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Brot des Lebens

Bild: http://www.lebouquet.org/brot-und-wein.html#!prettyPhoto/0/Das ist moderne Liturgik vom Feinsten: In der Diskussion um die Änderung der Vaterunser-Bitte: „Und führe uns nicht in Versuchung“ empfiehlt der Münsteraner Vollprofi-Liturge Clemens Leonhard, den strittigen Teil des Vaterunsers in der Liturgie doch einfach ganz unter den Tisch fallen zu lassen. Eine solche Lösung sei gerechtfertigt, wenn liturgische Texte "für die Menschen, die sie beten, mit guten Gründen unerträgliche Inhalte haben". (Quelle)
Selten wurde von kompetenter Seite der Inhalt der anthropologischen Wende und säkularisierten Selbstaufgabe des Christenglaubens präziser auf den Punkt gebracht. Was irritiert, muß weg und wird – bestenfalls – durch weniger Anstößiges ersetzt. Also etwas, das der Welt mehr entgegenkommt.

Das Vaterunser in seiner heute auf deutsch üblichen Form hat ja bereits einige solcher Ersetzungen hinter sich; die letzte erfolgte – Überraschung! – im Anschluss an die Liturgiereform des vergangenen Jahrhunderts, als unter anderem die Zeile „Unser Vater, der Du bist im Himmel“ durch das nicht nur sprachlich abgemagerte „Vater unser im Himmel“ ersetzt wurde. Eine andere Veränderung erfolgte im Deutschen wohl schon im Anschluss an die Übersetzung Luthers, hat im Lateinischen aber noch viel weiter in die Vergangenheit zurückreichende Wurzeln.

Die Rede ist von der Zeile „Unser tägliches Brot gib uns heute“, die im griechischen Urtext bei Lukas und Matthäus auf die Wendung „ton arton epiousion“ zurückgeht. Das Attribut „epiousios“ ist schwierig, weil dieses Wort dort erstmalig in einem griechischen Text auftaucht und auch später nur in Bezug auf diese Stelle verwandt wird. Den Wortbestandteilen nach deutet das Attribut in Richtung übernatürlich, der Heilige Hieronymus übersetzt es denn auch für seine „Vulgata“ im Matthäusevangelium mit „panem supersubstantialem“, Brot, über der, über die Substanz hinaus. Bei Lucas übersetzt er „panem quotidianum“ und kann sich mit diesem „täglich“ auf ein vermutlich im Griechischen mitschwingendes „über den konkreten Tag hinaus“ berufen.

Die römische Liturgie, die an vielen Stellen sprachliches Material verwendet, das vor Hieronymus und die Vulgata zurückgeht, hat bekanntlich die Lesart „quotidianum“ - von daher ist das Verständnis von „täglich“ mit einer Tendenz zu „alltäglich“ tief im sprachlichen Bewußtsein des Westens verankert. Dagegen ist auch wenig einzuwenden, die Übernatur setzt die Natur voraus, und die Bitte um das tägliche Brot verdient nicht nur wegen ihrer Popularität einen Ehrenplatz im täglichen Gebet jedes Christenmenschen. Trotzdem wäre es sicher nicht verkehrt, die zumindest zu einem Teil auch auf das Brot der Übernatur zielende Bedeutung der entsprechenden Bitte auch katechetisch zu vertiefen, so wie jetzt vielfach eine katechetische Bemühung um die irritierende Zeile mit der Versuchung gefordert wird. Wer weiß, vielleicht könnte sich beides sogar ergänzen.

Wer sich auf der Suche nach entsprechendem Material an den Katechismus von 1993 wendet, wird freilich weitgehend enttäuscht. Von den zehn Abschnitten (2828-37), die der vierten Vaterunser-Bitte gewidmet sind, betrachten die ersten acht nur das Brot des irdischen Lebens – und das bis hin zu Brot für die Welt und der Forderung nach gerechten internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Im achten kommt dann, immerhin, das Brot des Wortes Gottes in den Blick, und zum Schluß des letzten Abschnitts wird doch tatsächlich die Überlegung angedeutet, daß die Kirchenväter bei epiousios auch an den Leib des Herrn und die Nahrung zum übernatürlichen Leben gedacht haben könnten.

Unter diesen Umständen also kein Wunder, daß jetzt zwar viel von der Notwendig zur katechetischen Vertiefung der 6. Bitte mit der Versuchung gesprochen wird, jedoch so gut wie nie von der überaus bedenkens- und kommentierenswerten vierten Bitte, deren tiefsinnige Mehrdeutigkeit praktisch ganz aus dem Bewußtsein geraten ist.

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