Zum Fest Mariä Geburt
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- 08. September 2023
Über Leben und Person der Gottesmutter wissen wir mit einiger Sicherheit nur das Wenige, das in den Evangelium gesagt wird. Zu Herkunft und Familie ist darin so gut wie gar nichts zu erfahren. Um diesem Mangel abzuhelfen, verfaßte ein unbekannter Autor, der sich als der „Herrenbruder“ Jakobus ausgab, eine Schrift, die als „Protoevangelium des Jakobus“ oder „Kindheitsevangelium Mariens“ bezeichnet wird. Die Schrift beginnt mit Kapiteln über Herkunft und Geburt Mariens und reicht bis zur Geburt Jesu in Bethlehem und der darauf folgenden Verfolgung des Herodes. Sie ist um das Jahr 160 entstanden und erfreute sich in der Frühzeit des Christentums großer Beliebtheit. Der in mehreren Sprachen und Textvarianten erhaltene Text von (in deutscher Übersetzung) etwa 25 Druckseiten ist wegen seiner stark legendenhaften Züge von der Kirche nie als kanonisch anerkannt worden und wird heute zu den „apokryphen“ Schriften gezählt.
Andererseits macht der Text aber insbesondere in seiner Version der Weihnachtsgeschichte deutlich, daß die jungfräuliche Geburt Jesu bereits in der frühesten Zeit zum Glaubensgut gehörte und hat so zweifellos auch zur Dogmatisierung dieses Glaubenssatzes beigetragen. Hieronymus von Jerusalem hat des Buch gekannt und geschätzt: Er bietet in einer seiner Schriften eine interpretierende Nacherzählung seiner wesentlichen Inhalte, die ihrerseits von Jacopo de Voragine († 1298 ) in seinem Kapitel über das Marienleben nacherzählt wird. Von daher sind einzelne Szenen aus dem Kindheitsevangelium Mariens auch in die bildende Kunst eingewandert und haben – wie im deutschen Sprachraum durch Martin von Cochems „Großes Leben Christi“ – jahrhundertelang den Volksglauben geformt. Jenen Volksglauben, der dem Unglauben moderner Hochschultheologen bei weitem vorzuziehen ist, weil er zu Christus hin und nicht von ihm wegführt.
Nach dem „Protoevangelium“ war Maria die Tochter Joachims und Annas aus dem Stamm Levi.
Wir erfahren, daß sie sehr fromm, vermögend und wohltätig waren. Darüber hinaus waren sie bis ins hohe Alter kinderlos – was dazu führte, daß Joachim anläßlich eines Opferfestes auf einen hinteren Platz verwiesen wurde. Kinderlosigkeit war eine Schande für jeden aufrechten Israeliten, weil er dem Schöpfungsauftrag „Seid fruchtbar und mehret euch“ nicht nachkam. Sie wurde überdies als Zeichen dafür gewertet, daß ein Haus wegen verborgener Sünden Gnade und Wohlgefallen des Herrn verloren hatte.
Joachim und Anna litten sehr unter dieser Zurücksetzung, doch dann erschien Anna ein Engel des Herrn, der ihr mitteilte, daß sie alsbald mit einem Kind gesegnet würden. Als Joachim von seinen Herden nach Hause kam, teilte sie ihm die frohe Botschaft mit den Worten mit: „Jetzt weiß ich, daß Gott der Herr mich reich gesegnet hat. Denn ich bin keine Witwe mehr und ich werde in meinem Leib empfangen.“ Neun Monate später wurde Maria geboren.
Die Parallelen zur bei Lukas überlieferten Geburtgeschichte des hl. Johannes sind unübersehbar: Der unbekannte Verfasser des Protoevangeliums wollte nicht eigene Kreativität zur Schau stellen und auch nicht nur seine Leser und Hörer „unterhalten“. Er wollte seine Erzählung „organisch“ aus dem hervorgehen lassen, was schon in dieser frühen Zeit im Glaubensgut der jungen Gemeinde verankert war. Im Fortgang der Jugendgeschichte Mariens wird dieses Bestreben zur Verankerung der Erzählung im Glauben des Evangeliums, aber auch des Alten Testamentes, immer deutlicher. Hier nacherzählt nach der Übersetzung des „Protoevangeliums des Jakobus“ von Klaus Berger und Christiane Nord:
Als Maria ein Jahr alt war, brachte Joachim das Kind zu den Leviten, und diese segneten es mit den Worten: „Du Gott unserer Väter, segne dieses Kind und mach, daß alle Generationen für immer seinen Namen nennen. Und das ganze Volk antwortete: So soll es sein, so soll es sein, amen. Dann brachte Joachim das Kind vor die Hohen Priester und sie segneten es mit den Worten: Gott der Himmelshöhen, blicke auf dieses Kind herab und segne es mit dem größtmöglichen Segen.“ Danach nahm Anna die Kleine mit in das zum Heiligtum umgewandelte Schlafgemach, gab ihr die Brust und stimmte ein Danklied an: Ein Lied will ich singen dem Herrn meinem Gott, denn er hat mir Gutes getan und besiegt meiner Feinde Spott. Welchen überreichen Beweis seiner Gnade gab mir der Herr“ Den Kindern Rubens meldet: Anna stillt! Hört ihr zwölf Stämme Israels: Anna stillt!“. Dann legte sie Maria zu Bett und ging hinaus, um die Gäste zu bedienen.“
Aus den ersten drei Lebensjahren Mariens erfahren wir im Protoevangelieum sonst noch, daß sie vor allem Bösen und jeder Unreinheit – deren gab es für fromme Juden viele - behütet wurde und schließlich mit drei Jahren zum Dienst und zur Erziehung im Glauben in den Tempel gebracht wurde. „Maria wurde im Tempel des Herrn wie ein Täubchen gehalten und bekam Ihre Speise von der Hand eines Engels“. Zu ihrem zwölften Geburtstag lesen wir die wunderbare Geschichte ihrer Verlobung mit dem frommen Witwer Joseph und schließlich noch, daß sie im Alter von 16 Jahren zusammen mit sechs anderen tugendhaften Töchtern Israels den Auftrag erhielt, den Vorhang für das Allerheiligste des Tempels zu weben. „Der Hohepriester sagte: Wir müssen auslosen, welche von ihnen welches Garn spinnen soll: Den Goldfaden, den Amiant, das Leinen, die Seide, das Hyazinthblau , den echten Purpur und den echten Scharlach. Auf Maria fiel das Los, den echten Purpur und den Scharlach zu verspinnen.“
Die auf Exodus 35 zurückgehenden Farben galten den Juden als die Farben der Sieben Elemente der Schöpfung, und der Vorhang des Allerheiligsten versinnbildlichte ihnen Grenze und Übergang von der ungeschaffenen Quelle allen Lichtes und Lebens zur geschaffenen Welt von Paradies, Zionsheiligtum und der ganzen Erde. Dieser Vorhang, geschmückt mit den Ur- und Abbildern aller irdischen und himmlischen Wesen, kann als Typos, als eine Vorgestalt der Inkarnation gesehen werden – und während die Jungfrau Maria also die Purpurfäden für den Vorhang des Übergangs von der Gottheit zur Menschenwelt verwebte, erschien ihr der Engel des Herrn mit der Botschaft „Die Kraft Gottes wird Dich umhüllen, deshalb wird Dein Kind heilig sein und Gottes Sohn heißen.“ In keiner anderen Passage der frühchristlichen Literatur – soweit sie uns bekannt ist – ist die Erfüllung des Alten Bundes im Neuen so deutlich ausgeführt wie hier.
Doch das greift weit über das heutige Fest der Geburt Mariens hinaus.
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Der oben gezeigte Holzschnitt aus dem Pustet-Missale – datiert auf 1880 – verarbeitet nicht die Bilder des Protoevangeliums, die trotz ihrer weiten Verbreitung im Mittelalter später vielfach als „unkanonisch“ abgelehnt wurden. Das Missale illustriert demgegenüber eine ganz und gar konventionelle Form der Marienfrömmigkeit. Das Mittelbild enthält eine Geburtsszene, die man auf den ersten Blick auch für eine Weihnachtsdarstellung halten könnte. Die beiden Rand-Illustrationen greifen die aus der lauretanischen Litanei geläufige Anrufung Mariens als „Arca foederis“ (Arche des Bundes) auf, die die erste Versöhnung Gottes mit der gefallenen Menschheit nach der Sintflut verkörpert. Die Eckvignetten (im Uhrzeigersinn von links oben ausgehend) zitieren Jesaias 11: „Ein Reis wird hervorgehen aus der Wurzel Jesse“; Sprüche 8, 23: „Von Ewigkeit her bin ich eingesetzt“; Hohes Lied 6,9: „Wer ist diese, die da hervorgeht wie die Morgenröte“ und Psalm 44, 5: „In deiner Wohlgestalt und Schönheit“.
Bei letzterem ist bemerkenswert, daß dieser in der traditionellen Marienfrömmigkeit sehr oft gebrauchte Ausdruck sich im Zusammenhang des Psalmes nicht auf die Braut des Königs bezieht, sondern auf diesen selbst. Die traditionelle „Auswertung“ von Bibelstellen – das entspricht einer noch aus dem Judentum übernommene Tradition – löst einzelne Verse oder Ausdrücke oft völlig aus dem ursprünglichen Textzusammenhang und stellt sie mehr oder weniger glücklich in einen neuen.
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In der ersten Version dieses Textes vom Vormittag war der Name von Klaus Bergers Mitautorin des "Neuen Testaments und frühchristlicher Schriften" verstümmelt wiedergegeben - aufgrund welchen Versehens auch immer. Gemeint ist die Übersetzungswissenschaftlerin Christiane Nord, die manche ungewohnten, aber auch viele sehr erhellende Elemente zu der Übersetzung beigetragen hat.