„Die Liturgiereform ist Gesetz“
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- 25. Februar 2015
In seinem Artikel zur Unmöglichkeit, die überlieferte Liturgie und den Novus Ordo durch kosmetische Maßnahmen miteinander zu versöhnen – über Maßnahmen auf anderer Ebene wäre gesondert nachzudenken – zitiert Joseph Shaw kurz aus einer der Predigten, mit denen Papst Paul VI. 1969 die Gläubigen dazu verpflichtete, das in seinem Namen erlassene Neue Missale im Gehorsam zu akzeptieren. Summorum Pontificum hat die beiden großen Ansprachen des Papstes, die er diesem Aufruf widmete, bereits vor Jahren publiziert – und dann wieder aus dem Auge verloren. Dabei sind sie wie wenige andere Texte der Liturgierefom geeignet, zu belegen, wie tief der mit dieser Neugestaltung der Liturgie verbundene Bruch war, und daß sich Papst Paul VI. auch dieser Tiefe bewußt war.
Zunächst entzieht die Ansprache allen formalen Argumentationen, die Reform sei über den in Sacrosanctum Concilium formulierten Auftrag des Konzils hinausgegange, den Boden. Papst Paul stellt nachdrücklich fest, die neue Liturgie beruhe auf dem Willen des Konzils und verfügt in einem an Schärfe kaum überbietbaren Ton:
Die Reform, die jetzt in Kraft treten wird, ist also die Erfüllung eines autoritativen Auftrags der Kirche. Sie ist ein Akt des Gehorsams. Sie ist ein Akt des Zusammenhalts der Kirche mit sich selbst. Sie ist ein weiterer Entwicklungsschritt ihrer authentischen Tradition. Sie ist ein Zeugnis von Treue und Lebenskraft, dem wir alle ohne zu zögern Zustimmung schulden.
Sie ist kein willkürlicher Akt. Sie ist auch kein zeitlich begrenzter Versuch, an dem man sich beteiligen kann oder auch nicht. Sie ist kein improvisierter Akt von Dilettanten. Sie ist Gesetz. Sie wurde von kompetenten Experten der heiligen Liturgie ausgearbeitet und sie wurde lange Zeit erörtert und bedacht. Wir müssen es uns angelegen sein lassen, sie freudigen Herzens anzunehmen und exakt, einheitlichen Sinnes und sorgfältig in die Praxis umzusetzen. (Abs. 6 und 7)
Diese Schärfe wird auch nicht dadurch gemildert, daß gerade die Einhaltung der Forderungen des letzten Satzes nie ernsthaft betrieben wurde – die Schärfe richtet sich damals wie heute alleine gegen diejenigen, die die Sinnhaftigkeit des „von kompetenten Experten der heiligen Liturgie ausgearbeiteten“ Kunstproduktes bezweifeln.
Tatsächlich bleiben die Formulierungen des Papstes – und das nicht zuletzt wegen ihrer relativen ‚Formlosigkeit‘ - nur ein kleines Stück unterhalb der Schwelle, oberhalb derer man annehmen müsste, er habe Unfehlbarkeit in Anspruch nehmen wollen. Daß er die ganze Autorität des Lehramtes ins Feld führen will, steht außer Zweifel. Und doch: Wie sehr der Papst damals in Irrtum befangen war, geht bereits aus dem unmittelbar folgenden 8. Absatz der Ansprache hervor:
Diese Reform setzt den Unsicherheiten, den Debatten und den willkürlichen Mißbräuchen ein Ende. Sie ruft uns zurück zu der Einheitlichkeit der Riten und der Empfindungen, wie sie der katholischen Kirche zu eigen sind, der Erbin und Fortführerin jener ersten christlichen Gemeinde, die „ein Herz und eine Seele war“ (APG 4:32)
Jeder, der nicht in ideologischer Verblendung der Rede vom „Neuen Frühling “befangen ist, kann mit Händen greifen, daß diese im Ton höchster Gewißheit versprochenen „Früchte“ der Reform in gar keiner Weise gereift sind. Selbst wenn die schlimmsten Missbräuche vielleicht nicht mehr ganz so weit verbreitet sein sollten wie in den 60er und 70er Jahren (was man durchaus bezweifeln kann), so hat sich die Unsicherheit über das, was in der Liturgie geschieht und geschehen sollte, tief in den Körper der Kirche eingefressen. Man findet heute nicht nur immer seltener zwei benachbarte Kirchen, in denen von „Einheitlichkeit der Riten“ gesprochen werden kann; immer öfter zeigt sich auch, daß die von den „Experten der heiligen Liturgie“ sozialingenieursmäßig entwickelten Formen nicht die Kraft hatten, den Säkularisierungstendenzen der Gesellschaft zu widerstehen und die Inhalte des katholischen Glaubens, so wie sie letztmalig im Katechismus von 1992 zusammengefasst worden sind, im Bewußtsein der Gemeinden zu bewahren.
Wie der Papst sich auf so folgenschwere Weise irren konnte, wird deutlich, wenn man den folgenden 10. Absatz der Ansprache anschaut.
Haltet das folgende deutlich im Bewußtsein: Nichts an der Substanz der traditionellen hl. Messe ist verändert worden. Vielleicht lassen sich Einige von dem Eindruck, den manche besondere Zeremonien oder Rubriken auf sie machen, zu der Annahme verleiten, daß darin eine Veränderung oder Verkleinerung von unveränderlichen Glaubenswahrheiten liegt und bekräftigt wird. Sie könnten zu der Ansicht kommen, daß der Gleichklang zwischen der Weise des Gebetes, der lex orandi, und der Weise des Glaubens, der lex credendi, dadurch beeinträchtigt worden ist. Das ist definitiv nicht der Fall.
Auf einer recht hohen Abstraktionsebene ist das sicher richtig. Und man kann Paul VI. auch mühelos konzedieren, daß er diese „unveränderlichen Glaubenswahrheiten“ als Inhaber des Lehramtes stets entschlossen verteidigte - etwa in seiner Enzyklika „Mysterium Fidei“. Auf dem Konzil und auch bei den Beratungen über die Liturgiereform stellte er sich den durchaus aktiv vorangetriebenen Bemühungen zu deren Abschwächung und Veränderung energisch entgegen. Sein Irrtum liegt ganz wesentlich darin, daß er wie viele andere Verantwortliche damals nicht im Stande war, den Zusammenhang zwischen lex orandi und lex credendi, zwischen Form und Inhalt, in einer dem Leben der Menschen gemäßen Form zu begreifen.
Dabei bietet gerade die liturgische Tradition der Kirche reichhaltiges Anschauungsmaterial dafür, wie dieser Zusammenhang konkret dargestellt werden muß, damit er nicht in der Höhe akademischer Abstraktionen entschwindet, sondern Sinne, Bewußtsein und Verhalten der Menschen ergreift und prägt. Die Kirche ist keine Kirche der Abstraktionen, sondern der Inkarnation. Zwar gibt es heute – wie Carl Wolk in seinem dieser Tage hier zitierten Aufsatz dargelegt hat – keine Könige mehr, vor denen man auf die Knie fällt, so daß das Verständnis dieser Geste aus dem Alltagsleben heraus nicht mehr gestützt wird. Wie man das Knien vermittelt, um seine Bedeutung denen nahezubringen, die keinen König (aner)kennen, stellt daher durchaus ein Problem dar, über dessen Lösung nachzudenken ist. Aber das Knien, da vermeintlich unzeitgemäß und unverständlich, abzuschaffen und am Ende gar durch Formen zu ersetzen, die aus dem zwanglosen Miteinander der Menschen heute am Arbeitsplatz oder im Vereinsleben geläufig sind, kann nur in die Irre führen: Solche Formen mögen leicht verständlich sein, aber dieses Verständnis trägt nichts zur Sache bei, im Gegenteil.
Alleine dadurch, daß die Liturgiereform zahllose formale Elemente aus der Tradition abgeschafft und entweder durch „zeitgemäße Äquivalente“ oder durch Leerstellen „ersetzt“ (eben nicht!) hat, hat sie den Menschen die Möglichkeit erschwert, wenn nicht gar genommen, die theoretisch gewahrte Gleichheit der Inhalte sinnfällig zu erfahren und ‚wahr‘-zu nehmen. Dabei ist hier von den zahlreichen textlichen Änderungen, die ebenfalls inhaltliche Bedenken hervorrufen, noch nicht einmal die Rede.
Was für ein Menschenbild, was für ein eingeschränktes Verständnis von der Lebenspraxis der Menschen muß man haben, um in einem religiösen Kontext buchstäblich alles, was die Menschen hören, sehen riechen und fühlen können, grundlegend zu verändern, in vielen Fällen sogar umzukehren, um dann von höchster Warte aus mehr zu verfügen als zu erklären: Nichts Wesentliches hat sich geändert!
Wo der Priester vorher das Volk in der Prozession zum himmlischen Ziel der irdischen Wanderschaft anführte, wendet er sich nun als Vorsteher der Versammlung im geschlossenen Kreis zu. Wo vorher hohe symmetrisch aufgestellt Kerzen die Anmutung von Feierlichkeit verbreiteten, stehen jetzt gemütliche Stumpenkerzen in lockerem Arrangement mit Ikebana wie auf dem Couchtisch zu hause. Wo vorher golde- und stickereigeschmückte Paramente vielleicht nicht immer stilsicher, aber doch nachdrücklich signalisierten, daß dort etwas Erhabenes geschehe, das überdies in seiner „Farbkodierung“ einem übernatürlichen Ablauf der Zeiten entspreche, rufen jetzt nie zuvor gesehene Farben, Formen und Materialien („Pferdedecken“) oft nichts anderes hervor als die Frage, was das alles zu bedeuten habe. Wo zuvor die unhinterfragbare Beschränkung des Altardienstes auf Jungen als „kleine Kleriker“ bei diesen die Frage aufkeimen lassen konnte, ob sie vielleicht zu „großen Klerikern“ berufen seien, gibt jetzt ein munteres Miteinander von Jungen und Mädchen und bald vielleicht noch mehr amtlich anerkannten Geschlechtern vielerlei Anlass zu Verlegenheiten oder Schäkereien. Wo zuvor die lateinische Kultsprache, deren Verwendung durch Schott und Katechese kaum Barrieren vor dem Zugang zu den Inhalten errichtete, den Gottesdienst aus der Alltagssphäre hervorhob, nährt nun die geschwätzige Verwendung der Umgangssprache die Illusion, das Mysterium verstehen zu können und zieht den „Godi“ nicht in den Alltag, sondern in die Alltäglichkeit.
Wo vorher (im Idealfall zumindest) der Gregorianische Choral sinnfällig den Übergang in eine andere Sphäre markierte, werden jetzt Blockflöten und Gittarren ausgepackt, damit es so recht gemütlich wird wie bei der Nikolausfeier im Kindergarten. Der Weihrauch, Erinnerung an das Brandopfer des Tempels und Bild des zum Himmel aufsteigenden Gebets von Priester und Gläubigen, wird dann schon einmal ersetzt durch bunte Luftballons, die liebe Grüße in alle Welt tragen oder (das wohl eher und im Regelfall) „abgeschafft“ . Wo vorher das priesterliche Privileg, den Leib des Herrn zu berühren, in gleichem Maß die Erhabenheit des Herrenleibes und die Bedeutung des priesterlichen Amtes unterstrich, teilen nun Kommunionhelferinnen, die selten versäumen, ihre Gabe mit einem beglückenden Lächeln aufzuwerten, etwas aus, über dessen Natur immer weniger Klarheit besteht – außer daß es eine „Diskriminierung“ bedeutet, an diesem „Mahl der Gemeinsamkeit“ nicht teilnehmen zu können. Wo vorher selbst kleine Kapellen bestrebt waren, zumindest einen schwachen Abglanz des himmlischen Jerusalem sichtbar werden zu lassen, herrscht jetzt die Verdrossenheit eine Anti-Ästhetik, die den Blick nicht mehr von der Funktionalität des Betons lösen kann.
Aber „nichts hat sich geändert“. Selbst wer es glauben will - erfahren kann er es nicht.
Der auf den ersten Blick noch nicht einmal völlig unzutreffende Einwand, die meisten dieser Elemente seien nicht in dem von Papst Paul promulgierten Missale vorgeschrieben, gehen doch am Kern der Sache vorbei. Zum einen entsprechen sie, wie die Reformer selbst stets deutlich gemacht haben, durchaus dem „Geist des Novus Ordo“ und dem Willen des Gesetzgebers – wäre es anders gewesen, hätte die höchste Autorität die Pflicht gehabt und die Mittel einsetzen müssen, ihnen als Fehlentwicklungen energisch entgegenzutreten. Sie mögen nicht vorgeschrieben sein, aber sie sind impliziert. Zum zweiten – und das wird in einem weiteren Teil unserer Überlegungen zu den Ansprachen Papst Pauls VI. zur Promulgation des reformierten Ritus ausführlicher abzuhandeln sein, war sich der Papst durchaus darüber im Klaren, daß mit seiner Reform tiefgreifende und verstörende Änderungen der Formen verbunden sein würden. Die daraus unvermeidlich hervorgehende Beunruhigung – das ist auch schon einer der oben zitierten Aussagen zu entnehmen – war für ihn nichts als ein Störfaktor, den er unter Einsatz seiner ganzen Autorität unterdrücken wollte.