Breviarium Gothicum - online
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- 04. Oktober 2019
New Liturgical Movement verdanken wir den Hinweis, daß neuerdings eine digitale Reproduktion des extrem seltenen Mozarabischen Breviers in der Druckausgabe von 1775 online zugänglich ist. Es handelt sich um eine ganz vorzügliche Digitalisierung von einer hervorragend erhaltenen Druckausgabe, die überdies mit einer vollständig elektronisch durchsuchbaren Textversion hinterlegt ist. Das Digitalisat kann in verschiedenen Formaten für Studien auf dem eigenen Rechner heruntergeladen werden.
Die Ausgabe von 1775 bietet freilich nur eine Momentaufnahme aus der weit über 1000 Jahre in die Vergangenheit zurückreichende Geschichte des Stundengebetes in diesem Ritus, der heute nur noch in einer Kapelle der Kathedrale von Toledo (dort ist der Ritus im 5. Jh. entstanden), im Kloster auf dem Montserrat und in der Abtei Santo Doingo de Silos gepflegt wird. Die wenigen erhaltenen liturgischen Bücher aus früheren Jahrhunderten und verschiedenen Regionen weisen oft erhebliche Unterschiede auf, so daß bisher keine überzeugende Geschichte seiner historischen Entwicklung vorliegt.
Diese Geschichte war dadurch belastet, daß der Ritus ursprünglich dem westgotischen, also dem arianischen Christentum, entstammt und trotz mehrfacher und erfolgreicher „Reinigungen“ sowohl aus politischen wie aus kirchenpolitischen Gründen immer wieder in Häresieverdacht gebracht und bekämpft wurde. Inwieweit solche Verdächtigungen für die frühere Zeit berechtigt waren, ist heute wohl kaum noch feststellbar. Auf einer von italienischen und spanischen Bischöfen gemeinsam einberufenen Synode von Mantua im Jahr 1067 wurden die von den Spaniern mitgebrachten liturgischen Bücher einer eingehenden Prüfung unterzogen und für nicht nur frei von Häresien, sondern auch „lobenswert“ befunden.
In Spanien selbst gingen die wesentlich politisch motivierten Auseinandersetzungen um den Ritus jedoch weiter. Am Palmsonntag des Jahres 1077 kam es in Toledo zu einem ritterlichen Zweikampf, der als Gottesurteil über die Korrektheit der Riten entscheiden sollte – der Kämpfer für die Sache Toledos gewann. Bei Neuauflagen des „Gottesurteils“ in den 90er Jahren des Jahrhunderts wurden einmal zwei Stiere aufeinander gehetzt, ein anderes Mal Büchern der beiden Riten ins Feuer geworfen. In beiden Fällen gewann der mozarabische Ritus – so wird berichtet. Doch auch solche Veranstaltungen konnten den Untergang des Ritus nicht aufhalten. Im Zuge der Reconquista wurde er auch aus den maurischen Gebieten, für deren Christen er der einzige ihnen bekannte Ritus war, allmählich verdrängt. Im 15. spätestens im 16. Jahrhundert war er bis auf wenige Inseln in einem römischen Meer praktisch erloschen.
Das nun der Öffentlichkeit zugänglich gemachte Brevier von 1775 unterscheidet sich in vielem sehr stark vom Brevier der römischen Traditionen. Es kennt z.B. für die Ferialtage eine zusätzliche Hore Aurora, die vor der Prim gebetet wurde. Auch die Struktur der einzelnen Tageszeiten weicht stark von den römischen Vorbildern ab, und zumindest in Bezug auf die Psalmen hat das mozarabische Brevier eine Sonderstellung, die es von allen anderen Riten des Ostens und des Westens unterscheidet: Es gibt keinen cursus psalmorum, der mehr oder weniger erfolgreich versucht, alle Psalmen während einer Woche mindestens einmal beten zu lassen. Stattdessen haben die einzelnen Tageszeiten – mit Variationen für die Festtage – bestimmte Psalmen, die sich mit geringer Abwechslung wiederholen. So kommt es dazu, daß einzelne Psalmen sehr oft gebetet werden, während andere tatsächlich nie vorkommen. Der Artikel über den mozarabischen Ritus in der Catholic Enzyklopedia von 1917 gibt einen Eindruck vom Prinzip. In der neuerdings online zugänglich gemachten Ausgabe des Breviers von 1775 kann man sich das nun in den Einzelheiten vor Augen führen.