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„Galoppierende Protestantisierung“

Auf Rorate Cæli lasen wir dieser Tage einen Beitrag, der indizien für die immer stärker werdende Protestantisierung von Erscheinungsbild und Auftreten der Kirche zusammenträgt und zu einem größeren Bild zusammenzufügen versucht. Auch wenn wir nicht alle Schlussfolgerungen und Zuspitzungen dieses Textes teilen, der primär die italienische Situation betrachtet und zuerst in Radicati nella fede erschienen ist, stellt er doch einen Diskussionsbeitrag dar, an dem man nicht vorbeigehen kann. Daß er Tendenzen, die auch in der deutschen Kirche stark sind, zutreffend beschreibt, steht außer Frage.

Es beginnt ein langes ZitatGegenwärtig ist ein enormer Rückgang der Priesterberufungen und ein entsprechender Rückgang der priesterlichen Präsenz unter den Gläubigen zu beobachten. Täglich erhöht sich die Zahl der Pfarreien ohne ständig anwesenden Priester; unbestreitbar werden die Priester seltener. Immer öfter sind Kirchen nur noch für die Hl. Messe geöffnet und bleiben sonst das ganze Jahr über geschlossen. Und selbst wo ein Priester in einer größeren Pfarrei noch seinen ständigen Wohnsitz hat, wird seine spürbare Präsenz ständig geringer, da er durch seine Verpflichtungen in zahllosen kleinen Gemeinden des Umlands völlig überlastet ist. In einigen abgelegenen Gebieten gibt es überhaupt keine Priester mehr.

Was soll man zu diesem herzzerreißenden Bild sagen?

Die größte Gefahr in dieser Situation besteht darin, daß die Lösung all dieser Probleme von denen diktiert wird, die sie verursacht und vorangetrieben haben. Es war ein „protestantisiertes“ Christentum, das diese Fehlentwicklungen vor Jahrzehnten eingeleitet hat und ausgerechnet das bietet sich uns nun als Heilmittel an.

Sämtliche liturgische Reformen der 60er und 70er Jahre waren darauf ausgerichtet, die zentrale Stellung des Wortes Gottes hervorzuheben und mit aller Gewalt eine Totalrevision der Jahrtausende alten katholischen Liturgie zu erzwingen, um sie den Anforderungen der neuen Ekklesiologie und der neuen pastoralen Zugänge anzupassen.

Die neue Ekklesiologie sieht die Kirche nicht länger als den mystischen Leib Christi, sondern hauptsächlich als das Volk Gottes. Sie betont weniger das Sakrament der hl. Weihe und des Priestertums, die die Struktur der kirchlichen Hierarchie bilden, sondern die Taufe und hebt immer stärker die Mitverantwortung der Laien für das Handeln der Kirche hervor.

Aus dieser neue Ekklesiologie, die stärker auf die Gemeinde als auf die Vereinigung mit Gott in Jesus Christus ausgerichtet war, entstand das ständige Bestreben, alle Texte der Messe und der Sakramentenspendung in die Umgangssprache zu übersetzen, so daß die Gläubigen sich gegenüber den Priestern beim öffentlichen Gebet nicht minderwertig fühlen sollten. Da die Gläubigen zusammen mit den Priestern Verantwortung in der Kirche trugen, mussten sie auch alles jederzeit voll verfstehen, um das Haus Gottes demokratisch verwalten zu können. Und da liegt auch der Grund dafür, daß man dem Wort Gottes – und darunter verstand man schlicht und einfach das Lesen von Bibeltexten bei der Messe – so überaus große Bedeutung zumaß. Das Ergebnis war eine geradezu libidinös besetzte Kreativität im Wortgottesdienst mit Laien-Lektoren, Laien-Kommentatoren, symbolischen Gesten zur Begleitung der Lesungen, Teilnahme an den Predigten und langatmige Fürbitten – denen dann eine schnelle und aufs Wsesentliche reduzierte Konsekration folgte. Von dieser wussten die erfleuchteteren Gläubigen zu sagen, daß sie immer noch dem Priester vorbehalten sei, denn „wir Katholiken“würden ja niemals so weit gehen wollen wie die Protestanten.

Man kann es auch folgendermaßen erklären: Seit dem Konzil hat sich Schritt für Schritt eine Art Halb-Protentantismus entwickelt, der aber den Priester nicht gänzlich überflüssig gamacht, sondern ihm die Konsekration als kleine Ecke reserviert hat. Aber auch diese wird grundsätzlich in die Umgangssprache übersetzt, so daß die Worte der Bibel laut vorgetragen und von der Gemeinschaft der Gläubigen mit ihrem „Amen“ ratifiziert werden. Das leuchtet ein, denn die Demokratisierung der Kirche erfordert die Zustimmung der Gläubigen, die beim „Mysterium des Glaubens“ und beim Empfang der Kommunion ihr „Amen“ sagen, um die vom Priester bewerkstelligte Gegenwart Christi voll wirksam werden zu lassen. Das ist genau der Halb-Protentantismus.

Die in diesem Geist vorangetriebene Liturgische Revolution wollte dem christlichen Leben und der Sendung der Kirche in der Gesellschaft neue Impulse verleihen. Allerdings wurde sehr schnell erkennbar, daß sie viel Verwirrung hervorbrachte. Die Verantwortung dafür schob man auf die sozio-kulturellen Umwälzungen von 1968, die sich gerade während der postkonziliaren Jahre explosionsartig in der Gesellschaft ausbreiteten. Man sagte, daß letzten Endes alles wieder in ruhige Bahnen kommen werde und daß nach der Verwirrung und den Fehlern bei der Umsetzung eine Periode der Ruhe und der fruchtbaren Erbauung eintreten werde. Darauf warten wir noch heute.

Den letzten Vorstoß in dieser Richtung brachte das abgebrochene Pontifikat Benedikts XVI., der sich standhaft für eine Neugewichtung der Reformen im traditionellen Sinne einsetzte, doch diese Illusionen sind mit seiner Abdankung verflogen.

Heute sieht die Kirche wie ein Schlachtfeld nach dem Kampf aus: Alles Ruinen, und überall Leichen, die zu beerdigen sind. Die Geselslchaft hat sich nicht wieder erneut dem Christentum zugewandt – und es gibt keine Priester mehr, um zu einer neuen Mission aufzubrechen.

Doch was tun die Enkel der Revolution in Liturgie und Kirche der vergangenen Jahrzehnte? Ihr neues Rezept ist der Ersatz der hl. Messe durch Wortgottesfeiern, mit Laien als Animateuren und einer Sakramentalen Kommunion am Schluss. Das ist die logische Konsequenz der überaus verheerenden und missgeleiteten Reform in der Kirche. Und diese Nachfahren (der Revolutionäre), das können wir jetzt mit Sicherheit sagen, werden das Unglück zur Vollendung bringen.

Die Krankheit kann man nicht mit der Ansteckung vertreiben, die Seuche nicht mit der Pest – außer, wenn alle tot sind, doch was wäre das für ein Sieg?.

In allen Krisenzeiten hat die Kirche nie ihre Identität aufgegeben, um allen gerecht zu werden. Im Gegenteil. Sie hat ihren Eifer verstärkt, daß die Priester priesterlicher und die Gläubigen katholischer waren.

Im Mittelalter um das Jahr 1000 gab es eine große Krise, da richteten die Priester der Pfarreien Kanonikerstifte ein, damit die Diener Gottes sich durch ein nachgerade monastisches Leben heiligen könnten. Sie reinigten die Liturgie von Mißständen und richteten sie kostbarer aus, vor allem aber intensivierten sie ihre Gebete. In einem Wort gesagt: Sie schufen die Grundlage für eine gesunde Erholung der priesterlichen Berufungen, denn sie wussten – ohne Priester gibt es keine Kirche.

In der letzten Zeit lasen wir immer wieder in großen Buchstaben in der Presse „Es gibt keine Priester mehr – die Laien werden die Messe halten“. Damit kann nun wirklich jeder sehen, daß wir anscheinend ohne größeren Widerstand geradewegs in die Gegenrichtung einer wirklichen Kirchenreform unterwegs sind. Natürlich übertreibt die Presse hier, Laien werden nicht die eigentliche Messe feiern, sie werden Schriftlesungen vortragen und die Kommunion austeilen, aber es ist nicht zu übersehen, daß das der letuzte Schritt ist, bevor wir uns ganz von der Messe verabschieden. Wir haben uns schon daran gewöhnt, in der Lehre ohne Priester auszukommen, und Laien interpretieren Bischöfe und Papst nach Gutdünken. Jetzt müssen sie nur noch eine Pseudo-Messe (Wort-Gottes-Feier) veranstalten, und dann brauchen wir überhaupt keine Priester mehr.

Was wird sich ein Seminarist, ohnehin in dieser Kirche eine lebende Wundererscheinung, denken, wenn er in der Zeitung solche Überschriften liest? Wird es ihm nicht deutlich werden, daß die Kirche für ihn keinen Bedarf mehr hat?

In all diesem Chaos kommt einem insgeheim der Verdacht, daß die im Geist der halb-protestantischen, neuen Kirche umerzogenen Priester und Gläubigen in den Pseudo Messen ohne Priester die letzte Gelegenheit sehen, die Kirchenreform zu vollenden, die das 2. Vatikanum nur halb geschafft hatte. Ja, sie wollen eine Kirche, in der jeder Priester ist, eine Kirche, in der Christus aus dem Gewissen des Einzelnen und aus der Gemeinschaft hervorgeht; eine Kirche, in der Christus nicht länger aus der Höhe herabsteigt, eine Kirche, wo Priester ein zum Aussterben bestimmtes Erbe der Vergangenheit sind – Mehr oder weniger: Das Ende des Christentums.

Wir kommen mehr und mehr zu der Überzeugung, daß wir recht daran getan haben, uns wieder der überlieferten Liturgie zuzuwenden, die ein solches Abgleiten keinesfalls zulässt. Wenn nur mehr Priester und Gläubige das verstünden, hätten sie sicher auch mit Gottes Hilfe die Chance zu einer wahrhaften Wiedergeburt. Was muß denn noch alles geschehen, damit Herzen und Hirne die Täuschungen abwerfen?

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