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Bouyer und das II. Hochgebet - Nachtrag

Der anekdotische Bericht von Louis Boyer über die Entstehung des 2. Hochgebets „am Wirtshaustisch“ und dessen kongeniale Aufbereitung durch Fr. Hunwicke bedarf einiger sachlicher Unterfütterung. Ganz so hemdsärmlig ist es im Consilium zur Liturgiereform denn doch nicht zugegangen, zumindest nicht die ganze Zeit. Wer ganz genau wissen will, was es mit dem von Bouyer genannten „Hochgebet des Hippolytos“ auf sich hat, sei auf das 250-seitige Buch „Die Mär vom antiken Kanon des Hippolytos“ von Heinz-Lothar Barth verwiesen, das 1999 bei Editiones Una Voce erschienen ist. Danach überwiegen auch hier, wie so oft, wo es um die alte Kirche geht, die Dinge, die wir nicht wissen, das gesicherte Wissen bei weitem. Wir wissen nicht genau, wann und von welchen Autoren die „Traditio Apostolica“, als deren Teil das sogenannte „Hochgebet“ überliefert ist, geschrieben wurde. Wir wissen auch nicht, inwieweit der dort gebotene Text tatsächlich liturgischem Gebrauch entspricht oder nur eine zusammenfassende Darstellung bieten will - „Arkandisziplin“ war in der frühen Zeit kein leeres Wort. Und wir wissen auch nicht, welcher Tradition der Text – soweit er überhaupt auf Hippolytos zurückgeht – entspricht. Immerhin gehörte Hippolytos während eines nicht geringen Teils seiner kirchlichen Laufbahn schismatischen Strömungen an und schaffte es sogar bis zum Gegenpapst, bevor er schließlich seinen Christusglauben als Märtyrer bekräftigte.

Außerdem ist es auch nicht so, daß der fragliche Text „einfach so“ als Zweites Hochgebet übernommen worden wäre. In Beratungen, die sicher mehr Zeit erforderten als ein Abendessen in einer Trattoria in Trastevere, entfernten die Redakteure mehrere dem Verständnis der 60er Jahre unwillkommene Passagen aus dem Text, darunter auch eine, die überaus plastisch davon spricht, der Erlöser habe durch seinen Kreuzestod „die Fesseln des Teufels zerrissen, die Unterwelt niedergetreten, die Gerechten erleuchtet und eine Grenze gezogen“. In der gerne als „umstritten“ dargestellten Frage des „für viele“ oder „für alle“ markiert der Text die strenge Position und spricht von „für euch“. Im Übrigen scheint für die Redakteure des NO die Attraktivität des Textes vor allem darin gelegen zu haben, daß er keine der von ihnen als „mitteltalterliche Erweiterungen“ abgetanene Passagen enthält, die den Glauben der Kirche für 1500 Jahre ebenso zum Ausdruck gebracht wie geprägt haben. Hier geht es weiter

Denn das ist letztlich der Kern der Auseinandersetzung um den römischen Kanon: Er ist Ausdruck des Glaubens und der Erlösungstheologie der Kirche seit den frühesten uns einigermaßen faßbaren Zeiten – und wer diesen Glauben durchgreifend „verheutigen“ will, muß den Bruch mit der Vergangenheit auch und vor allem an dieser Stelle betreiben. Das inhaltsarme zweite Hochgebet ist dafür hoch willkommen. Eine beträchtliche Zahl von Bruchtheologen forderte daher in den Beratungen des Consiliums die völlige Abschaffung des Canon Romanus, und es muß Papst Paul, der sich vielen Zumutungen des Consiliums gegenüber höchst nachgiebig zeigte, hoch angerechnet werden, daß er in dieser Frage hart geblieben ist.

Was nicht heißt, daß die Bruchtheologen deshalb ihr Ziel aufgegeben hätten. Getreu der von Emil Leggeling empfohlenen Strategie, das, was auf dem Konzil und im Consilium nicht zu erreichen gewesen war, nachträglich auf nationalen Sonderwegen und durch verfälschende Übersetzungen in die Volkssprache durchzusetzen, haben sie den Canon Romanus zumindest im deutschsprachigen Raum praktisch aus der Liturgie verdrängt und dem „zweiten Hochgebet“ wein Quasi-Monopol“ verschafft. Damit stehen sie – die doch gerne den traditionstreuen Katholiken Mitßachtung des Lehramtes vorwerfen – in deutlichem Widerspruch sowohl zur offiziellen Lehre als zur Rechtslage.

In der „Allgemeinen Einführung in das Römische Messbuch“ von 1975/83 heißt es in Abschnitt 321:

a) Das erste Hochgebet, der Römische Kanon, kann immer verwendet werden, vor allem an Tagen mit eigenem „In Gemeinschaft“ beziehungsweise eigenem „Nimm gnädig an“, und an den Festen der Apostel und Heiligen, die in diesem Hochgebet genannt werden; desgleichen an Sonntagen, sofern man nicht aus pastoralen Erwägungen ein anderes Hochgebet vorzieht.

b) Das zweite Hochgebet empfiehlt sich wegen seiner Eigenart besonders für Wochentage und bestimmte Anlässe.

Die neuere Version der „Grundordnung des Römischen Meßbuchs“ von 2002, bei der auf Grund der Verzögerungspolitik der Deutschen Bischöfe bei der Übersetzung des 2002 nicht unwesentlich reformierten NO-Missales unklar ist, inwieweit sie für Deutschland verbindlich ist, ist in ihrem Abschnitt 356 sogar noch deutlicher:

a) Das Erste Hochgebet beziehungsweise der Römische Kanon, der immer verwendet werden kann, wird vor allem an den Tagen gesprochen, die ein eigenes In Gemeinschaft (Communicantes) haben oder in Messen, die ein eigenes Nimm gnädig an (Hanc igitur) haben, sowie bei den Feiern der Apostel und der Heiligen, die im Hochgebet selbst erwähnt werden, ferner an Sonntagen, sofern nicht aus pastoralen Gründen das Dritte Hochgebet bevorzugt wird.

b) Das Zweite Eucharistische Hochgebet wird wegen seiner besonderen Eigenheiten vor allem an den Tagen unter der Woche genommen oder bei bestimmten Gelegenheiten.

In den Absätzen zu den Hochgebeten 3 und 4 wird jeweils angemerkt, daß sie auch an Sonntage verwandt werden können – nichts dergleichen zum 2. Dessen Verwendung ist damit zwar nicht ausdrücklich untersagt, sie ist aber, liest man die Vorgaben im Zusammenhang, an Sonn- und Feiertagen bestenfalls in Ausnahmenfällen zulässig.

Wie so oft nicht nur in liturgischen Fragen stehen hier eine korrumpierte Theologie und die von ihr hervorgebrachten Bischöfe, aber auch die römische Duldungs- und Ernennungspraxis, in eklatantem Widerspruch zu geltendem Recht und unwiderruflicher Lehre. Die Entscheidung der deutschen Bischöfe, in den Messtext des Gotteslobes ausschließlich das zweite Hochgebet aufzunehmen, verleiht diesem Rechtsbruch quasi nationalkirchliche Weihen.

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