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Rom - immer noch im Nebel

Bild: http://wdtprs.com/blog/2017/02/pope-francis-helps-sspx-take-over-church-complex-in-heart-of-rome/Aus der 8. Woche

Zwei Gerüchte, die dieser Tage in Rom umlaufen, markieren zwei Extrempositionen dessen, was im gegenwärtigen Pontifikat als möglich gelten muss: Das erste Gerücht spricht von der die angeblich bevorstehenden Entlassung Kardinal Müllers als Präfekt der Glaubenskongregation und seiner Ersetzung durch den philippinischen Kardinal Tagle. Das zweite Gerücht, das gestern lauter wurde, handelt davon, daß die Piusbruderschaft Kirche und Gebäude Santa Maria Immacolata all‘Esquilino erworben habe, um dort den künftigen Sitz ihrer Personalprälatur einzurichten. Maria Immacolata all‘Esquilino ist der frühere Verwaltungssitz einer der vielen Ordensgemeinschaften, die nach dem 2. Vatikanum eingegangen sind; der geräumige Bau liegt etwa 1 km östlich von Maria Maggiore und 500 m nördlich des Lateran entfernt in einem Wohn- und Geschäftsviertel der Innenstadt.

Wie passt beides zusammen? Oder, wenn einem der Gedanke an die Absetzung Müllers unwahrscheinlicher vorkommen sollte als die Errichtung einer Personalprälatür für Pius: Warum sollten die gegenwärtigen Machthaber im Vatikan einerseits die überlieferte Lehre der Kirche nach Kräften in Zweifel ziehen und als Richtschnur für die Pastoral entwerten, und auf der anderen Seite der Piusbruderschaft als eines der stärksten Repräsentanten der Tradition einen regulären Status gewähren? Wobei freilich ein erster und keinesfalls bedeutungsloser Schritt dazu mit der Verlängerung der Beichterlaubnis für die FSSPX bereits erfolgt ist.

In der Gedankenwelt Bergoglios und seiner Umgebung gibt es mehr als eine Vorstellung, nach der das, wenn auch auf verdrehte, um nicht zu sagen „dialektische“ Weise, durchaus zusammen gehen kann.

Vor allem ist da die Vorstellung, die römische Kirche befinde sich, seit sie mit dem 2. Vatikanum die Fesseln der Vergangenheit abgestreift und sich der Modernisierung geöffnet habe, alles in allem in einem neuen Frühling der erfreulichsten Entwicklungen. Vielfältig, pluralistisch und inklusiv gehe es zu in dieser neuen Kirche, harmonisch einer trotz gewisser Unvollkommenheiten den gleichen Werten verpflichteten Welt zugewandt, und nur ein paar nostalgische Spielverderber hinderten sie an der vollen Entfaltung ihres Potentials. Leider wird man diese Spielverderber nicht so einfach los, hartnäckig weigern sie sich, auszusterben, und hier und da ziehen sie sogar junge Leute an. Da liegt der Gedanke nahe, auf der einen Seite – siehe Franziskaner der Immakulata - klare Kante zu zeigen, auf der anderen Seite aber die nicht fortschrittsfähigen Elemente, wenn man sie schon nicht kurzfristig herausdrängen kann, auf ihrer eigenen Spielweise zu konzentrieren, damit auch leichter zu kontrollieren und nach Möglichkeit zu isolieren.

Das passt nicht schlecht zu gewissen Konzepten von Regionalisierung und Kantonalisierung „von Kirche“, wie sie sich jetzt im Streit um Amoris Laetitia wie naturwüchsig durchzusetzen scheinen: Sind wir nicht – trotz unbedeutender Unterschiede in Einzelheiten – alle eins unter dem Dach der Barmherzigkeit? Kann die Kirche nicht viele Antworten auf die Frage geben, was 2 + 2? Ist die Barmherzigkeit Gottes nicht viel größer als kleinlicher Theologenstreit und die Regelungswut pharisäischer Kleingläubiger? Ein Löffelchen für die Lutheraner, eins für die Piusse, eine Diakonin für die Deutschkatholen, einen Beichststuhl für die Sündengläubigen – müssen wir uns denn wirklich wegen jeder Kleinigkeit in die Haare kriegen? In der modernen Theologie kann 2 + 2 eben durchaus „5“ ergeben  – Relativismus ist doch keine Krankheit, sondern die Erlösung von allen Übeln.

Solange einer den Hut aufhat. Das wäre freilich nicht mehr die vorausschauend entsorgte Tiara; der Vorsitz von United Religions Inc stellt andere Anforderungen.

Zeit ist größer als Raum – das ist eine der Grundvorstellungen der bergoglianischen Art, die Dinge zu sehen. Damit ist – ganz in der Tradition aller fortschrittsgläubigen Ideologien – gemeint, daß es wichtiger ist, Prozesse zu initiieren und Entwicklungen anzustoßen, die früher oder später zum gewünschten Ergebnis führen sollen, als zu jeder Zeit das ganze Gebiet, eine Institution in ihrer Gesamtheit zu kontrollieren. Es reicht in diesere Sicht vollständig aus, die Schaltzentralen zu besetzen und die Definitionsgewalt darüber zu behalten, was dem Fortschritt dient und was früher oder später absterben muß, weil es sich ihm in den Weg stellt. 

Warum aber sollte sich eine Organisation wie die Piusbruderschaft darauf einlassen, hier mitzumachen? Da kommen in erster Linie zwei Motive in Frage. Das erste: Einer Gemeinschaft, die katholisch im traditionellen Sinne sein will, ist es fast unmöglich, das Einheitsangebot des Bischofs von Rom und Nachfolgers Petri zurückzuweisen. Zumal die auch in weltlichen Dingen nicht völlig unerfahrenen Pius-Oberen sicher Mittel und Wege kennen, die „Einheit in der Liebe unter dem Bischof von Rom“ so zu gestalten, daß die materiellen Voraussetzungen der institutionellen Existenz gegen eine feindliche Übernahme abgesichert sind.

Zweites Motiv ist, daß die Modernisierer kein Monopol darauf haben, zukünftige Entwicklungen zuversichtlich entgegen zu sehen. Ganz im Gegenteil. Die Gläubigen, die an der überlieferten Lehre und Liturgie festhalten, tun das ja nicht aus nostalgischem Ressentiment, sondern weil sie das für richtig und notwendig halten. Sie sind davon überzeugt, daß der Weg der Modernisierer eben nicht in einen neuen Frühling des Glaubens und der Heiligung führt, sondern in einen Säkularismus, in dem United Religions Inc bestenfalls als Super-NGO an der Heilung tatsächlicher oder empfundener sozialer Mißstände mitwirken kann, die der gleiche Säkularismus hervorgebracht hat.

Kann die Piusbruderschaft diesem Weg in prekärer Einheit mit dem Bischof von Rom besser entgegenwirken als von außerhalb? Kann sie einen sicheren Hafen bieten an einem Fluss, dessen Hauptstrom in eine verhängnisvolle Richtung geht? Oder läuft sie Gefahr, mit diesem selbst auszutrocknen, bevor eine Umkehr eingeleitet werden kann?

Bischof Athanasius Schneider, der selbst der Bruderschaft nicht angehört, aber die Tradition ebenso konsequent verteidigt wie diese, hat dieser Tage im Interview mit einer spanischsprachigen Fernsehstation noch einmal seine Ansicht bekräftigt, daß die Bruderschaft mit der Annahme einer Personalprälatur ihre Position in diesem historischen Ringen um das Wesen der Kirche nur verbessern kann.

Wenn die Bruderschaft des hl. Pius X. als kanonische Einrichtung in die Kirche integriert ist, kann sie kraft dieser Stellung einen guten Beitrag zu der notwendigen theologischen Diskussion des (2. vatikanischen) Konzils leisten und dabei mitwirken, die Aspekte herauszuarbeiten, die nur zeitbedingten Charakters waren.

Falls jedoch – der Bischof bezeichnet das als hypothetische Möglichkeit – die Obrigkeit darauf drängen würden, den Status als Personalprälatur nachträglich zu verändern oder mit „pastoralen Auflagen“ zu versehen, wie man sie etwa aus Amoris Laetitia ableiten könnte, 

Dann läge es an der Bruderschaft, zu widerstehen und ihre Identität zu wahren. Dann müssen sie sagen: Das ist ungerecht, das geht gegen die Absichten, mit denen wir die Prälatur übernommen haben, das zerstört unser Charisma. Dann müssten sie dem heiligen Stuhl mit allem Respekt erklären: Ihr könnt uns den Status der Prälatur auch wieder nehmen. Wir brauchen diese Prälatur nicht. Was wir brauchen, das ist die Bewahrung unserer Identität – nicht für uns, sondern zum Wohle der Kirche‘. Wenn es also zu einem solchen hypothetischen Fall käme, müssten sie den Status als Prälatur aufgeben und wieder das sein, was sie auch jetzt sind. Ihr Hauptaufgabe besteht darin, ihre Identität zu bewahren.

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