Eine Kirche für die Prärie
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- 26. Oktober 2023
Im Mai haben wir über die Einweihung der neuen Kirche der Piusbruderschaft in St. Marys in Kansas berichtet und auf das Video von der Konsekrationsliturgie verlinkt – es ist auch heute noch ansehenswert. Eine Frage, die wir uns damals gestellt haben und mit Bordmitteln nicht beantworten konnten: Was um alles in der Welt soll eine 4000 Menschen fassende Kirche in einer Kleinstadt mit 2700 Einwohnern im sehr ländlichen Kansas, wo die Nachbarorte Maple Hill oder The Meadows heißen? Gut, die Staatshauptstadt mit dem Indianischen Namen Topeka ist nur 40 km entfern, für amerikanische Verhältnisse nur einen Katzensprung – aber die 125 000 Einwohner von Topeka (das ist etwa die Größenordnung von Wolfsburg oder Bottrop – machen den Kohl auch nicht fett und den Klingelbeutel nicht voll. Insgesamt hat Kansas gerade einmal 2,3 Millionen Einwohner, von denen weniger als 20% katholisch sind. Was also soll so eine Riesenkirche mitten in der Prärie, wo vor 180 Jahren noch der Stamm der Potowatomi lebte?
Eine erste Antwort auf diese Frage gibt schon der Ortsname St. Marys – das klingt jedenfalls nicht sehr indianisch. Tatsächlich ist der Ort eine Gründung von Jesuiten, die 1848 – das war gerade 20 Jahre nach der Freigabe dieses Teils des „Wilden Westens“ für die Besiedlung – an diesen Ort kamen und einen Missionsstützpunkt gründeten, den sie „St. Marys Mission“ nannten. Die erste Kapelle – ein sehr schlichter Baus in Blockhausbauweise – wurde 1851 eingeweiht. Schule, Krankenstation und was man sonst noch für die Mission braucht, kamen innerhalb weniger Jahre dazu. Säkulare Einrichtungen General Store, Bank, Poststation und sicher auch Saloons folgten, und 20 Jahre später wurde die so entstandene Ansiedlung offiziell als Stadt gegründet – ihren Namen übernahm sie von der Missionsstation.
Tatsächlich blieb diese Station noch auf Jahrzehnte hinaus das Zentrum der Ansiedlung. Ende des 19. Jahrhunderts hatten die Jesuiten, die damals noch mehrheitlich katholisch waren, dort ein großes College mit Seminar errichtet, aus dem bis in die 60er Jahre mehr als 300 Priester hervorgingen. Die Ausbildung war gut, viele ehemalige Schüler des College hatten gute Jobs – aus ihren freigebigen Spenden konnte bereits 1906 die im Übergang von der Neogotik zum Jugendstil stehende Kirche der Immakulata erbaut werden.
Und dann brach der „neue Frühling“ aus. Die Seminaristenzahlen gingen zurück, die Seminare wurden in die attraktiveren (für wen und weshalb eigentlich?) Großstädte verlegt, und bereits 1967 gaben die Jesuiten den Standort auf. Es folgten 10 Jahre Leerstand und Verfall – bis 1977 die Piusbruderschaft die insgesamt 12 Gebäude übernahm und begann, für eine „Wiederinbetriebnahme“ herzurichten. Besonders angetan hatte es der Bruderschaft und Erzbischof Lefebvre die große Kirche. Doch dann ein Jahr später die Katastrophe: Bei Renovierungsarbeiten geriet das Dach der Kirche in Brand und stürzte ein, später folgten bei einem Sturm noch große Teile des Mauerwerks. Totalschaden.
Trotz des Verlustes der Kirche gingen die Arbeiten an den etwa 500m entfernt gelegenen College-Gebäuden weiter, so daß die Bruderschaft dort später ihre Neugründung Saint Mary’s Academy and College einrichten konnte. Das ist heute eine höhere Schule mit Internat und angeschlossenem College für insgesamt etwa 1000 junge Leute. Das Refektorium des ehemaligen Seminars wurde so umgebaut, daß dort würdige Gottesdienste gefeiert werden konnten. Dieser Kirchenraum bot jedoch kaum mehr als 250 Plätze und war sonntags trotz fünf oder mehr Messterminen schon bald ständig überfüllt . Auch der Umzug in eine größere (und weniger geeignete) Aula brachte nur kurzfristig Entspannung – der Zustrom der Besucher wuchs und wuchs. Von hier aus ist nicht zu sehen, in welchem Zustand Liturgie und Pastoral der Kirche in Kansas sind. Jedenfalls nahmen immer mehr Katholiken - oft Familien mit 5 oder mehr Kindern - eine Fahrt von 100km auf sich, um wieder katholische Luft zu atmen. Bereits zu Anfang der 2000er Jahre kamen jeden Sonntag um die 2000 Menschen zum Gottesdienst – inzwischen sind es oft 4000.
So war zu Anfang des Jahrhunderts der viele Jahre lang wegen der Notwendigkeit zum Erhalt und Ausbau der Schulgebäudee aufgeschobene Neubau der Kirche der Immaculata an die erste Stelle der Prioritätenliste gerückt. Erste Bau- und ausgefeilte Einwerbepläne für Spenden wurden ausgearbeitet – und wieder waren es gut ausgebildete, gut verdienende und dankbare Absolventen der nun von der Piusbruderschaft geleiteten Schulen, die einen großen Teil der erforderlichen Mittel aufbrachten.
Würdiger Gottesdienst und grundkatholische – und das heißt auch: grundsolide – Schule. Diese beiden Begriffe bezeichnen die Ausgangspunkte für eine bemerkenswerte Entwicklung, die in den 80er Jahren einsetzte und in deren Verlauf sich St. Marys zu einem Ort mit katholischer Bevölkerungsmehrheit entwickelte, der ganz wesentlich von diesen Schulen und dem Apostolat der Piusbruderschaft geprägt ist – und in keiner Weise die Atmosphäre eines sektiererischen Rückzugsortes für Zuspätgekommene ausstrahlt, wie sie etwa den Siedlungen der Amishen nachgesagt wird. Aber die auch orthodoxen Katholiken nicht fremde „Amish-Temptation“ wollen wir an einem dafür besser geeigneten Zeitpunkt betrachten.
St. Marys ist nach wie vor eine typische amerikanische Kleinstadt mit allem was dazu gehört. Bilder des Ortes sind im Internet und auf den Webseiten der FSSPX kaum zu finden – das ist alles so gewöhnlich, daß, kein Mensch auf den Gedanken kommt, ein Photo davon zu machen. Aber für unsereinen gibt es ja Google Earth - Eingabe von „St. Marys, Kansas“, genügt. Der Bahnhof ist demnach auch nach über einem halben Jahrhundert nicht mehr als ein Halteplatz, es gibt die üblichen Geschäfte und Reparaturbetriebe, alles ist stark auf die Landwirtschaft ausgerichtet.
Die Buchhandlung am Ort – sowas gibt es nicht in jeder amerikanischen Kleinstadt – heißt „Immaculata Bookstore“ und liegt direkt gegenüber dem „Sugar Creek Country Store“ direkt in der Ortsmitte. Ein holzverarbeitender Betrieb, der Tisch- und Thekenplatten herstellt, heißt „Sarto Countertops“ - nach dem großen Papst, oder bloß nach dem Familiennamen des Besitzers? Es gibt ein staatliches Schulezentrum, ein Sportzentrum mit drei Tennisplätzen und 5 Baseball-Courts und etwas außerhalb einen Golfplatz. Ein deutsches Stadttheater sucht man gottlob vergebens, aber auf einem von der Bruderschaft zur Verfügung gestellten Gelände findet jedes Jahr das Flint Hills Shakespeare Festival statt. Im übrigen steht für das Kultuangebot eine öffentliche Bibliothek mit dem schönen Namen „Pottawatomie Wabaunsee Regional Library“. Keine Ahnung, in welcher Sprache das was bedeutet. Aber man möchte wetten, daß dort keine „Drag Queen Story Hour“ stattfindet, die es in vielen amerikanischen Orten den Eltern verleidet, ihre Kinder in die Bücherei zu schicken. Bevor ich es vergesse: Eine katholische Kirche des Bistums gibt es dort auch. Das Gebäude stammt aus der Blüte der Jesuitenzeit – aber hier ist montags „liturgiefreie Tag“, während die Kirche der Bruderschaft jeden Werktag mindestens drei Messen anbietet. Nicht aus Raummangel – den gibt es nicht mehr – sondern zu verschiedenen Tageszeiten.
Das alles ist so amerikanisch-normal, wie es im Bilderbuch steht – und mitten in dieser Normalität stehen Kirche und College der Piusbruderschaft und passen perfekt ins Bild: Das bestreben nach beharrender Normalität haben konservative Katholiken mit vielen Amerikanern, die abseits der großen Babylon-Zentren leben, gemeinsam. Zum unnachahmlich-amerikanischen dieses Bildes gehört aber nicht nur die große Schule der Bruderschaft, die in keiner Weise durch eine so freiheitsfeindliche Gesetzgebung eingeschränkt ist wie in Deutschland, wo das von den Nazis errichtete praktische staatliche Bildungsmonopol auch von den angeblich liberaleren Parteien erbittert verteidigt wird. Dazu gehört auch eine große materielle Opferbereitschaft und Mobilität, die viele Amerikaner den Europäern und insbesondere den Deutschen voraushaben. Seit den 90er Jahren sind hunderte von katholischen Familien, denen ein normales Leben am Heimatort kirchlich und gesellschaftlich schwer gemacht wurde, nach St. Marys gezogen – auch wenn das zunäöchst sowohl beruflich wie auch sozial vielen nicht leicht gefallen sein dürfte. In Arbeitslosigkeit und Armut hat das anscheinenden niemand gestürzt, wenn wir unserer „Luftbildauswertung“ vertrauen dürfen.
Vieles ist auch nur eine Frage der Prioritätensetzung. Und wenn auch die Rahmenbedingen und die Mentalität in den USA in vielen wichtigen Punkten sehr verschieden sind und ein deutsches St. Marys kaum denkbar erscheint – Grund zum selbstkritischen Nachdenken gibt das allemal.