Motu Proprio: Summorum Pontificum

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Zusatzinfo

Entwicklung und Reform der Liturgie

Im Zentrum dieser (sehr selektiven) Literaturliste stehen relativ neue Bücher - sie sind größtenteils nach 1990 erschienen und im regulären Sortiment erhältlich. Die meisten davon erheben wissenschaftlichen Anspruch, sind aber auch für interessierte Nicht-Fachleute durchaus lesbar. Allerdings ist der größte Teil in Englisch verfaßt und bisher auch nicht ins Deutsche übersetzt worden. Während das an der „Hermeneutik des Bruchs“ orientierte deutsche theologische und liturgiewissenschaftliche Establishment keine Stimmen hochkommen ließ, die sich der Parteilinie nicht bedingungslos unterwerfen, gibt es in den angelsächsischen Ländern zahlreiche Liturgiker, die sich an der Tradition orientieren. Wir setzen mit unserer Liste ganz bewußt einen Kontrapunkt zur deutschen Monokultur in diesem Betrieb und konzentrieren uns auf Titel, die hierzulande eher ignoriert werden.

Zwei Ausnahmen von diesem Auswahlprinzip sind anzumerken: Wir haben keinen einzigen Titel von Klaus Gamber in dieser Liste - nicht, weil wir ihn nicht hoch schätzten, sondern weil wir eine eigene Übersicht zum Werk dieses prominentesten nicht dem Meinungskartell angeschlossenen deutschen Liturgiewissenschaftlers vorbereiten. Umgekehrt haben wir Annibale Bugnini zumindest als Merkposten mit aufgenommen, weil er seit 1950 Ingenieur, Repräsentant und Interpret der Reform war, vor deren Trümmern wir heute vielerorts stehen.

Alcuin Reid: The Organic Development of the Liturgy

Ignatius Press, 2005

Alcuin Reids Buch über die Entwicklungsgesetze der Liturgie gehört zu der kleinen Zahl liturgiewissenschaftlicher Werke, die sich eines Vorwortes von Joseph Cardinal Ratzinger rühmen können. Zitieren wir also aus diesem Vorwort: „Das Buch besteht aus drei Teilen. Der erste, sehr kurz gehaltene, untersucht die Geschichte der Reformen des römischen Ritus von seinen Anfängen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Der zweite behandelt die Liturgische Bewegung bis zum Jahr 1948. Der dritte und bei weitem umfangreichste Teil befasst sich mit den Liturgischen Reformen unter Pius XII bis zum Vorabend des 2. Vatikanums. ... Der Autor hat eine kluge Entscheidung getroffen, an der Schwelle zum 2. Vatikanum innezuhalten - so entgeht er den Kontroversen, die mit der Aufnahme und der Interpretation des Konzils verbunden sind. Dennoch gelingt es ihm, den historischen Ort des Konzils darzustellen und uns die Interdependenzen sichtbar zu machen, von denen aus Fragen an die Leitlinien von Reformen zu richten sind.“

Nichts wäre unbegründeter, als aus diesen Bemerkungen zu schließen, daß Reid die Kontroverse prinzipiell scheut. Mit großer Klarheit arbeitet er heraus, daß Treue zur Tradition das oberste Grundprinzip jeder liturgischen Entwicklung sein muß. Von hier aus beurteilt er die konstruktiven und die destruktiven Elemente in der Entwicklung der liturgischen Bewegung, und von hier aus begründet sich auch die Notwendigkeit einer künftigen „Reform der Reform“, die den Anschluß an die Tradition dort wiederherstellt, wo er in der Folge der unorganischen Tendenzen in der Reform Pauls VI. abgerissen ist.

Louis Bouyer: Liturgie und Architektur,

Johannes-Verlag 1993, Franz. Erstauflage 1967

Der französische Oratorianer Louis Boyer gehörte lange zu den Protagonisten der liturgischen Bewegung, von der er sich nach deren Eintritt in die radikale Phase dann enttäuscht abwandte. Das vorliegende Buch behandelt anhand der Architektur bzw. deren archäologischer Erschließung wichtige Phasen aus der frühesten Entwicklung der Liturgie, jener Zeit also, in der das Christentum sich vom Judentum ablöste und schließlich Staatsreligion des römischen Reiches wurde, und die in der oben genannten Untersuchung von Reid am knappsten abgehandelt wird.

Im Unterschied zu modernen Vertretern archäologistischen Denkens, die die Liturgie und den Kirchenbau in diese Frühzeit "zurückbauen" wollen, bewahrt Bouyer sich einen Begriff von der Zeitbedingtheit dieser frühen Phasen und von ihrer Stellung in einem Prozess von Wachstum und Entwicklung, der über sie hinausweist. Allerdings sind auch bei ihm im Jahre 1967 die geistigen Anschlußstellen unübersehbar, die diesen Missverständnisse und Missdeutungen zugrundeliegen - Missdeutungen, denen er sich später in scharfer Form entgegengestellt hat.

Jonathan Robinson: The Mass and Modernity

Ignatius Press 2005

Die vielfältigen Missverständnisse und Missdeutungen der modernen Liturgik bilden genau den Gegenstand der eingehenden Untersuchung Robinsons, des Gründers des Oratoriums des Hl. Philipp Neri im kanadischen Toronto. Er stellt in kraftvollen Strichen dar, wie tief dieses Denken der modernen Liturgik in der Tradition und Ideologie der Aufklärung seit dem 17. Jh. verwurzelt ist, dabei hebt er besonders die - selbstverständlich selten linearen, eher vielfach gebrochenen - Beziehungen und Abhängigkeiten zum Denken Kants, Humes, Hegels und Comtes hervor.

Kleine Leseprobe aus einem späteren Kapitel über die aktuelle Lage: "Der Ausdruck „Paschamysterium“ ist in den letzten Jahren so oft gebraucht worden, daß er keine präzise Bedeutung mehr hat. Wegen seiner relativen Neuheit in der katholischen Theologie verbindet sich dieser Begriff im Bewußtsein vieler mit überstürzten Veränderungen und der Zerstörung geheiligter Sitten und Gewohnheiten. Wenn z.B. einem frommen Katholiken die Kommunion verweigert wird, weil er sich zum Empfang niederkniet, und man ihm sagt, er soll aufstehen, weil "das Paschamysterium uns gelehrt hat, daß wir ein österliches Volk sind" - nun, dann wird er diesen Begriff mit jener demütigenden Erfahrung verbinden und ihn von da an mit Argwohn und Verachtung betrachten." Und das durchaus nicht ohne jeden Grund, wie Robinson dann weiter ausführt.

Didier Bonneterre: Die Liturgische Bewegung

Mediatrix-Verlag Wien, 1981

Wo Reid und Robinson die philosophischen, theologischen und auch soziologischen Grundlinien von Liturgieentwicklung und -reform nachzeichnen, ist Didier Bonneterre mehr an den konkreten Abläufen bis hin zum Anekdotischen aus der Zeit der Liturgiereform des 20. Jahrhunderts interessiert. Insofern bildet sein eher populär geschriebenes Buch (Vorwort nicht von Kardinal Ratzinger, sondern von Erzbischof Lefebvre) eine durchaus willkommene Ergänzung zu den bis jetzt genannten. Solange man sich dessen bewußt bleibt, daß es ihm nicht nur um objektive Geschichtsschreibung, sondern auch um die keine Polemik scheuende Befestigung eigener Positionen geht, kann das durchaus zum besseren Verständnis der Dinge beitragen

Stratford Caldecott (Hg.): Beyond the Prosaic - Renewing the Liturgical Movement

T&T Clark, Edinburgh, 1998

Während Alcuin Reid das Konzept einer „Reform der Reform“ historisch und theologisch begründet, zielt dieser von Stratford Caldecott herausgegebene Sammelband darauf ab, diese Reformbewegung konkret in Gang zu bringen. Ausgangspunkt ist eine im Juni 1996 am von Caldecott geleiteten Centre for Faith & Culture in Oxford durchgeführte Konferenz, auf der sich Anhänger dieser Bewegung erstmals um Selbstverständigung bemühten.

Eines der Ergebnisse dieser Konferenz war die Oxford Declaration on the Liturgy. In dieser Erklärung wird zwar nicht die Rücknahme des Novus Ordo gefordert, aber doch die energische Abwehr der überhand nehmenden Mißbräuche und eine stärkere Rückbindung an die Tradition. Als ein Mittel dazu erscheint auch die Wiederzulassung des alten Ritus als wesentlichem Orientierungspunkt für jede organische Entwicklung.

Der vorliegende Band gibt einen Einblick in die auf dieser Konferenz vertretenen Positionen, die vor allem für die angelsächsische Diskussion stehen. Ganz besonders interessant - und das soll die anderen Beiträge keinesfalls abwerten - erschienen uns die Ausführungen von Eamon Duffy zur Problematik liturgischer Übersetzungen.

Aidan Nichols: Looking at the Liturgy

Ignatius Press 1996

Der Dominikaner Adrian Nichols ist wie die meisten Autoren des Sammelbandes von Caldecott Vertreter einer „Reform der Reform“. Seine besondere Aufmerksamkeit gilt der Wiederbelebung eines Sinnes für das Ritual und für alles, was den Raum Gottes aus der Alltagwelt der Menschen heraushebt - ohne ihn damit völlig unzugänglich zu machen.

Auf die Frage, welche Verwendung die Kirche für einen (von den Mißbräuchen gereinigten und wieder stärker an der Tradition orientierten) Novus Ordo habe, findet Nichols eine verblüffende Antwort: Dieser Ritus, der so viel aus den orientalischen und anderen nicht-römischen Traditionen der Gesamtkirche übernommen habe, eigne sich wie kein anderer zu einem ritus communis, von dem aus neue Riten für Kulturen jenseits der griechisch-römisch beeinflußten Welt in Afrika oder Asien entwickelt werden könnten - in aller Vorsicht, verstehe sich. Außerdem, so schließt er diesen Gedanken, „könnte der nachkonziliare Ritus die geeignete Liturgie für katholisch gesinnte westliche Christen, im wesentlichen Anglikaner und Lutheraner, darstellen, die sich als Gruppen in die Einheit mit der katholischen Kirche hineinbegeben wollen.“ Das gleiche gelte für jene Gruppen in der katholischen Kirche, die keinen vollen Kontakt mehr zum historischen und spirituellen Erbe der lateinen Kirche haben und auch nicht wieder herstellen wollen.

Alcuin Reid (Hg.): Looking Again at the Question of the Liturgy with Cardinal Ratzinger

Saint Michael's Abbey Press 2003

In diesem von Alcuin Reid herausgegebenen Band sind die wesentlichen Beiträge der inzwischen legendären Liturgischen Konferenz von Fontgombault im Juli 2001 versammelt. Teilnehmer waren die Äbte Hervé Courau OSB von Notre-Dame de Triors und Antoine Forgeot OSB von Fontgombault, weitere Liturgiker des Benediktinerordens aus Frankreich und England, Bischof André Mutien Léonard von Namur, der hier bereits genannte Stratford Caldecott aus Oxford und weitere Gelehrte verschiedener Fachrichtungen, aus Deutschland der Philosoph Robert Spaemann. Und natürlich der damalige Präfekt der Glaubenskongragation, Joseph Cardinal Ratzinger, der eine einleitende Predigt und den zusammenfassenden Schlussvortrag hielt. In diesem Schlußvortrag unter dem Titel „Assessment and Future Prospects“ hat der damalige Kardinal bereits die wesentlichen Linien dessen vorgezeichnet, was er in den letzten Jahren als Benedikt XVI. ebenso behutsam wie beharrlich verwirklicht: Die Wiedergewinnung katholischer Identität in der Liturgie durch Rückbindung an den ganzen Schatz ihrer Tradition.

Heinz-Lothar Barth: Die Mär vom antiken Kanon des Hippolytos

Editiones Una Voce 1999

Die folgenden drei Bände fallen auf je spezifische Weise aus der Reihe der oben beschriebenen Bücher heraus.

Die kenntnisreiche Untersuchung des Bonner Altphilologen Heinz-Lothar Barth widmet sich, ganz wie es der Buchtitel ankündigt, im wesentlichen nur einem einzigen Thema: Dem antiken Kanon des Hippolytos aus der Zeit um 200 und der Frage, wieweit und weshalb dieser Text als „Zweites Hochgebet“ in das Missale Pauls VI. von 1970 übernommen worden ist.

Das Fazit Barths ist ernüchternd: Daß der Text des Hippolytos tatsächlich jemals als Konon benutzt wurde, ist eher unwahrscheinlich. Seine überlieferte Form wurde tiefgehend von Elementen der traditionellen Lehre „gereinigt“, bevor er Aufnahme in das neue Missale fand. Und für diejenigen, die diesen Text dann an die Stelle des alten Canon Romanus setzen wollten (was durch Eingreifen Papst Pauls VI. abgemildert, aber letztlich für viele Regionen nicht verhindert werden konnte), war er ein zentrales Element ihrer Bemühungen, die alte Hl. Messe durch einen neue Gemeindefeier in einem neuen Ritus abzulösen.

Eamon Duffy: The Stripping of the Altars

Yale University Press 2005, Erstauflage 1992

Auch dieses gewichtige Werk (650 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 1100g) scheint nur ein einziges Thema zu behandeln, und ein reichlich entlegenes dazu: Die Glaubenswelt des katholischen Volkes im England des 15./16. Jahrhunderts und ihre spätere Zerstörung: Durch Lug, Trug und Gewalt seitens der englischen "Reformatoren", die dann im "Stripping of the Altars" ihren Höhepunkt fanden.

Duffy zeichnet nach, daß der vorreformatorische „mittelalterliche“ Glaube durchaus nicht dem Vorurteil entspricht, das moderne Kirchenhistoriker von diesen „unaufgeklärten“ Zeiten zu zeichnen belieben. Und er macht auf beklemmende Weise sichtbar, daß allzuviel von dem, was man heute als unaufschiebbare Reform und Vorbote eines neuen Frühlings ausgibt, zum Teil bis in die Einzelheiten dem Vorbild der glaubenszerstörerischen „Reformatoren“ entspricht. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind unvermeidbar und insoweit durchaus erwünscht.

Annibale Bugnini: The Reform of the Liturgy 1948 - 1975

The Liturgical Press 1990, Italienische Erstauflage 1983

(Das Buch gibt es auch auf Deutsch, aber wesentlich teurer)

Und zum krönenden Abschluß also dieses: Die noch umfangreichere und noch schwerere (979 Seiten, 1200 g) Autobiographie des führenden Protagonisten der zum Missale Pauls VI. führenden Umgestaltung der römischen Liturgie, des Erzbischofs Annibale Bugnini.

Die Glaubwürdigkeit dieses Prälaten hält sich in Grenzen - 1976 verlor er endgültig das Vertrauen des Papstes und wurde als Nuntius in Theheran buchstäblich in die Wüste geschickt, wo er dann nur noch einmal als (erfolgloser) Vermittler im Zusammenhang mit der Geisel-Krise in der US-Botschaft hervortrat. In vielem erscheint sein Buch als eine Rechtfertigungsschrift. Ob die Dinge im Detail wirklich immer so gelaufen sind, wie Bugnini das beschreibt, und ob die Motive hinter den bis in die kleinsten Einzelheiten kommentierten Reformschritten wirklich die waren, die er benennt, ist unsicher. Trotzdem ist und bleibt sein Buch eine ganz wesentliche Quelle für die Interpretation und das Verständnis der Reform: So, wie das hier beschrieben ist, sollte die Reform nach dem Willen ihrer Macher in der Öffentlichkeit erscheinen.