Novus Ordo – abschaffen und verbieten
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- 26. Januar 2023
Früher als unsererseits geplant gibt ein Artikel von Erzbischof Vigano auf LifeSiteNews Gelegenheit und zeigt wohl auch die Notwendigkeit, sich mit der nicht nur von dem kämpferischen Erzbischof schon früher erhobenen Forderungen nach einem „Verbot“ des Missales Pauls VI. zu befassen. Und das nicht nur deshalb, weil eine dahingehende Forderung angesichts der aktuellen kirchenpolitischen Verhältnisse einigermaßen aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Die Gründe, eine solche Forderung nicht aufzustellen und überhaupt mit Rufen nach „Abschaffung“ zurückhaltend zu sein, gehen tiefer als kirchenpolitische Überlegungen. Doch der Reihe nach.
Der Artikel von Erzbischof Viganò, der als früherer Nuntius in den USA eine wichtige Position im Kirchenmanagement bekleidet hat, besteht im Prinzip aus zwei Teilen: Einmal einer eher allgemeinen Konzilskritik, gefolgt von der in der Verbotsforderung gipfelnden Kritik an der Liturgiereform der 70er Jahre. Die Schärfe dieses Teils ist nicht zuletzt in einer Verärgerung über die deutlich gemäßigtere Position des mehrfach namentlich genannten Priors und Liturgiewissenschaftlers Alcuin Reid zu sehen. Eines Mannes, der immerhin wegen seine Widerstandes gegen die praktischen Auswirkungen von Traditionis Custodes von Rom mit der Strafe der Suspendierung belegt worden ist.
Im ersten Teil mit der Konzilskritik bleibt Erzbischof Viganò im Wesentlichen im Rahmen der bisher bekannten und nicht nur von tridentinischen Glaubenstreuen geteilten Kritik an der Vieldeutigkeit vieler Dokumente und der modernistischen Verfälschung des Pastoralkonzils zum Superdogma, das vielfach als Auftrag zur Neugründung der Kirche ausgelegt wird. Allerdings verzichtet er auf die nicht zuletzt von Benedikt XVI. betonte Unterscheidung zwischen Konzil und Konzilsgeist bzw. „Konzil der Medien“ – er verwirft das Konzil in Bausch und Bogen und kommt so schließlich zu der Forderung, daß ein künftiger „frommer und rechtgläubiger Papst“ das II. Vatikanum für illegitim, ungültig und nichtig erklären möge.
Vieles, was der Erzbischof zur Untermauerung dieser Forderung anführt, ist zustimmungsfähig oder zumindest diskussionswürdig. Aber die Forderung selbst führt auf mehreren Ebenen in die Irre. Das Konzil von 1963 war eben keine Häretikerversammlung, einberufen und abgeschlossen von Päpsten, die sich die Verbreitung von Irrlehren zum Ziel gesetzt hätten. Es war der wohl zur Unzeit anberaumte Versuch einer „großen Beratung“ des Weltepiskopats, der Wege erkunden sollte, wie die Kirche in einer Zeit epochaler Umbrüche ihrem Auftrag, für das Heil der Seelen zu wirken, gerecht werden könne. Diesen Versuch unternahmen die Konzilsväter ausgestattet mit dem Wissen, den Überzeugungen und auch den Irrtümern der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, eingeklemmt zwischen nostalgischer Erinnerung an die „gute alte Zeit der 50er Jahre und beunruhigt von der Ahnung bevorstehender Umbrüche, die dann ab 1968 deutlich zu Tage traten. Bei alledem wollten die Teilnehmer das als unverfügbar erkannte Wesen der Kirche in keiner Weise ändern, sondern nur eine aktuelle Orientierung für die Wahrung ihres Wesens unter Berücksichtigung neuer Zeitumstände geben.
Mit dieser bei den allermeisten Akteuren vorauszusetzenden guten Absicht ist das II. Vatikanum zwar letzten Endes in vielen Punkten gescheitert. Dieses Konzil jedoch rundum zu verurteilen und als Ausfluß der bewußten Absicht zur Schaffung einer „neuen Kirche“ wahrzunehmen, bedeutet letztlich auch nur, den Lügen der Hermeneutiker des Bruches auf den Leim zu gehen, die genau das seit 50 Jahren immer wieder behaupten.
Um das Konzil des 20. Jahrhunderts wieder in die Tradition und Legitimität der Kirche zurückzuholen, gäbe es, sofern man denn wollte, weitaus weniger gewaltsame und traditionswidrige Verfahren als den Versuch seiner pauschalen Aufhebung. Geschichte läßt sich nicht per Dekret rückgängig machen – das anzunehmen ist der große Irrtum der Bergoglianer. Es würde – von der höchsten Autorität angeordnet und von allen darunter stehenden Autoritäten unterstützt – vermutlich schon ausreichen, die mißdeutungsfähigen Aussagen seiner Dokumente nach Maßgabe der überlieferten Lehre richtigzustellen und ausdrücklich jeden Versuch zu verurteilen, das Konzil als den „Anfang eines Anfangs“ (Karl Rahner S.J.) auf einem Weg zu betrachten, an dessen Ende endlich und erstmalig seit 2000 Jahren die wahre Kirche Christi erscheinen würde. Genau das war das II. Vatikanum nicht und wollte es nach dem Willen der überwiegenden Mehrheit der Konzilsväter auch nicht sein. Diesem Willen wäre wieder zur Geltung zu verhelfen – eine Anstrengung, die in den vergangenen 60 Jahren sträflich vernachlässigt wurde.
Doch die Konzilskritik ist nicht der Hauptgegenstand von Viganòs Artikel. Sie bildet letztlich nur die Einleitung zu einer ebenso umfassenden Kritik an der Liturgiereform Pauls VI. von 1969 – und auch hier spricht er viele Punkte an, in denen ihm die Zustimmung der liturgischen Traditionalisten gewiß ist. Aber genau wie beim Thema des Konzils verdirbt er hier ebenfalls seine Argumente durch die umfassende Pauschalisierung und durch die Neigung, Bosheit und schlechten Willen da und von Anfang an zu diagnostizieren, wo doch größtenteils nur menschliche Schwächen: Unwissenheit, Eitelkeit, Besserwisserei, Starrsinn, mangelnde Menschenkenntnis und ähnliches am Werk waren. Und so erklärt er jede Form der Koexistenz von Vetus und Novus Ordo zum unmöglichen Trugbild und findet zu der starken Formulierung: Der Krieg geht um den „wesensmäßigen Unterschied“ zwischen der theozentrischen Blickweise der tridentinischen Liturgie und der Anthropozentrischen Blickweise ihres konziliaren Zerrbildes. „Das ist nichts anderes als die Schlacht zwischen Christus und dem Satan“.
Der zitierte letzte Satz ist ja auf der einen Seite gar nicht ganz falsch: So, wie der Kampf heute (also in den 20er Jahren des 21. Jh.) ausgetragen wird, in der ganzen (westlichen industrialisierten) Gesellschaft und eben auch in der Kirche, ist es ein Kampf zwischen dem offenbarten Christus und dem vom teuflischen Machbarkeitswahn inspirierten „Wir wollen nicht dienen! Wir sind die wahren Götter!“ Homo Deus! Aber dieser Befund ist auf die Liturgiereform und den daraus hervorgegangenen Novus Ordo so umstandslos nicht anzuwenden. Wäre es wirklich „wesensmäßig“ für die Reformliturgie, daß sie sich vom Blick auf Gott und von Gott selbst abwendet – dann könnte nach den Büchern Pauls VI. nie und nirgendwo eine gültige Vergegenwärtigung des Erlösungsopfers von Golgatha erfolgen, die „Konzilskirche“ wäre bereits von den Pforten der Hölle überwältigt. Wie Paul VI. in seinen Texten zur Promulgation des Novus Ordo mit ausreichender Klarheit festgestellt hat, war eine solche Veränderung des Wesens der Kirche und ihrer Sakramente in keinem Fall die Absicht seiner „Reform“. Ihr Wesen sollte unverändert bleiben, nur in den Accidentien wollte er dem „modernen Menschen“ entgegenkommen. Wir haben dazu beispielsweise hier bereits ausführlich Stellung genommen. Und wir wissen auch, daß diese „guten Absichten“ Pauls VI. vielfach von ihm selbst durch widersprüchliche Signale und auch Worte konterkariert wurden.
Dennoch: Diese Absicht des kirchlichen Gesetzgebers, die der Papst in feierlicher und verbindlicher Form dargelegt hatte, wurde und wird von traditionstreuer Seite akzeptiert, um die Gültigkeit und Wirksamkeit der nach dem Novus Ordo zelebrierten Messe anzuerkennen. Selbst wenn deren Form geeignet ist, vielerlei Mißdeutungen und Mibräuchen die Einfallstore zu öffnen. Diese Anerkennung wird oft auch nur mit quasi zusammengebissenen Zähnen geäußert und sie ist auch nicht voraussetzungslos, hinsichtlich bestimmter Minimalerfordernisse von Form und Intention - aber sie ist im Grundsatz gegeben. Diese Anerkennung wird von Viganò in Frage gestellt, ja sogar ausgeschlossen. Damit beschreitet er einen sehr gefährlichen Weg, der leicht ins Schisma und in Sedisvakantismus führen kann.
Diese Gefahr scheint Viganò auch zumindest zu ahnen, wenn er seine Argumentation quasi als berechtigte Gegenreaktion nicht nur auf echte und unterstellten Mängel der „konziliaren Theologie“ darstellt, sondern auch als Antwort auf die von Franziskus recht offen ausgesprochene Annahme eines unheilbaren Bruches zwischen der Kirche und ihrer Lehre vor und nach dem Konzil. Doch dieser Bruch, wenn Franziskus ihn den tatsächlich so annimmt, mag vielleicht die von Franziskus „präsidierten“ Messen (in welchem Ritus auch immer) ungültig werden lassen, nicht jedoch die von Priestern, die dem Missale und dem Wort von Paul VI. folgen in der Absicht, das zu tun, was die Kirche tut und immer getan hat. Die Messe nach dem Missale Pauls VI. ist vielleicht nicht mehr eine Messfeier nach dem römischen Ritus – aber sie ist, wenn nicht anderes dem entgegen steht, eine gültige Messfeier der römischen Kirche.
Die Probleme, die mit der Abkehr von diesem bisher allgemein anerkannten Grundsatz einhergehen, können hier nur mit einigen Fragen angetippt werden: Will der Erzbischof all die Priester ins Unrecht setzen, die im NO geweiht wurden, die den NO mit guten Absichten zelebrierten, dann die Alte Messe kennen und schätzen lernten – aber dennoch im Pfarrdienst weiter im NO zelebrierten? Was wäre dann mit den Franziskanern der Immakulata, die genau das getan haben – und deshalb dem Zorn der Bergoglianer verfielen? Oder den zumindest von ihren Ursprüngen her „birituell“ angelegten SJM? Und was wäre mit den Gläubigen, die wegen der Ungunst der Verhältnisse (oder den Maßnahmen von TC) lieber unter Bauchschmerzen an einer Sonntagsmesse im NO teilnehmen als an gar keiner?
Und aus einer etwas anderen Perspektive betrachtet: Kann es wirklich in Novus-Ordo-Land keinerlei fruchtbringende und förderliche Teilnahme an der hl. Messe geben – ist sie nicht mehr als eine Simulation? Zugegeben, eine würdige Feier nach den Büchern Pauls VI. ist nicht leicht zu verwirklichen und wird vielerorts durch bischöfliche Verordnungen und die Obstruktion von Gemeinderatsgroßmäuler*innen zusätzlich behindert. Unmöglich ist sie dennoch nicht – irgendwoher müssen ja die jugendlichen Aktivisten kommen, die man beim Marsch für das Leben und anderen auf die Bewahrung des ganzen Glaubens (zumindest soweit sie ihn überhaupt kennen) gerichteten Bewegungen gibt, die von der „alten Messe“ noch nie etwas gehört haben. Und jetzt ein ganz heikles Gebiet: Ist es wirklich auszuschließen, daß es kleine Gemeinden oder Gemeinschaften gibt, bei denen auch die Form „ad populum“ und die vom NO nahegelegte kolloquiale Intimität dazu beiträgt, die in jedem Ritus große Kluft zwischen Alltagsleben und sakraler Handlung zu überwinden und die Herzen für die Hinwendung zu Gott zu öffnen?
Das bedeutet keine Weißwäsche für die Liturgie Pauls VI., deren bei allen guten Absichten generell unerfreuliche bis verheerende Auswirkungen inzwischen als erwiesen gelten können.
Mit solchen Fragen ist das Thema „Spiritualität“ angesprochen, dem sowohl die Betreiber der Liturgiereform als auch die Anhänger der Überlieferung anscheinend nicht die rechte Aufmerksamkeit geschenkt haben und schenken: Haben die Bugninianer jemals darüber nachgedacht, was es für ältere Leute (aber vielleicht auch für jüngere) bedeuten kann, wenn man ihnen den Altar vor der Nase umdreht und die äußeren Formen, an denen sie auch ihr inneres Leben aus- und aufgerichtet haben, gewaltsam wegnimmt? Wenn all die Formen und Gewohnheiten, die bis gestern verehrungswürdig waren, heute als unzulässig gelten sollen? Wenn man den schlichten Gemütern, die den Weg zum „wenn ihr nicht werdet wie die Kinder“ meist nicht so weit haben wie Universitätsprofessoren, nicht mehr glauben können, weil man ihnen alle Zeichen und Stützen weggenommen hat? Folgt man dem Zeugnis von Ordensgründern und von Mitglieder der Gemeinschaften, die sich von ihnen angesprochen sahen, hat es in der Kirche immer einen weitherzigen, eben „katholischen“, „spirituellen Pluralismus“ gegeben. Warum soll das ausgerechnet in der Liturgie nicht möglich sein – innerhalb gewisser vom sakralen Wesen der Sache bestimmten Grenzen, versteht sich? Gilt wirklich wie beim Discounter (oder beim Militär) der Grundsatz „One size fits all“?
Zu den zweifelhaftesten und verhängnisvollsten Elementen der liturgischen Bewegung und der späteren Liturgiereform gehört ihre Erbschaft aus dem „kollektivistischen Zeitalter“ von etwa 1900 bis 1950, dem Uniform und Gleichschritt schon als Wert an sich galten. Das hat in der Bugnini-Liturgie und dem auf deren Durchsetzung gerichteten Handeln der Roches und Grillos vielfältige Spuren hinterlassen, da gehen Kollektivismus und Autoritarismus perfekt zusammen. Und damit ist nicht nur die Vorliebe für kindergartenmäßige Anweisungen wie „jetzt erheben sich alle“ gemeint. Das geht bis tief in eine moderne Theologie, die das Heil nur noch in der Gemeinschaft sehen kann und die Voraussetzung außer Acht läßt, daß jedes Individuum, angerufen vom Individuum des Gottmenschen, seinen Weg finden muß, diesem Anruf zu folgen.
Die liturgische Tradition war da, wenn auch oft eher durch äußere Umstände genötigt, wesentlich toleranter als die Liturgiebürokraten Pauls VI. und hat immer gewußt, daß die hl. Messe sowohl unter einfachsten Umständen und mit minimaler Gemeinde wahrhaft „gefeiert“ werden kann, als auch als levitiertes Hochamt mit Musik von Palestrina; in Wien auch gerne als „Fünfherrenamt“ mit Mozart. Mißbräuche und Verirrungen waren auf beiden Seiten, bei Minimalisten wie bei Maximalisten, nicht ausgeschlossen – aber es gab einen Maßstab und eine Richtschnur.
Der langen Rede kurzer Sinn: Es erscheint nicht ausgeschlossen, daß auch für eine Liturgie mit dem Missale Pauls VI. ein sinnvoller und legitimer Raum in der wahrhaft katholischen Kirche gefunden werden kann – nachdem einige Dinge, die theologisch wirklich höchst problematisch sind, korrigiert wurden. Es mag sogar möglich sein, diesen erneuerten Ritus wieder in die große Linie des römischen Ritus zu re-integrieren. Eine unaufgebbare Bedingung ist das eher nicht. Vielleicht entstehen in der Kirche in Einheit mit dem Bischof von Rom zwei Abteilungen, von denen eine dem historischen römischen Ritus folgt, die andere einem ebenfalls katholischen „ritus modernus“, die aber der Lehre der Apostel und der ökumenischen 21 Konzile treu bleibt. Für eine Theologie und eine Liturgie, die sich endgültig von dieser Lehre abwendet – siehe synodaler Weg – gibt es allerdings innerhalb der Kirche Christi keinen Platz. Die muß man nicht abschaffen – die schafft sich selbst ab.