St. Nikolaus der Wundertäter
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- 06. Dezember 2022
Zum heutigen Fest des hl. Nikolaus bringt Rorate Caeli einen Artikel von Matthew Hazell, der beschreibt, wie die neue Liturgie Pauls VI. systematisch alle Erinnerungen an die Wunder getilgt hat, die diesem eben wegen dieser Wunder im Volk seit 1700 Jahren so beliebten Heiligen zugeschrieben werden.
Beim Tagesgebet sieht das so aus:
O Gott, Du hast den heiligen Bischof Nikolaus durch zahllose Wunder verherrlicht; gib, wir bitten Dich, daß wir durch seine Verdienste und Fürbitten vor den Flammen der Hölle bewahrt werden. (Erster Beleg dieses Textes in einem Missale aus dem 11. Jh.)
Der Novus Ordo hat folgendes Tagesgebet:
Demütig bitten wir o Herr, um Dein Erbarmen, daß Du uns durch die Fürsprache des heiligen Bischofs Nikolaus in allen Gefahren beschützen und den Weg des Heils weit eröffnen mögest.
Eine ähnliche Säuberung erfolgte beim Eintrag des Heiligen im Martyrologium. In den vorkonziliaren Ausgaben des 20. Jh. lautet der Eintrag:
Zu Myra, der Hauptstadt von Lykien, die Geburt des heiligen Bischofs und Bekenners Nikolaus, von dem unter anderen Wundern berichtet wird, daß er, obwohl er sich weit entfernt von Kaiser Konstantin aufhielt, diesem in einer Vision erschien und ihn zur Barmherzigkeit gegenüber einigen zum Tode Verurteilten bewog, die seine Hilfe angerufen hatten.
In der Version von 2004 ist davon übriggeblieben:
Sankt Nikolaus, Bischof von Myra in Lykien, berühmt wegen seiner Frömmigkeit und seiner Fürsprache am Thron der göttlichen Gnade.
In beiden Fällen geben die Änderungen einen verheerenden Eindruck von der Blutarmut und Lebensferne, die den unter das Joch des modernen Rationalismus gebeugten Novus Ordo generell auszeichnet. Da ist nichts Konkretes und nichts Individuelles mehr – beide Texte ließen sich ohne Änderung für eine große Zahl anderer Heiliger verwenden, sie sind nicht mehr als frömmelnder Stehsatz.
Dabei kann man durchaus nachvollziehen, daß die Kirche der Gegenwart vor den legendenhaften Ausschmückungen des Leben dieses Heiligen zurückschreckt, die im frommen Volk seiner Zeit und des ganzen Mittelalters in Umlauf waren und die man heute kaum weitererzählen kann, ohne rot zu werden. Aber genau von solchen haarsträubenden Legenden hält sich sowohl die überlieferte Liturgie als auch das Martyrologium betont fern. Die überlieferte Liturgie spricht ohne jede Ausschmückung von „zahllosen Wundern“, und das Martyrologium greift sich aus dem reichen Fundus der mit Nikolaus verbundenen Wundergeschichten eine heraus, deren faktische Möglichkeit selbst von einem hartgesottenen Rationalisten des 21. Jahrhunderts kaum geleugnet werden kann.
Stellt sich die Frage, was dahinter steht, wenn die Klempner des Novus Ordo das Bild des Heiligen (und nicht nur dieses einen, sondern buchstäblich aller) so rigoros von allen Hinweisen auf von ihm gewirkte Wunder gereinigt haben. Tatsächlich haben sie selbst in den Evangelien mehrfach Wunderberichte dadurch unsichtbar gemacht, daß sie sie „zwischen den Sonntagen“ verschwinden ließen oder – wie bei vielen Predigten zum Gegenstand der wunderbaren Brotvermehrung – als Frucht menschlicher Solidarität („Teilen bewirkt Wunder“) wegerklärt haben.
Anscheinend glauben die Macher des Novus Ordo in den 60er Jahren des 20. Jh. und seine rabiatesten Verteidiger von heute überhaupt nicht an Wunder. Sie fallen damit entschlossen und noch verhängnisvoller als unsere manchmal allzu wundergläubigen Vorfahren in das entgegengesetzte Extrem: Wo diese zur Übertreibung von Zahlen und Absonderlichkeiten neigten, haben sie nur platten Rationalismus eines durchaus eindimensionalen vorgeblich „wissenschaftlichen“ Denkens zu bieten, das Wunder – also Eingriffe Gottes in die Ordnung Seiner Schöpfung – für prinzipiell ausgeschlossen hält.
Noch verhängnisvoller als die Wundersucht früherer Zeiten ist die Wunderleugnung der Modernen deshalb, weil sie die mataphysische Ebene der menschlichen Existenz reduziert oder ganz ausschließt. Die Christen früherer Zeiten lebten auf gewisse Weise ständig in der Gegenwart Gottes und seiner Heiligen – was sie freilich nicht daran hinderte, die mit der Erbsünde in die Welt gekommene Sündhaftigkeit auszuleben. Aber sie waren offener für die Gegenwart Gottes und das Wirken seiner Gnade in der Welt, und einiges spricht dafür, daß diesem Glauben, dieser Offenheit von unten auch eine größere „Offenheit von oben“ entsprach; eine größere Bereitschaft des Herrn, ihre Bitten zu erhören und dazu auch nicht von Eingriffen in die natürliche Ordnung der Dinge abzusehen. Seit den Tagen Israels gehören Wunder und Wunderzeichen zu den erprobten Formen der Kommunikation Gottes mit seinem Volk.
All das ist der durch und durch säkular rationalisierten modernen Theologie ein Graus, geradezu „Anathema“ – und deshalb hat man auch die lex orandi des Novus Ordo wo immer man konnte von diesen Relikten der Vergangenheit befreit. Der Drang dazu war so stark, daß er sogar auf Kosten eines anderen (angeblichen) Hauptanliegens der Liturgiereformer praktisch umgesetzt wurde: Des Ökumenismus. In den Kirchen des Ostens wird Nikolaus von Smyrna durchgängig als Nikolaus Thaumaturgos, der Wundertäter, angesprochen. Ihn dieser Eigenschaft zu berauben, kann als alles Mögliche verstanden werden, aber nicht als Schritt auf dem Wege zu mehr Verständnis und Einheit mit der Orthodoxie.
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Einen hörenswerten Podcast zum hl. Nikolaus, dem ihn umgebenden Legendenkranz und seiner heutigen Rezeption hat Uwe Postl online gestellt: https://drive.google.com/file/d/1X6qw7uDB1rFtE1QYcdSpuAKL0DDtbFnm/view (Vorsicht - kann satirische Elemente enthalten ;) )