soweit wie irgend möglich mitbeteiligt sein. Nach der traditionellen Weise der liturgischen Teilnahme muß man sich kontemplativ und mit Herz und Seele auf die geheimnisvollen Rituale einlassen, die im Allerheiligsten ablaufen.

Beides erfordert eine gewisse Übung. Beide erfordern eine gewisse Formierung. Und wenn man erst einmal in der einen Weise formiert ist, kann man nicht einfach auf das jeweils andere liturgische Modell umschalten. Noch offensichtlicher ist es, daß man von den Gläubigen nicht (wie es von der RdF-Truppe oft vorgeschlagen wird) erwarten kann, in der ersten Häfte der Messe auf die eine Weise teilzunehmen und für die zweite dann auf das andere Modell umzuschalten: Erst eine anrührend-heimelige „Liturgie des Wortes“ in der Umgangssprache und dann ein Hochgebet vom Typ Moses auf dem Berggipfel.

Das ist auch wichtig für das Verständnis, warum viele Menschen (nicht alle) sich etwas unwohl fühlen, wenn sie an der Form der Messe teilnehmen, die sie nicht gewohnt sind. Sie haben über viele Jahre hin gelernt, sich in einer Weise an der Liturgie zu beteiligen, die ihnen geistlichen Gewinn oder doch zumindest Nutzen bringt. Wenn sie dann an der anderen Form teilnehmen, welche es auch sei, dann kommen sie damit nicht zurecht. Sie werden frustriert und haben keinen geistlichen Nutzen.

Um das auszuführen denke man an die Entwicklung der liturgischen Bewegung, die ich im vorhergehenden Abschnitt beschrieben habe. In den fünfziger Jahren legten die Liturgieexperten den größten Wert auf das wörtliche Verständnis, aber die damals bestehende Form der Messe kam dieser Form der Teilnahme durchaus nicht entgegen. Zwei alte Damen – heute ist die eine eine standfeste Verteidigerin der katholischen Rechtgläubigkeit und die andere eine führende liberale Aktivistin – erklärten mir unabhängig voneinander, warum sie seinerzeit den Novus Ordo begrüßten: Weil sie als junge Frauen versucht hatten, die hl. Messe Wort für Wort in ihren (Schott-ähnlichen zweisprachigen) Handmissales mitzuverfolgen, und es war nun eine große Erleichterung, daß das nun, da die Messe in leicht verständlichem Englisch zelebriert wurde, nicht mehr nötig war. Eine besondere Erleichterung war das für die eine von ihnen, die damals kleine Kinder hatte: Sie ruhig zu halten machte die Verwendung ihres Schott praktisch unmöglich. Die liturgische Formierung dieser frommen Damen – beide waren gebildete geborene Katholiken aus der Mittelklasse – hatte sie bereits für den Novus Ordo vorbereitet. Sie hatten versucht, an der traditionellen Messe in einer Weise teilzunehmen, die dafür nicht wirklich geeignet war. Damit repräsentierten sie eine ganze Gruppe gebildeter Katholiken am Vorabend des Konzils.

Ich habe nichts gegen Handmissales. Das Lesen und Verstehen der Texte kann sehr hilfreich sein, und die Bücher und Kommentare der liturgischen Bewegung, die die Reichtümer der überlieferten Liturgie erschlossen, sind eine große Errungenschaft, die ich allen empfehle. Aber die meisten Gläubigen, die die überlieferte Messe besuchen, legen ihre Bücher nach einer gewissen Zeit aus der Hand und machen sich keine Gedanken mehr darüber, ob der Priester während des Kanon nun bei dem einen oder anderen Absatz ist. Sie wissen, daß das Glockenzeichen sie zur Wandlung bereit machen wird. Es gibt hier eine gute Beschreibung von Hw. Bryan Houghton (in ‚Mitre and Crook, S. 44), der sich an die weniger selbstbewußten Gläubigen der Zeit vor dem Konzil erinnert:

Einige meditieren eine zeitlang, geben aber bald auf; andere blättern ohne großen Nachdruck in ihrem Gebetbuch, andere lassen gedankenlos den Rosenkranz durch ihre Finger gleiten, die meisten sitzen oder knien einfach so und lassen ihre Gedanken leer werden. Sie haben natürlich ihre Ablenkungen, aber soweit es ihnen möglich ist, sind sie andächtig. Man sieht, die Art, in der die überwältigende Mehrheit der Gläubigen betet, ist ein Zustand des ‚schlichten Hinsehens‛. (Ihre) menschjliche Aktivität isdt auf ein Minimum reduziert. Und dann geschieht das Wunder. Im äußersten Winkel ihrer Seelen, für sie selbst kaum wahrnehmbar, läßt sie der Hl. Geist ‚Abba, Vater‛ ausrufen, oder nach der Konsekration sanft den heiligen Namen ‚Jesus, Jesus‛ stöhnen. Sie beten an – oder genauer gesagt: Der Hl. Geist in ihnen betet an."

4. Der Novus Ordo auf Latein?

Im vorhergehenden Abschnitt habe ich ausgeführt, daß ein Kompromiss-Missale , das jeweils „Beste“ der ordentlichen und der außerordentlichen Form vereint, auf etwas hinauslaufen könnte, das die Gläubigen weder in der für den Novus Ordo typischen noch in der für die Tradition typischen Weise zur Teilnahme befähigt.

Die Vorstellung, daß man die überlieferte Lateinische Messe durch einige Änderungen – Gebrauch der Umgangssprache, lauter Vortrag stiller Gebete, Wendung des Priesters zum Volk – leichter zugänglich machen könne, beruht auf der Vorstellung, daß es nur eine Art von wirklicher Teilnahme gebe, und das sei die intellektuelle, verbale Teilnahme, daß das Verständnis von Liturgie darauf beruhe, daß man die liturgischen Texte Wort für Wort verstehen müsse, während sie gesprochen werden.

Aber wie ich gesagt habe, ist das eben nicht so. Es gibt eine andere Form der Teilnahme, die wesentlich mehr Mittel einsetzt, und nicht nur auf einer intellektuellen Ebene der Worte, sondern auf einer Reihe non-verbaler Ebenen operiert. Jeder, der mit der überlieferten Liturgie vertraut ist. Weiß, was ‚Agnus Dei‛ oder ‚Nobis quoque peccatoribus‛ bedeutet – dabei befinden wir uns auf der verbalen Ebene. Ich räume ein, daß man auf dieser Ebene wesentlich mehr Kommunikation erreichen könnte, indem man das Ganz in Alltagssprache übersetzt und elektronsich verstärkt – aber das würde das Empfinden der Sakralität zerstören und man hätte letzten Endes insgesamt, verbale und nicht-verbale Ebenen zusammen genommen, weniger Kommunikation als zuvor.

Ich habe auch darauf hingewiesen, daß in der umgekehrten Richtung etwas ganz Ähnliches geschehen kann. Wenn man zum Beispiel den Novus Ordo auf Latein verwendet, zerstört man viel von der intellektuellen und auf der verbalen Ebene angesiedelten Teilnahme, für die das Missale von 1970 entwickelt worden ist. Wird man zum Ausgleich wenigstens mehr Empfinden von Sakralität erreichen? Vielleicht. Aber aus dieser Perspektive gesehen ist der ganze Ritus falsch zugeschnitten, und die meisten Kirchgänger werden Schwierigkeiten haben, das auf angemessene Weise wahrzunehmen, da sie von Text und Zeremonien widersprüchliche Signale erhalten.

Bevor ich die überlieferte Messe entdeckte, habe ich jahrelang an der Messe nach dem Novus Ordo auf Latein teilgenommen. Wie viele andere fand ich die unaufhörlichen Anforderungen zur „aktiven Teilnahme", der man im regulären Novus ordo ausgesetzt ist, abstoßend und die englische Übersetzung misslungen. Das Latein milderte die irritierende Situation etwas, aber man blieb immer noch zu einer überwiegend intellektuellen Form der Teilnahme aufgefordert. Wir hatten kleine Latein-Englische Heftchen und alles wurde laut gesprochen, optionale Ausnahme waren nur die Gebete zur Gabenbereitung. (Tatsächlich gibt es im Novus Ordo noch ein paar weitere kurze Gebete, die vom Priester still gesprochen werden, aber der normale Gläubige in seiner Bank wird dessen kaum gewahr.) Wir wurden auf den lateinischen Canon durch eine typische, auf Einbeziehung ausgelegte Liturgie des Wortes in Englisch, mit Laienlektoren und allem Drum und Dran vorbereitet. Und unmittelbar nach der Konsekration mußten wir die ‚Eucharistische Akklamation‛ anstimmen. Es gab keine Zeit für stille Anbetung.

Für mich bedeutete das in gewisser Weise eine Vorbereitung auf die außerordentliche Form, die seinerzeit (so weit ich wußte) am Ort aber nicht erreichbar war. Ich wurde zum Beispiel mit dem Konzept einer Liturgiesprache vertraut und lernte einige der Texte kennen. Diese Messe hatte zwar eine gewisse Anhängerschaft, aber mir war bewußt, daß die meisten Katholiken sie nicht mochten. Und ihre Anhängerschaft hatte einige leicht erkennbare Merkmale. Ich möchte mich nicht in unzulässigen Verallgemeinerungen ergehen, aber es ist eine Tatsache, daß katholische Gemeinden in England darunter leiden, daß die verschiedenen Sonntagsmessen jeweils von unterschiedlichen sozialen Gruppen und Klassen mit Beschlag belegt werdeb, die sich dann gegeneinander abschotten. Ich beschränke mich auf die Feststellung, daß die Möglichkeit zum Besuch einer Novus-Ordo-Messe auf Latein nicht wirklich hilfreich war.

Der englische Novus Ordo ist eine intellektuelle Übung – freilich eine sehr leichte. Der lateinische Novus Ordo ist auch eine intellektuelle Übung, und dazu eine viel schwerere. Es hilft, wenn man ein wenig Latein kann – sonst findet man im Heft nur mit Mühe, wo man gerade dran ist. Man kann leicht zu der Annahme kommen, daß die überlieferte Messe, in der es noch viel mehr Latein gibt, in dieser Hinsicht quasi eine lineare Verlängerung darstellt – nur daß er noch schwieriger ist. Ich möchte die Mühe derer, die die Tradition der lateinischen Liturgiesprache über Jahrzehnte hin in der Kirche lebendig gehalten haben, nicht herabmindern, aber man muß es klar aussprechen:

Der Novus Ordo auf Latein ist durchaus geeignet, die Gläubigen von der überlieferten Liturgie abzuschrecken.

Ich weiß, daß er das tatsächlich kann, ich kenne Leute, bei denen das so gelaufen ist. In neun von zehn Fällen, in denen jemand von ‚elitärer‛ Liturgie spricht, gründet er diese Behauptung tatsächlich auf den lateinischen Novus Ordo.

Der lateinische Novus Ordo kann eine Brücke zwischen dem Novus Ordo in der Umgangssprache und der überlieferten Liturgie bilden; vielleicht war er das für mich auch. Aber für andere kann er etwas anderes sein, eher wie eines der trügerischen Leuchtfeuer, die Strandräuber aufstellen, um Schiffen vom Leuchtturm des sicheren Hafen weg und ins Verderben zu locken. Er kann Gläubige vom gesamten Konzept der lateinischen Liturgie gerade so abschrecken, wie einige übereifrige evangelikale Protestanten leuten die das ganze Christentum verleiden können.

Tatsächlich ist die überlieferte Liturgie weder ‚schwieriger‛ noch exklusiver. Das kann man leicht für sich selbst überprüfen, indem man an einigen gewöhnlichen Sonntagsmessen in der außerordentlichen Form teilnimmt: In aller Regel trifft man in der Gemeinde auf eine breite gesellschaftliche und bildungsmäßige Mischung, und wenn die Messe nicht gerade zu einer kinder-unfreundlichen Zeit stattfindet, trifft man jede Menge Kinder. Die Kinder werden den Besucher nicht anlügen: Wenn man sie anspricht, wird man erfahren, daß sie auf ihrer eigenen Ebene an der Liturgie teilnehmen. Lateinkenntnisse sind eine gute Sache, aber ihr Mangel ist in der überlieferten Messe heute ebensowenig ein Hindernis wie für unsere Vorfahren, und das aus dem einfachen Grunde, daß diese Form der Liturgie ein breites Spektrum von Mitteln einsetzt, um ihre Botschaft zu vermitteln.

Wenn man über die Zukunft nachdenkt und darüber, was für die Masse der gewöhnlichen Katholiken hilfreich sein könnte, dann zeugt die Idee einer Reform der Reform von einem fatalen Irrtum. Der Fehler liegt in der Annahme, man könne das, was in der einen Form attraktiv und wirksam ist, bei der Kombination mit dem Attraktiven in der anderen Form beibehalten. Das geht nicht, denn beide Formen sind inkompatibel. Wie ich schon mehrfach gesagt habe, auch in den Positionspapieren, fördern in der außerordentlichen Form genau die Elemente die non-verbale Kommunikation, die die verbale Kommunikation behindern: Latein, Stille, Wendung ad orientem u.s.w.. Jeder Versuch, die verbale Kommunikation in der überlieferten Liturgie zu stärken, wird das, was seine Anziehung und Wirkung ausmacht, zerstören.

Genauso wird der Versuch, der gewöhnlichen Form mehr Sakralität zu vermitteln, das radikal vermindern, was seine wesentliche Attraktivität ausmacht: Die Leichtigkeit der verbalen Kommunikation. Das heißt nicht, daß man es nicht versuchen sollte, aber man muß dabei extrem vorsichtig vorgehen. Es dürfte extrem leicht fallen, die Novus-Ordo-Liturgie in einer ganz normalen Pfarrei für den gewöhnlichen Kirchgänger als eine Art Zitterpartie erscheinen zu lassen. Soll man ihnen wirklich abverlangen, für die lateinischen Antworten (z.B. bei der ‚eucharistischen Akklamation‛) zwischen drei unvorhersehbaren verschiedenen Formen zu wählen. Will man es ihnen wirklich unmöglich machen, Vertrautheit mit dem Kanon zu entwickeln, wenn es vier und zumindest theoretisch noch viel mehr Optionen gibt? Sollen sie sich fragen müssen, ob sie zur ihrem Banknachbarn ‚Friede sei mit Dir‛ auf Latein sagen müssen, oder nicht doch besser ‚Et cum spiritu tuo‛?

Wenn wir etwas suchen, daß die größte mögliche Zahl von Gläubigen anziehen könnte, dann erfüllt die überlieferte Liturgie genau diese Anforderung. Es ist schon wahr: Einige Leute, die zum ersten Mal daran teilnehmen, kommen überhaupt nicht damit zurecht. Sie versuchen es mit der im Novus Ordo üblichen Weise der Teilnahme, und das geht daneben. Deshalb braucht es schon ein wenig Eingewöhnung und die Überwindung der Annahme, daß das intellektuelle Verständnis auf einer Ebene Wort-für-Wort die einzig mögliche Teilnahme sei. Das erreicht man jedoch definitiv nicht dadurch, daß man die überlieferte Liturgie dieser Form der Teilnahme angleicht – damit wird nur das zerstört, was man doch fördern will.

Aber es ist auch wahr, daß viel mehr Gläubige erkennen, worum es geht, wenn sie ein paar mal an der überlieferten Liturgie teilgenommen haben. Und deshalb ist es oft sinnvoll, wenn eine überlieferte Liturgie in einer Pfarrei zusätzlich zur ordentlichen Form angeboten wird, damit die Gläubigen sie gelegentlich erproben können. Allmählich begeistern sich dann mehr und mehr dafür. Wenn diese Möglichkeit landesweit geboten würde, kämen wir hinsichtlich der Restauration der Liturgie endlich voran. Aber im Moment hat freilich nur eine kleine Minderheit der Katholiken die Möglichkeit zur Teilnahme.

5. Was ist mit 1965?

Ein Grund, warum viele wohlmeinende Gläubige eine Reform der Reform wollten, besteht darin, daß das Zweite Vatikanum in Sacrosanctum Concilium eine Reform der Liturgie verlangte. Da nun einige die Hoffnung auf Flickwerk am Novus Ordo aufgegeben haben, erscheint es ihnen als Alternative, auf den Stand von 1962 zurückzugehen und erneut eine Reform nach den Kriterien des Konzils zu versuchen. Also die ‚Reform, die eigentlich hätte sein sollen‛. Hw. Sommerville-Knapman meint, diese hätte wie das Übergangsmissale von 1965  aussehen sollen. Hw. Mark Kirby zielt in die gleiche Richtung, freilich etwas ausführlicher.

Als erstes ist dazu zu sagen, daß es damals keine neue Ausgabe des Missales gab, sondern nur eine Reihe von Änderungen, die mit der Instruction: Inter Oecumenici verfügt wurden. Ein weiterer Satz Änderungen kam 1967, und 1969 kam dann die neue Missa Normativa heraus. Inter Oecumenicselbst enthält die Aussage, daß darin

Maßnahmen erlaubt oder vorgeschrieben werden, die bereits vor einer Revision der liturgischen Bücher direkt unmgesetzt werden können.

Und an anderer Stelle:

Bis zu einer Reform des gesamten Ordo Missae sind die folgenden Punkte zu befolgen: ...

Am meisten ins Auge unter diesen „Punkten“ ist die Erlaubnis, den größten Teil der Messe in der Volkssprache zu feiern (der Rest folgte zwei Jahre später), daß einige bisher leise gebetete Gebete nun laut vorzutragen waren, daß der Psalm Judica an den Stufen des Altars sowie das Schlussevangelium und die Leoninischen Gebete entfallen und daß die Messe zum Volk hin gefeiert werden solle (nicht müsse). Es ist bemerkenswert, daß außer dem „unfangreicheren Gebrauch der Volkssprache" keine dieser Veränderungen unmittelbar auf das Konzil zurückgeht.

Was ist zu diesen Veränderungen zu sagen? Die Abneigung gegen die Stille in der Liturgie hat sich seit 1965 vollkommen umgekehrt. Papst Benedikt hat in einer seiner Weltjugendtags-Botschaften ausgeführt,

Oft ist es zum Beispiel das Schweigen, das die tiefste Kommunikation vermittelt...

Und im Geist der Liturgie sagt er zu den stillen Gebeten der hl. Messe:

Die Zahl dieser Privatgebete des Priester wurde in der Liturgiereform stark verringert, aber Gott sei Dank gibt es noch einige.

Das ist nicht gerade eine begeisterte Zustimmung zu 1965 (s. Dazu auch das Positionspapier von Una Voce.)

Die Messe in Richtung der Gemeinde ist vermutlich der Aspekt der Reform, der auch von denen am meisten kritisiert wird, die im Übrigen das Missale von 1970 unterstützen. Die Kritik von Kardinal Ratzinger in „Der Geist der Liturgie“ ist nachgerade vernichtend. Das Positionspapier  von Una Voce verweist auf eine bemerkenswerte Predigt von Kardinal Schönborn, gehalten vor Papst Johannes Paul II. über die Bedeutung des Gottesdienstes ‚obviam sponso‛ - Schönborn ist nun wirklich kein Traditionalist. Hw. Michael Langs Buch zum Thema, dem Kardinal Ratzinger ein Vorwort beisteuerte, weist die schweren wissenschaftlichen Fehler nach, die damals bei der historischen Begründung der Gebetsrichtung versus populum begangen wurden.

Der Psalm Judica und das Schlussevangelium sind nun in der Liturgie des anglikanischen Ordinariats zurückgekehrt. Der Konsens der 50er und frühen 60er Jahre, nach dem es sich dabei um nutzlose Aufblähungen der eucharistischen Liturgie handle, ist verflogen – selbst bei der Gottesdienstkongregation.

In all diesen Fragen beruhte der damalige Konsens auf einem funktionalistischen Herangehen an die Liturgie. Man arbeitet heraus, was in der Liturgie geschieht, und entfernt alle Elemente, die nicht daran mitwirken. Diese Epoche schenkte uns auch funktionalistische Ansätze in allen anderen Lebensbereichen: Funktionalistische Bauwerke, die jede Dekoration und jede Eleganz vermissen ließen, weil man diese Dinge für die Grundfunktion eines Gebäudes, die Bewohner trocken und warm zu halten, nicht benötigt. Der Grundgedanke wäre noch nicht einmal so schlecht, wenn seine Befürworter nicht einen so verengten Begriff von Funktion hätten – ist das wirklich alles, wozu wir Bauwerke haben? Aber das ist nun Schnee von gestern und gehört nur noch in die Geschichtsbücher. Wollen wir wirklich nach den längst aufgegebenen Theorien der 60er Jahre leben? Können wir uns nicht die Ergebnisse der Wissenschaft seitdem zunutze machen?

Hw. Kirby meint, daß zur damaligen Zeit die Veränderungen von 1956 als Abschluß der Reform aufgefasst wurden, aber dem widerspricht schon der Text des Dokuments, das die Änderungen verfügte, sowie die Tatsache, das keine neue Ausgabe des Missales herausgebracht wurde. Er zitiert den damaligen Kardinalstaatsekretär Cicogni , der geschrieben hatte „der hervorstechende Zug und die große Bedeutung dieser neuen Ausgabe besteht darin, daß sie vollständig den Absichten der Konstitution des Konzils zur heiligen Liturgie entsprechen“. Sofern er nicht einen falschen Eindruck hervorrufen wollte oder selbst unter einem falschen Eindruck stand, hat Cicognani damit sicher gemeint, „soweit sie jetzt gediehen sind."

Tatsächlich sind die armen Tröpfe in den Kirchenbänken von Kardinal  Heenan absichtlich in die irre geführt worden, (wie er später auch zugab) um sie von einem Aufstand abzuhalten. Aber damals hatten normale Katholiken eben noch keinen leichten Zugang zu offiziellen Dokumenten.

Außerdem muß ich Hw. Kirby und Hw. Sommerville-Knapman auch hinsichtlich der Übereinstimmung der Maßnahmen von 1965 mit den Vorgaben des Konzils widersprechen. Wie schon angemerkt, gehen sie in einigen Punkten darüber hinaus, während sie in anderen dahinter zurückbleiben. Sie hatten noch nicht den mehrjährigen Lesezyklus umgesetzt, wie er in SC ausdrücklich erwähnt ist. Auch die Veränderungen, die später mit der Rede des Konzils von der „edlen Schlichtheit“ und der „leichten Verständlichkeit“ gerechtfertigt wurden, waren 1965 noch nicht umgesetzt; einige davon erfolgten 1967.

Warum das so war ist kein Geheimnis. 1965 bedeutet keine unverfälschte Stufe der Reform, bevor die bösen Jungs ans Ruder kamen. Es bedeutet exakt das, was auch gesagt wurde: Die Veränderungen, die aus einer rein praktischen Perspekte am leichtesten umzusetzen waren. Dazu benötigte man kein neues Missale, keine Approbation neuer Texte und keine Entwicklung eines komplizierten Lektionars für mehrere Jahre. Es genügten einige Anmerkungen, die man mit Filzstift im bestehenden Missale eintragen konnte. Als Inter Ökumenici erlassen wurde, waren die Arbeiten am kompletten Ordo Missae schon in vollem Gange. Die Grundzüge des neuen Lektionars wurden bereits auf einer Zusammenkunft des Consiliums im April 1964 beschlossen. Hochwürdige Herren, nehmen Sie ihre Exemplare von Bugninis „Reform of the Liturgy“ zur Hand und sehen Sie selbst; dort steht es auf S. 410.

Wie ich zur Einleitung dieses Abschnitts bereits gesagt habe, besteht einer der Gründe für die Zuflucht zu 1965 und zur Reform der Reform-Bewegung überhaupt in der Vorstellung, man müsse seine Loyalität gegenüber dem Konzil, das nun einmal eine Liturgiereform verlangt habe, dadurch nachweisen, daß man auch eine Reform durchführe – wenn auch nicht unbedingt die, die es dann tatsächlich gab. Die hier gezeigte Loyalität gegenüber Mutter Kirche ist aller Ehren wert, und ich möchte sie nicht kritisieren. Aber wir müssen zweierlei bedenken:

Zum Ersten: Sacrosanctum Concilium ist ein Kompromiss zwischen dem, was ziemlich radikale Reformer wollten und dem, was die Väter des Konzils akzeptieren würden. (Die Radikalen praktizierten längst die Zelebration zum Volk hin, den Handschlag beim Friedensgruß, weitgehende Verwendung der Muttersprache usw.) Dieser Kompromisscharakter bedeutet aber, daß wir die wirkliche Bedeutung dieses Dokuments nie zur allgemeinen Übereinstemmung klarstellen können.

Zum Zweiten: Jeder Reformvorschlag ist notwendigerweise auch eine Sache der praktischen Klugheit. Die Väter des Konzils waren nicht dumm, und ihre Berater waren nicht böse. Aber sie waren eben all den Schwierigkeiten unterworfen, die die kluge Abwägung komplizierter Zusammenhänge mit sich bringt, bei denen man die letzten Konsequenzen der verschiedenen Vorschläge unmöglich übersehen kann. Man muß bedenken, daß die Kirche niemals zuvor einen derartig weitgespannten Reformversuch unternommen hatte.

Soll heißen: Wir sind nicht unter Sünde verpflichtet, eine Reform der Bücher von 1962 vorzunehmen, weil das Konzil sie verlangt habe. Wäre dem so, wäre Papst Benedikts Motu Proprio Summorum Pontificum nicht möglich gewesen. Aber erlaubt es uns nicht nur, uns weiterhin der überlieferten Liturgie zu erfreuen, sondern er legt uns in dem Begleitbrief an die Bischöfe eine Verpflichtung auf:

Es tut uns allen gut, die Reichtümer zu wahren, die im Glauben und Beten der Kirche gewachsen sind und ihnen ihren rechten Platz einzuräumen.


Damit ist die Übersetzung des Textes von Joseph Shaw abgeschlossen. Das Original finden Sie auf seinem Blog LMS Chairman.

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