Katechon und Antichrist
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- 22. Januar 2022
Mit aktualisierenden Nachträgen zur Wahrnehmung in nat. und internat. Medien.
Was für eine Woche! Zuerst jeden Tag eine volle Dosis der inzwischen bei katholisch.de schon zum Alltagsgeschäft gewordenen und im Zuge des synodalen Irrwegs immer lauter vorgetragenenen Forderungen nach einem „Systemwechsel“: Am 15. fordert ein italienischer Jesuit eine „Neuberwertung“ der Euthanasie, am 18. erschrak sich ein Ethiker über das „häßliche Gesicht des Kapitalismus“, am 19. rief Kardinal Madariaga eine neue Etappe der Kirchengeschichte unter der Leitung von Papst Franziskus aus, und am 20. wandte sich Wucherpfennig SJ gegen die seiner Meinung nach grassierende „Überhöhung des Priestertums“. Am folgenden Tag stellte dann noch Luxemburgs Kardinal Hollerich den „Pflichtzölibat“ in Frage, während Essens Generalvikar Pfeffer die überlieferte Sexualmoral zur Wurzel aller Kirchenübel erklärte.
Doch da war die eigentliche Bombe bereits explodiert: Das Münchener Gutachten zur Aufklärung von 40 und mehr Jahren zurückliegenden Mißbrauchsfällen bzw. ihrer damaligen Behandlung durch die diözesanen Verantwortlichen war am 20. Januar veröffentlicht worden, und von BILD bis SPIEGEL und katholisch.de mittendrin war klar: Hauptangeklagter und für schuldig Befundener und Verurteilter in einem war Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. Der hatte es wohl tatsächlich – ganz im Stile der 70er und 80er Jahre – damals an Aufklärungseifer fehlen lassen und wurde nun in den Überschriften und Kommentaren wie einer attackiert, der selbst und höchstpersönlich die unerhörtesten Mißbräuche begangen hätte. Daß die von der anklageführenden Kanzlei angelegten Maßstäbe auf der Stimmung und Gesetzeslage im Jahr 2021 beruhten und die teilweise deutlich weniger anspruchsvollen Vorschriften der „Tatzeit“ außer acht ließen, blieb dabei selbstverständlich ebenso unbeachtet wie der Umstand, daß bei den inkriminierten Taten wie auch sonst weitaus überwiegend Jungen und junge Männer die Opfer waren: Die homophile Tendenz der Mißbrauchstäter darf unter keinen Umständen thematisiert werden.
Aber um die Sache selbst oder um die im höchsten moralischen Ton angeführte Not der damaligen Opfer ging es bei alledem auch am wenigsten, und die Wortführer der Anklage gegen den damaligen Münchener Erzbischof und späteren Papst ließen daran auch vom ersten Tag an nicht den geringsten Zweifel.
Eine Neubewertung des Pontifikats Benedikt verlangte Jesuit und „Kinderschutzexperte“ Zollner, die Theologin Reisinger konstatierte ebenda eine „Wende in der Wahrnehmung“ von Benedikt XVI.. Der Münsteraner Kirchenrechtler Schüller sah bereits eine „historische Zäsur“: der ehemalige Papst habe mit seinem Verhalten die „Axt an die Kirche gelegt“ und sie „als korrumpierte amoralische Institution“ demaskiert. So unter der Überschrift „Lügengebäude zum Einsturz gebracht“ auf katholisch.de.
Die Stoßrichtung ist klar: Joseph Ratzinger, während dessen Tätigkeit als Glaubenspräfekt und in dessen Pontifikat als Benedikt XIV. es zumindest so aussehen konnte, als ob die Kirche wieder zu ihren apostolischen Wurzeln zurückfinden könnte, soll zur Unperson gemacht und sein Vermächtnis ausgelöscht werden. Weitaus mehr als der irrlichternde gegenwärtig amtierende Papst steht dieses Vermächtnis den Zielen der verschiedenen synodalen Unternehmungen im Wege. Das muß weg, so oder so.
Unwillkürlich kommt einem eine kleine Schrift des zutiefst in der Welt und dem Wissen des europäischen Christentums verwurzelten italienischen Philosophen Giorgio Agamben in den Sinn, in der er unter dem Titel „Geheimnis des Bösen“ (Verlag Matthes & Seitz, Berlin) 2015 die Abdankung Benedikts zum Anlaß nimmt, über die geheimnisvolle Gestalt des „Katechon“ nachzudenken, von dem Paulus im 2. Kapitel seines 2. Briefes an die Tessalonicher spricht. Der – oder das – ‚katechon‘ ist die Kraft oder die Person, die dem Wirken der Gesetzlosigkeit, dem Antichristen, (noch) entgegensteht und verhindert, daß dieser seine volle Macht in der Welt entfalten kann. „Der Widersacher, der sich über alles, was Gott oder Heiligtum heißt, so sehr erhebt, dass er sich sogar in den Tempel Gottes setzt und sich als Gott ausgibt. (…) Ihr wisst jetzt auch, was ihn zurückhält, damit er erst zu seiner Zeit offenbar wird.“ (2.Thess 2,6) „Denn das Geheimnis der Gesetzwidrigkeit ist schon am Werk; nur muss erst der beseitigt werden, der es jetzt noch zurückhält.“ (2.Thess 2,7).
Für Agamben und für viele glaubenstreue Christen mit ihm ist Benedikt XVI. ein Teil dieser Kraft des Katechon. Sie werden sich auch durch den gegenwärtigen Skandalisierungsfuror nicht davon abbringen lassen, denn daß der „Mozart der Theologie“ in Sachen Gremienwirtschaft und Administration alles andere als ein Genie war, haben sie zu ihrem Leidwesen schon früher erfahren müssen – und sie wissen, was letzten Endes mehr zählt. Aber diejenigen, die jetzt alle Macht daran setzen, den Widerstand gegen ihre Modernisierung zu beseitigen, müssen sich der Frage stellen, für wen sie da als Mitkämpfer und Wegbereiter agieren – und ob sie wirklich auf dessen Seite ins Gericht eingehen wollen.
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Soweit das Machwerk der Münchener Mißbrauchs-Ausbeuter im Ausland bisher überhaupt zur Kenntnis genommen worden ist, wird es durchgängig als das erkannt, was es in Wirklichkeit ist: Ein (freilich untauglicher) Versuch zur Vernichtung des Lebenswerkes von Joseph Ratzinger, um freie Bahn für die Neuschaffung einer „Kirche des Synodalen Weges“ in Deutschland zu schaffen. Ein gutes Beispiel für diese Wahrnehmung bietet ein am 22. erschienener Artikel von Vik van Brantegem auf korazym.org, der in deutscher Übersetzung beim Beiboot Petri erscheint.
Nachtrag II:
Eine Abrechnung mit der Reaktion der meisten Deitshen Medien vröffentlicht kath.net unter dem überaus passenden Titel „Mit rattenhafter Wut“
Nachtrag III:
In einem offenbar mit Hintergrundinformationen angereicherten Artikel antwortet kath.net heute (25. 1.) auf die Frage: Lügt der Papst Emeritus?