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Auf dem Weg nach Nirgendwo

Drei Ereignisse aus den vergangenen Wochen haben Aussagekraft weit über diese Wochen und dieses Jahr hinaus: Das auffälligste ist der in den USA erneut und mit noch größerer Wucht aufgebrochene Skandal um Mißbrauch und Vertuschung, der inzwischen auch Rom erreicht hat. Das alarmierendste ist die selbstherrlichen Änderung des Katechismus, mit der Franziskus einer zweitausend Jahre lang gültigen Lehre der Kirche widerspricht. Das am leichtesten zu übersehende und in seiner Bedeutung zu unterschätzende Ereignis ist die Kontroverse über Äußerungen von Papst Benedikt zum Verhältnis zwischen dem Juden- und dem Christentum.

Alle drei zusammen geben Auskunft über den beklagenswerten Zustand der Kirche ein halbes Jahrhundert nach dem Abschluß des 2. vatikanischen Konzils, das einen neuen Frühling herbeisingen wollte und doch nur Mißklang und beschleunigten Zerfall hervorgebracht hat. Dieser Zustand müsste einen an der Zukunftsfähigkeit der Kirche verzweifeln lassen, wenn der Herr selbst ihr nicht zugesagt hätte, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwinden werden. Doch der Reihe nach.

I. Missbrauch und Vertuschung

Der amerikanische Aufruhr brachte zunächst im Prinzipiellen wenig neues gegenüber dem, was seit 2002 bekannt ist. Er gibt noch mehr Opfern Stimme und Gesicht, was im gegenwärtig hoch emotionalisierten Zustand der Öffentlichkeit eine eigene Dynamik entfaltet. Und er läßt erkennen, daß die meisten Bischöfe und anderen Leitungsverantwortlichen jahrzehntelang vor und teilweise auch noch nach 2002 ihr Handeln allein an dem Ziel ausrichteten, eine Beeinträchtigung der Stellung kirchlicher Institutionen zu vermeiden oder zu minimieren. Eine neue Qualität erhielten die bekannten Vorwürfe jetzt durch das beeindruckende Zeugnis von Erzbischof Vigano, (hier der volle Text auf Englisch), der offen ausspricht, daß die Vorgänge auch im Vatikan bekannt waren, nach dem Amtsantritt von Franziskus dort jedoch keinerlei Beachtung mehr fanden.

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Fürsorge für die Opfer – von finanzieller Entschädigung und „Schweigegeldern“ abgesehen – sowie Anstrengungen zur Vermeidung künftiger Taten blieben weit hinter dem Bestreben zurück, Imageschäden für die Institution Kirche abzuwenden, in Rom ebenso wie in den Ortskirchen. Statt dessen hat das angestrengte Appeasement gegenüber dem Zeitgeist der sexuellen Revolution die Ausbreitung der Seuche begünstigt. Inzwischen ist klar, daß es in zahlreichen Diözesen homosexuelle Netzwerke bis in die oberen Ränge gab und immer noch gibt, die ihren Freunden wirkungsvoll Schutz gewähren und Freiräume für ihr übles Treiben eröffnen. Trotzdem hat sich auch der Papst in seinem letzten Schreiben an die Katholiken geweigert, diese Ursachen anzusprechen, sondern ein Phantom namens „Klerikalismus“ angeklagt – das es praktischerweise erlaubt, die Schuld irgendwie „uns allen“ zuzuweisen und gleichzeitig den Weg zu weiteren „Reformen“ im Sinne einer Demokratisierung und Säkularisierung der Kirche öffnet.

Einer der wenigen Bischöfe, die bis jetzt bereit waren, die tieferen Ursachen anzusprechen, ist Bischof Morlino von Madison, Wisconsin: Allzulange haben wir die Realität der Sünde kleingeredet und uns im Namen eines verfehlten Verständnisses von Barmherzigkeit geweigert, Sünde als Sünde zu bezeichnen.

Dieser Befund läßt nur einen einzigen Schluß zu: Ein großer, vielleicht der größere Teil der Leitungsverantwortlichen nicht nur des amerikanischen Katholizismus betrachtet die Kirche in einer rein säkularen Perspektiven wie ein Unternehmen, in dem Umsätze, Personalpläne und Markenimage alles – und die Gebote des Herrn und Lehren des Glaubens wenig bis gar nichts bedeuten. Solange es dabei bleibt, ist mit einer Überwindung der Krise nicht zu rechnen.

II. Änderung des Katechismus

Daß das nicht nur in den USA so ist und sich auch nicht überall in der Enthüllung sittlicher Verkommenheit von Teilen des Klerus darstellen muß, zeigt das zweite oben angeführte Ereignis dieser Wochen: Die von Papst Franziskus im Alleingang und gegen die 2000-jährige Lehre der Kirche verfügte – und daher keinen Katholiken im Gewissen bindenden – Änderung des Katechismus mit dem Ziel, die vom Zeitgeist eingegebene politische (und als solche durchaus vertretbare!) Forderung nach Ächtung der Todesstrafe zum Glaubensinhalt der Kirche zu erklären. Der Vorgang selbst ist nur eine Hälfte des Skandalon – die andere Hälfte besteht darin, daß der Übergriff von den meisten Oberhirten unter angestrengtem Wegschauen hingenommen worden ist, so wie sie vielfach die sittlichen Verfehlungen ihres Klerus hingenommen haben.

Der Grund ist der gleiche: Auch hier haben Opportunitätsüberlegungen den Vorrang vor dem Bestreben, den empfangenen Glauben unversehrt weiterzugeben und allem entgegenzutreten, was diese Weitergabe gefährden könnte. Für diesen Befund ist es unerheblich, ob die Prälaten selbst den Glauben verloren haben – was man vielen unterstellen muß – oder ob ihnen nur der Mut fehlt, das depositum fidei gegen den Zeitgeist und dessen römischen Propheten zu verteidigen. Dabei ist doch eines völlig klar: Nicht der Katechismus macht den katholischen Glauben – sondern der katholische Glaube macht den Katechismus – und wenn der gegenwärtig unglücklich regierende Papst sich auf den Kopf stellt.

III. Christus - Erlöser der Welt oder (irgend)ein Prophet?

Noch schärfer zeigt sich die Problematik des Glaubensverlustes im dritten hier anzuführenden Ereignis: Im Juli ist ein auf das Jahr 2015 zurückgehendes Papier von Papst Benedikt bekannt geworden, dessen Inhalt die Neue Züricher Zeitung nicht unzutreffend auf die Kurzformel bringt: „An Christus führt kein Weg vorbei. Die Juden sind Gottes Volk, aber die Wahrheit liegt im Christentum!“ Die von Kardinal Koch vom „Päpstlichen Einheitsrat“ veranlaßte Veröffentlichung hat sogleich die „sprungbereite Feindseligkeit“ geweckt, über die sich Josef Ratzinger zu Ende seines Pontifikats so bitter beklagt hat – und zwar nicht nur bei der deutschen Politik oder der politischen Lobby des Judentums, sondern auch auf der Publikationsplattform der deutschen Bischöfe „katholisch.de“, die dankbar die Gelegenheit ergriff, eine Generalabrechnung mit dem ungeliebten Papst aus Deutschland einzuleiten.

Dabei ist sichtbar geworden wie selten zuvor, daß der gesamte auf das Konzilsdokument „Nostra Aetate“ zurückgehende „Dialog zwischen Kirche und Judentum“ (in dem übrigens jüdische Gottesgelehrte nur eine kleine Rolle spielen, während politische und gesellschaftliche Interessenvertreter das große Wort führen) ausschließlich politischen Charakter hat. In der gesamten Debatte werden keinerlei ernsthaften theologischen Argumente ausgetauscht. Es ist noch nicht einmal im Ansatz der Versuch erkennbar, sich theologisch mit der überlieferten Lehre der Kirche zum Judentum oder den Unterschieden und Gemeinsamkeiten beider Religionen – beide gehen sehr tief - zu beschäftigen. Apodiktisch wird verfügt, „nach Ausschwitz“ sei alles anders – und so darf nur noch das gesagt und gedacht werden, was jeden Konflikt vermeidet und allgemeinen Beifalls sicher sein kann. Es geht nicht – die NZZ hat das entscheidende Stichwort bereits in der Überschrift ihres Artikels angesprochen – um Wahrheit, sondern darum, die katholische Kirche (auch) in diesem Umfeld zeitgeistkompatibel zu machen.

Was dem politischen Denken als eine begradigungsbedürftige „Frontlinie“ erscheint, betrifft an dieser Stelle allerdings das Herzstück unseres Glaubens: Jesus Christus, den Erlöser der Welt. Wer hier aus welchen Motiven auch immer den „Kompromiss“ mit denen sucht, die Christus nicht als Erlöser anerkennen (oder sonstwie das Kreuz ablegen), verläßt den Raum des Christentums überhaupt.

So markieren die drei Schlüsselereigniss der vergangenen Wochen drei Stränge der fortschreitenden Selbstrelativierung und Selbstsäkularisierung der Kirche. Diese Selbstrelativierung wird weniger „von unten“ verlangt – die drei Hanseln von „Wir sind Kirche“ sind nicht der Rede wert – als „von oben“ aufoktroyiert. Aus welchen Motiven das geschieht, ist schwer erklärbar. Aus Dummheit und Unbildung fehlgeleiteter guter Wille mag dabei ebenso eine Rolle spielen wie Gier nach Macht und Besitz. Das alles verbindet sich aufs Unglücklichste mit dem Agieren der Angehörigen und Vertreter eines in den vergangenen Jahrzehnten enorm aufgeblähten karitativ-universitären-administrativen Komplexes, der die Kirche nur noch als gewerkschaftsähnliche Organisation zur Sicherung von Arbeitsplatz und Einkommen begreift. Mit Rücksicht auf die Behauptung ihrer weltlichen Positionen in einer zunehmend gott-losen Gesellschaft wandelt sich die verfasste Kirche so von dem, was vorher der mystische Leib Christi war, unter unseren Augen zu einer weltumspannenden NGO, die sich erfolgreich „von überkommenden Dogmen und traditionellen rigiden Moralvorstellungen emanzipiert“. Sie wird zu einem weiterer Mitspieler im politischen Tagesgeschäft und Mitbewerber um Gunst und Geld von Staatsapparaten, die immer mehr Regelungskompetenzen und Anteile am Nationalprodukt an sich ziehen. Und so zeigt der „Geist des Konzils“, wessen Kind er ist.

Der Marsch auf diesem Weg „über das Christentum hinaus“ ist bereits weit fortgeschritten, und er stößt weder bei denen, die als episkopoi, als Aufseher und Hirten zur Leitung der Kirche berufen wären, noch in der Masse der oft nur noch gelegentlichen Gottesdienstbesucher auf nennenswerten Widerstand. Wo dieser sich doch erhebt – wie bei der so ganz und gar nicht dem Zeitgeist entsprechenden Wendung der Franziskaner der Immakulata zur Tradition oder dem Wirken von Kardinal Burke im Sinne der überlieferten Lehre – wird er mit brachialer Gewalt gebrochen oder administrativ marginalisiert.

Die Hauptlast des Widerstandes muß daher von denen getragen werden, die dieser abirrenden Gewalt nicht unmittelbar unterworfen sind: von den Laien – die schließlich den größten Teil des „pilgernden Volk Gottes“ (Lumen Gentium 8) ausmachen, zu dessen Heil Christus seine Kirche gestiftet hat. Ihre Aufgabe ist es, den sensus fidelium zu bewahren und zur Geltung zu bringen. Also den rechten Glauben, der sich nicht nach Moden, Opportunitätserwägungen oder Stimmenmehrheiten bestimmt, sondern der von Christus und den Aposteln gelehrt und von den Vätern und Kirchenlehrern überliefert worden ist.
Für die, die an dem festhalten wollen, was „schon immer und von allen“ geglaubt worden ist, bedeutet das auch, ihre Kräfte nicht in der berechtigten Empörung über die Fehlentwicklungen und im andauernden Aufdecken und Anprangern von Mißständen zu erschöpfen.

Es ist genug aufgedeckt: Nach 5 Jahrzehnten postkonziliaren Niedergangs und 5 Jahren dieses Pontifikates ist inzwischen mit großer Klarheit zu erkennen, was in der weltlichen Hülle der Kirche geschieht – und diese Erkenntnis greift immer weiter Raum. Gleichzeitig ist aber zu sehen, daß diese Erkenntnis allein noch lange nicht dazu ausreicht, die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Ein Wunder ist das nicht – eine der bemerkenswertesten faulen Früchte des Konzils besteht darin, daß viele Bischöfe und ihre Priester jedes katechetische Bemühen eingestellt haben, so daß viele fromme und gutwillige Katholiken den Glauben, an dem sie festhalten wollen, gar nicht mehr kennen.

Ihn sich wieder anzueignen und andere bei dieser Aufgabe zu unterstützen erscheint daher als die vordringlichste Aufgabe überhaupt.

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