Motu Proprio: Summorum Pontificum

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Zusatzinfo

40 Jahre Novus ordo missae

Semper idem. Wie neu ist die "neue Messe" eigentlich?

Von Franz Norbert Otterbeck

4. 4. 2009

Hier veröffentlichen wir den dritten und letzten Beitrag aus der Serie von F. N. Otterbeck zu „40 Jahre Novus Ordo Missae“. Die beiden vorhergehenden Teile erschienen am 24. 3.: Papst Paul VI. und das „Geheimnis des Glaubens“ und am 2. 4.:Liturgiereform per Einlegeblatt

Die Konstitution "Missale Romanum" von 1969 verwendet gelegentlich das Wörtchen neu. Daran ist nicht zu rütteln. Das Konzil wollte eine Reform; und der zuständige Papst hat sie, nach der Übergangsordnung von 1965, dann für 1970 in Kraft gesetzt. Der sehr kurze Text mit Gesetzeskraft (für den ganzen lateinischen Ritus) erwähnt, dass älteste Quellen neu erschlossen wurden. Er verweist auf neue Präfationen aus der alten Tradition, aber auch auf neu verfasste. Es gibt drei neue Texte für das Hochgebet, zuzüglich zum Canon missae; diese von Kardinal Ottaviani gutgeheißen. Die Neufassung der sakramentalen Einsetzungsworte soll für alle Zelebrationen des römischen Ritus gelten. Als wiederhergestellt nach der Norm der Väter nennt Paul VI. die Homilie, die Fürbitten und den Bußakt zu Beginn der Messe. Genannt werden auch neue Orationen, die den "neuen Bedürfnissen unserer Zeit entsprechen". Die Anpassung des Römischen Messbuchs an das Empfinden "unserer Zeit" hat aber die heftige Kritik hervorgerufen, die zu Beginn der 1970-er Jahre die Einheit der Kirche zu gefährden schien. Wie das Konzil selber, so wurde auch die Liturgiereform von weiten Kreisen der Reformer nurmehr als Startschuss für einen Aufbruch in eine neue Identität des Christlichen interpretiert. Man kann das "Neomodernismus" nennen, greift damit aber noch zu kurz. Denn die Verzweckung der Liturgie für "neue Ziele" greift weit über das hinaus, was um 1900 manche Theologen für zwingend hielten. Deren Modernismus war ein Wissenschaftsproblem, das auf teils richtige Fragen unzureichende Antworten servierte. Das Beten der Kirche aber von "neuer Lehre" abhängig zu machen, das ist ein noch viel brutalerer Angriff. Er wurde, Gott sei Dank, nur von Wenigen bis zu diesen Konsequenzen geführt.

Aber das Experimentieren der 1960-er Jahre bot solche Angriffsflächen. Die Messordnung von 1969 schien diese nicht streng genug auszugrenzen, vielleicht sogar auszuweiten. Der Liturgietraditionalismus zitiert daher besonders gern das "kurze kritische Examen", das mit dem Namen von Alfredo Ottaviani verbunden wurde. Gab es aber die so gen. "Intervention" der Kardinäle Ottaviani und Bacci gegen den "NOM"inalismus wirklich? Welchen Zweck hatte sie? Der Liturgiewissenschaftler Martimort erinnert sich daran so: Der Brief der Kardinäle an den Papst vom 25. September 1969 begleitete eine theologische Ausarbeitung, die Häresie im "Novus Ordo" vermutete. Aber deren Autoren waren nicht die Kardinäle. Auch sollte der Brief nicht veröffentlicht werden. Der römische "Messaggero" titelte am 30. Oktober 1969: "La nuova messa ,eretica' e ,profanatoria'." Manche fragten sich zweifelnd, ob der erblindete Ex-Präfekt der Glaubenskongregation das "breve esame" überhaupt je gelesen hat. Ottaviani beteuert dann brieflich, dass er die Veröffentlichung seines Briefes bedaure und zeigte sich erfreut, über die erläuternden Ansprachen, die Paul VI. im November 1969 zur Messordnung formulierte (cfr. Documentation catholique 67/1970, S. 343), sah aber noch viel kluge, intelligente, katechetische Arbeit kommen. Jawohl.

Papstkritik ist bekanntlich nicht verboten. Wird sie klug geübt, führt sie auch zu Antworten. Einen Teil der fehlenden Katechese verfügte der Papst alsdann durch das "Prooemium" zum Missale 1970 selber, das die aufgeworfenen Fragen zu beantworten erstrebte. Auch wurde die heiß umstrittene Nr. 7 ("Sacra synaxis") in der Erstfassung der Institutio generalis zum Messbuch um tridentinische Formulierungen ergänzt. Klares Signal: Innovation ja, "Bruch" nein! Liturgische Institute hier und da interessierte die Institutio aber wenig. Da hatte die Kreativität längst das Oberwasser. Wir gründen eine Liturgiefabrik! Die Devise von Johannes XXIII. war längst vergessen. Der führte nicht "Avanti, aggiornamenti!" im Wappen, sondern: Oboedientia et pax; Gehorsam schafft Frieden. Wie schwer ist das.

Ist das Hl. Opfer vor und nach der Reform noch immer dasselbe? Wir können hier nicht alle Fragen aufwerfen; und auch nicht beantworten. "Sacra synaxis", heilige Versammlung also, als alleiniger Begriff für die Messe musste ausscheiden. Man kann auch damit was Richtiges sagen: Die Getauften versammeln sich um den Herrn, der durch seinen Priester besonders repräsentiert wird. Aber ohne Sakrament keine Heiligung der Versammlung. Die Gemeinde verfügt nicht autonom über den, der selber sie zusammenruft. Von Bedeutung ist allerdings auch die Frage, welche ihrerseits oberflächlichen, übertriebenen, ungenauen, leidenschaftlichen und falschen Behauptungen seinerseits die Kritik am "Novus ordo" enthält. Es gab im 20. Jahrhundert keine vertrottelten und kein bösartigen Päpste. Der Anwalt empfiehlt also: Abrüsten.

Wir wissen doch längst: Die quasi-kongregationalistische Ideologie "gottesdienstlichen Tuns" im Stil der 1970er Jahre hat keine Zukunft; das belegen die Fakten. Es sind gerade die frommen Beter, die sich empört oder nur gelangweilt abwenden, wenn sich ein Prediger und Liturge ihnen gegenüber zu sehr als "Lichtbringer" neuer Erfahrungswerte in Szene setzt. Insoweit bleibt der praktizierende Katholik mit Recht zuhause, wenn die "Show" nur noch nervt. Auf die Come-together-Tour wird nix aus der liturgischen Erneuerung. Man hätte es ahnen können. Auch Paul VI. wollte sowas nie, wie nicht nur seine Schrift zum Mysterium fidei (1965) anzeigt, sondern etliche Gelegenheitsansprachen dazu. Der Katholizismus kann um seiner Identität willen auch nicht in Wettbewerb treten mit mehr oder weniger evangelikalen Volksaufklärern, die sich an der Extase der Conventions bereichern. Eine der wichtigsten der frühen Einsichten der Kirche war: Im Zweifel ist das Amt befugt, nicht das Quasi-Charisma. Sonst verrät die Kirche gerade die Minderbegabten und die Armen.

Aber "unsere Zeit", von der die Liturgiereform sprach, das waren nicht nur die wüsten Jahre ihres Inkrafttretens. Damit waren die wirklich neuen Horizonte gemeint, wie man den Dialogues avec Paul VI, die der Liturgietraditionalist Guitton 1967 publizierte, auf fast jeder Druckseite entnehmen. Neue Horizonte, neue Gefahren. Das ist nicht immer sofort bloß "Modernismus". Jede Zeit stellt neue Fragen. Das verkündet auch das Krisenjahr 2009. Dennoch ist es würdig und recht, dass die eine Frage von Guitton, 1976 und 1986 und öfter vorgetragen, jetzt ihre gerechte Antwort fand, wohl fast in letzter Minute: "Pourquoi n'est-il pas possible de permettre des deux rites?" Auch dem älteren Brauch eine Zukunft auftun, das ist eine sehr schlaue Korrektur gegen gewisse Bilder von der "Geschichtlichkeit". Und schon deshalb dringlich, ganz gleich, wieviel Nachfrage sich je noch ergibt.

Seither scheidet die Argumentation damit aus, die Liturgiereform sei eine Attacke "des" Modernismus. Sie gehört eigentlich sogar zur Widerlegung desselben: In "letzter Minute" ereignete sich aber auch zuvor die große Liturgiereform für das 21. Jahrhundert; man vergewissere sich nur ihres Horizonts. Das Sakrament, in der Einheit der einen Kirche, es will alle Kontinente erreichen! Eine größere Plausibilität der Messe für die Vielen beugt der Gefahr vor, Liturgie nur als ewiggestriges Ritual überlegen "abzutun". Die Freunde der alten Messe werden aus ihrem Engagement ihrerseits allmählich das ausscheiden, was daran auch nur Mode, Reaktion, aktuelle Nostalgie war. Die große Masse wird aber wieder lernen, die Messe zu beten, wie es schon der Hl. Pius X. empfahl. Denn wir Beter alle müssen aus den Fallstricken einer deutsch-ideologischen Weltsicht à la Hegel zügig herausfinden; und anbetend hin zur "Civilization of love". Auch das ist, richtig gedeutet, ein anderes Wort für Eucharistie.

Die starke Formulierung „Seither scheidet die Argumentation damit aus, die Liturgiereform sei eine Attacke "des" Modernismus. Sie gehört eigentlich sogar zur Widerlegung desselben“ erfordert unseres Erachtens eine Kommentierung.

Es gibt keinen Grund, Papst Paul VI. modernistische Neigungen zu unterstellen - seine Schriften sprechen eine klare Sprache dagegen. Bei Annibale Bugnini und einigen anderen Mitgliedern des Consilium sind wir uns da nicht so sicher - Bugninis Schriften sprechen eine äußerst unklare Sprache, und das Geheimnis, wieso Paul VI. ihm so lange sein Vertrauen schenkte, bedarf noch der Aufklärung. Aber auf die subjektiven Beweggründe der Architekten des Novus Ordo, die zum Teil nachweislich von modernistischen Vorstellungen geprägt waren, kommt es nur begrenzt an. Tatsache ist, daß die Implementierung der Reform in der Liturgie, dem Herzstück der Glaubenspraxis, die Einfallstore für modernistische Ideen weit geöffnet hat und bis auf den heutigen Tag weit offen hält. Die Päpste - beginnend bei Paul VI. selbst mit Mysterium Fidei und dann Johannes Paul II. mit Redemptionis Sacramentum sowie Benedikt XVI. mit seinem ganzen bisherigen Wirken - haben geradezu unermüdlich versucht, diese Einfallstore wieder zu schließen. Besonders erfolgreich waren sie damit nicht. Die Theologie und die Praxis der Eucharistiefeier nach dem Novus Ordo sind nicht nur in den deutschsprachigen Ländern stark von modernistischen Fehlkonzeptionen bestimmt. Sollte die Widerlegung des Modernismus das eigentliche Ziel der Reform gewesen sein, so ist sie daran grandios gescheitert.

Wesentlich beigetragen zu diesem Scheitern hat die Tatsache, daß die Implementierung des Novus Ordo von starken äußeren Zeichen begleitet war, die vom neuen Missale nicht vorgeschrieben und teilweise sogar Widerspruch zu den Zielsetzungen der Liturgiekonstitution des Konzils standen. Um nur die auffälligsten zu nennen: Die faktische Abschaffung der lateinischen Liturgiesprache und des Chorals, die nachgerade obligatorische Wendung des Priesters „ad populum“ und die Bevölkerung des Altarraumes mit Laien, vorzugsweise Frauen. Erst dadurch, daß die Hierarchie gegenüber diesen Modernismen keinen Widerspruch erhob, sie großenteils sogar ausdrücklich förderte, wurde das Scheitern der Reform besiegelt.