Louis Bouyer und das II. Hochgebet
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- 07. September 2020
Fr. Hunwicke veröffentlicht heute erneut einen Beitrag aus dem Jahr 2015, in dem er sich über die Umstände der Entstehung des II. Hochgebets für den Novus Ordo entrüstet hatte. Anlaß seiner Empörung waren die damals gerade in französischer Sprache erschienenen Memoiren von Louis Boyer, der für kurze Zeit in einer der Kommissionen zur Liturgiereform mitgearbeitet hatte und bemerkenswerte Details zu berichten hatte. Vor fünf Jahren erschien uns die Kritik von Fr. Hunwicke wohl noch zu scharf, so daß wir von einer Übersetzung und Übernahme abgesehen haben. Schon seit langem ist erkennbar geworden, daß auch gerade die faktische Ersetzung des Canon Romanus durch das „II. Hochgebet“ eine besonders beklagenswerte Rolle bei der Zerstörung der römischen Liturgie gespielt hat. Wir nehmen die heutige Neuveröffentlichung auf Fr. Hunwickes Blog daher zum Anlaß, den Text hier komplett und unkommentiert zu veröffentlichen. Auf das Thema „II. Hochgebet“ wird in weiteren Beiträgen zurück zu kommen sein - hier jedoch zunächst die Übersetzung aus „Fr. Hunwicke's Mutual Enrichment“.
Louis Boyer, der hervorragende Liturgiewissenschaftler und begnadete Autor und Lehrer der 50er und 60er Jahre hat in seinen Memoiren (erstmals auf Französisch veröffentlicht 2014) von seiner Mitwirkung an der Entstehung des 2. Hochgebetes berichtet. Ein guter Freund ließ mir (das war vor Erscheinen der englischen Übersetzung 2015 bei Angelico) einige Auszüge aus dem französischen Text zukommen.
Bouyer war in die Unterkommission berufen worden, die den Auftrag hatte, ein neues Missale zu erfinden, und wollte die Arbeitsgruppe sofort wieder verlassen, als er die bis dahin erstellten Entwürfe gesehen hatte. Aber Dom Bernard Botte überredete ihn, dabei zu bleiben – und sei es nur, um das Schlimmste zu verhindern. Und Boyer war einverstanden. Im folgenden meine eigene vermutlich ungenaue (Korrekturen werden gerne entgegen genommen) Übersetzung der Passagen, in denen Boyer schildert, wie sie das zusamengeleimt hatten, was dann unglücklicherweise zum meistgebrauchten Hochgebet der westlichen Kirche im vergangenen halben Jahrhundert geworden ist: Das II. Hochgebet, von dessen älteren Teilen man in den 60er Jahren annahm, daß sie auf einen frühen römischen Autor mit Namen Hippolytus zurückgingen.
(Beginn Zitat Bouyer:)„Sie können sich vorstellen, unter welchen beklagenswerten Bedingungen diese in unwürdiger Hast vorangetriebene Reform stattfand, wenn ich Ihnen erzähle, wie das zweite Eucharistische Hochgebet zusammengestückelt worden ist. Auf der einen Seite gab es die Fanatiker, die wild und völlig beliebig herum-archäologisierten und die am liebsten die (einleitenden) Anrufungen und das (abschließende) Sanctus ganz verbannt hätten, um das Gebet des Hippolytus wie es war zu übernehmen. Auf der anderen die, denen dessen angebliche „Traditio Apostolica“ völlig schnuppe war, und die nur eine irgendwie zusammengeschusterte Messe wollten. Und so wurden Dom Botte und ich beauftragt, einen Text unter Einschluss dieser tatsächlich sehr alten Elemente zusammenzustellen – und zwar bis zum nächsten Morgen! Zufällig fand ich in einem Text, der vielleicht von Hippolytus selbst war, jedenfalls in dessen Stil, eine passende Formel über den Heiligen Geist, die einen Übergang in Art des Vere sanctus zu einer kurzen Epiklese bilden konnte. Botte seinerseits fabrizierte Anrufungen, die eher den literarischen Parodien von Paul Reboux (einem Satiriker der Belle Epoque und Verfasser witziger Imitationen) zur Ehre gereicht hätten als seiner eigenen wissenschaftlichen Sachkenntnis. Und jedesmal, wenn ich diese unerhörte Zusammenstellung lese, muß ich an die Terrasse des Bistros in Trastevere denken, wo wir an dem uns zugewiesenen Auftrag arbeiteten, damit wir uns mit einem Ergebnis in Händen zu der von unseren Chefs bestimmten Zeit an den Bronzetoren des Vatikans einstellen konnten.“ [Botte selbst erinnerst sich in seinen Memoiren, daß die Unterkunft, in der er logierte, so voll mit roten und purpurnen Soutanen war, „denen ich nur dadurch entkommen konnte, daß ich meine Mahlzeiten in den kleinen öffentlichen Restaurants der nahegelegenen Straßen einnahm“.]
Ich bin sehr dankbar – und ich weiß, Sie sind es auch – daß das Trastevere der 60er Jahre so viel respektabler war als es eine Generation vor der Zeit Bouyers gewesen sein soll, sonst hätte unser anzüglicher Berichterstatter vielleicht auf die Idee kommen können, das 2. Hochgebet als eine illegitime Frucht, entstanden bei den Freudenmädchen des Trastevere zu bezeichnen. Wußte ich‘s doch, daß Sie dann entsetzt gewesen wären!
Jedenfalls ist es eine Schande, daß Bouyer keine Auskunft darüber gibt, welches Bistro sich der Ehre rühmen kann, Schauplatz dieses historischen Augenblicks der Liturgiegeschichte gewesen zu sein. Hätte er das getan, so könnten Fans auch heute noch auf den Gedanken kommen, dort eine feierliche liturgische Kommemoration in Anwesenheit des Papstes zur Entstehung dieses bescheidenen kleinen Gebetes zu veranstalten, und der armen Guido Marini wäre der Zermonienmeister und machte ein Gesicht wie geronnene Milch. Und Clio hätte es als ihre Pflicht erachten müssen, uns den Namen des Kellners zu überliefern, der bereitwillig die unentbehrlichen Drinks herbeischaffte .. er hatte ja keine Ahnung, welche entscheidende Rolle er bei der Zerstörung des Gottesdienstes der Lateinischen Kirche für die nächsten (wieviele eigentlich?) Generationen spielen sollte. Und wenn doch Bouyer wenigstens die Speisekarte abgeschrieben hätte – dann hätten wir doch wenigstens eine erfreuliche Ablenkung für das nächste Mal, wenn wir gezwungen sind, an einer „Mein Gott – aber es ist wenigstens gültig und ich erfülle meine Sonntagspflicht“-Feier des Höchsten Opfers teilzunehmen. (Statt dessen kann man sich auch überlegen, wie man den Zelebranten beim Verlassen der Kirche höflich darauf hinweisen soll, daß das 2. Hochgebet nach der Institutio Generalis nicht für die Verwendung an Sonntagen bestimmt ist. Doch wie Michael Caine zu sagen pflegte: „Viele Leute wissen das nicht“.)
Der nächste Abschnitt beginnt dann damit, daß Bouyer uns darüber informiert, daß das Kalendarium des NO das Werk eines „Trios von Wahnsinnigen“ war. Erzbischof Bugnini bezeichnet er als „verachtenswert“ und als jemanden, der „weder Kultur noch Ehre“ besessen habe - „meprisable“ and „aussi depourvu de culture que de simple honnetete“ - was entweder meine Schulkenntnisse im Französischen deutlich übersteigt oder aber meinem angelsächsischen Sinn für das „de mortuis nisi bene“ widerspricht - ich weiß nicht, was von beidem. Es ist nicht leicht, Engländer zu sein.