Soziotheologischer Neudenk
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- 03. Mai 2015
Der vierte Sonntag nach Ostern gibt durchaus unwillkommenen Anlass für den Hinweis, daß die Reformer des Novus Ordo sich keinesfalls auf eher äußerliche Maßnahmen wie die Neunummerierung der Sonntage nach Ostern beschränkt haben. Ganz und gar nicht. Kein einziges der Tagesgebete, mit denen die Kirche je nach Region mehr als tausend Jahre lang, überall jedoch seit dem 16. Jahrhundert, die Messliturgie gefeiert hat, fand Gnade vor den Augen der strengen Zensoren. Betrachtet man die Tagesorationen des heutigen Sonntags vor und nach der Reform, wird besonders leicht verständlich, warum das so ist. In der neuen Form heißt es:
Gott unser Vater,
du hast uns durch deinen Sohn erlöst
und als deine geliebten Kinder angenommen.
Sieh voll Güte auf alle, die an Christus glauben,
und schenke ihnen die wahre Freiheit und das ewige Erbe.
Daran ist nichts falsch - aber auch wenig Richtung gebendes. Davon sogar noch weniger als in dem Kindergebet „Ich bin klein, mein Herz ist rein“, das immerhin weitergeht mit „soll niemand drin wohnen als du mein liebes Jesulein“.
Da hatte die tausendjährige Form der überlieferten Liturgie ein, und der militärische Ausdruck ist durchaus angebracht, ganz anderes Kaliber:
O Gott,
Du machst die Herzen der Gläubigen eines Sinnes;
so laß Dein Volk das lieben, was Du befiehlst,
das ersehnen, was Du versprichst,
auf daß unsere Herzen inmitten des Wechsels der irdischen Dinge
dort verankert seien, wo die wahren Freuden sind.
Aber zugegeben: Wo so gebetet würde, könnte eine Diskussion über die „Lebenswirklichkeit der Menschen als Quelle der Offenbarung“ gar nicht erst aufkommen. Insofern ist den Kompilatoren des neuen Missales ein gewisser prophetischer Blick nicht abzusprechen.
Zur Sache selbst, die durch das Nicht-Dementi von Bischof Bode kein bißchen besser geworden ist: Die Kirche hat in der Tat die Lebenswirklichkeit der Heiligen stets als Hilfe zum Verständnis der Offenbarung betrachtet - von der „Lebenswirklichkeit der Menschen“ und ähnlichem soziotheologischen Neudenk war dabei nie die Rede.
Nachtrag: Der Denzinger-Katholik macht darauf aufmerksam, daß die am 4. Sonntag nach Ostern gestrichene Oration an einem - möglicherweise für weniger prominent gehaltenen - Sonntag „im Jahreskreis“ wieder auftaucht. Das macht die Willkür, mit der die Bugnini-Kommission arbeitete, nur noch deutlicher, und nimmt wie auch der Denzinger-Katholik unterstreicht, den hier angestellten Überlegungen nichts von ihrer Plausibilität.