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Christen von Nagasaki

Heute ist der 72. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Nagasaki. Er zerstörte nicht nur einen wichtigen Verkehrsknotenpunkt des Krieg führenden Japan, sondern auch die größten aus der Zeit der Verfolgung überkommenen christianisierten Gemeinden des Landes. Die aus Anlaß des Jahrestages von Hiroshima hier wiedergegebene Schilderung der Entdeckung der „Versteckten Christen“ von Urakami zeichnet ein etwas geschöntes Bild vom tatsächlichen Stand der Dinge nach über zwei Jahrhunderten ohne Priester. Inzwischen haben Soziologen und Historiker das Phänomen genauer untersucht und dabei einige weniger helle Stellen herausgefunden. Die dunkelsten davon gehen freilich auf das Konto der japanischen Regierungen des 19. Jahrhunderts, die sehr wohl von der Existenz „versteckter Christen“ wussten. Erst wenige Jahre vor ihrer Entdeckung durch die Missionare hatte es 1861 in Urakami eine Aktion gegen Christen gegeben, in deren Verlauf mindestens ein Mann zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Nach der Restauration der Kaisermacht 1868 setzte eine große Verfolgungswelle ein, in deren Verlauf erst Hunderte, dann Tausende von Christen ins Gefängnis geworfen oder deportiert wurden. Bis Druck aus dem Ausland 1873 ein Ende der Verfolgung erreichte, waren noch einmal über 600 zu Tode gekommen – und als die Überlebenden in ihre Heimatdörfer zurückkehren durften, hatten oft genug Nachbarn Häuser, Äcker oder Fischerboote an sich gebracht. Viele verelendeten.

Außerdem waren die Jahrhunderte der Trennung doch nicht folgenlos geblieben. Bei weitem nicht alle „versteckten Christen“ fanden den Weg zur Kirche zurück – ein großer Teil, Schätzungen gehen bis zu etwa einem Drittel der insgesamt 30 000, blieben „hanare kirishtan“ - getrennte Christen. Dafür gab es vor allem drei Motive: Zuerst die Angst vor Verfolgung. Dann hatte sich der Glaube der „Versteckten“ vielfach soweit von seinen Wurzeln entfernt, daß die vermeintlichen Christen ihren Glauben in der Lehre der zurückgekehrten Missionare nicht wiedererkannten. Und außerdem hatte sich in den Gemeinden eine Art „erblicher Laienklerus“ aus Katecheten und Gemeindeältesten entwickelt, dessen Angehörige es teilweise wenig attraktiv fanden, sich nun wieder „richtigen“ Priestern und Spendern von Sakramenten unterzuordnen, deren Bedeutung sie längst vergessen hatten. Einige Gruppen von „getrennten Christen“ existieren in den 90er Jahren des 20. Jh. noch als eine Art von Folklorevereinen mit wenigen über 80-jährigen Mitgliedern. Die zur Kirche zurückgekehrten „Versteckten“ hatten demgegenüber Sondertraditionen in Kult und Lehre bereitwillig aufgegeben und waren längst wieder in der katholischen Kirche aufgegangen.

Der allen versteckten Christen gemeinsame hierarchisch strukturierte „Laienklerus“ hatte sich nicht spontan gebildet, sondern ging auf Einrichtungen der Jesuitenmissionare des 16. Jahrhunderts zurück. Schließlich mussten damals eine Handvoll Priester ein – unter den damaligen Reisemöglichkeiten gesehen – riesiges und unwegsames Gebiet betreuen. Die Jesuiten warfen also in einer Region die Saat des - oft stark vereinfachten - Glaubens aus, und wenn sich nach einiger Zeit erste Früchte zeigten, machten sie geeignet erscheinende Männer, die vielfach selbst erst gerade bekehrt worden waren, zu „Vorstehern“ „Täufern“, „Fürsorgern“ und „Katecheten“, denen sie abgestufte Autorität verliehen. Dann reisten sie weiter. Natürlich versprachen sie, wiederzukommen – manchmal konnten sie dieses Versprechen halbwegs regelmäßig halten, manchmal auch nur sehr selten oder gar nicht.

Was sie zurückließen, war vor allem ein lebhaftes Bewußtsein für den Erlöser Jesus Christus, in dessen Gemeinschaft man mit der Taufe aufgenommen wurde, und für einen Festkalender, dessen Fixpunkte sich nach dem vertrauten Mondkalender berechnen ließen. Dann gab es noch ein paar Gebete – das Vater unser und das Ave Maria, manchmal auf Latein, manchmal auf Portugiesisch, manchmal in japanischer Übersetzung. Auch der Beerdigungsritus hatte große Bedeutung, die Ehezeremonie demgegenüber anscheinend weniger. Einige Heilige genossen große Verehrung, besonders die Gottesmutter, der hl. Joseph und der hl. Franziskus. Das Konzept der Dreifaltigkeit scheint demgegenüber von den Missionaren als „zu hoch“ betrachtet worden zu sein und wurde nur zurückhaltend erwähnt. Ebenso auch das Mysterium der Eucharistie. Wo es – wie es die Regel war – keine Priester gab, wurden als Erinnerung an die Eucharistie wohl schon früh aus Anlass von Festtagen Zeremonien mit Reis und Wein abgehalten, die sich formal stark an autochthonen Traditionen von Speiseopfern orientierten. Statt der Beichte gab es Bußgebete und Bußandachten. Auch die Fastenzeit wurde vielfach aufmerksam eingehalten, dagegen ging der Festgedanke von Ostern in einigen Gemeinden völlig verloren: Christentum ohne Auferstehung? Es gab Auszüge aus der Heiligen Schrift, eine Liste der 10 Gebote und „orashiyo“ - Orationen zu den Festtagen. Einen Katechismus anscheinend nicht. Konkretes und Formales wurde teilweise erstaunlich gut bewahrt - abstrakteres und 'Schwieriges' ging vielfach verloren.

Unter optimalen Bedingungen – d.h. keine Verfolgung, und regelmäßige Besuche von Priestern, vielleicht sogar Aufbau eines elementaren Schulwesens – hätte das die Grundlage für die Entstehung wirklicher christlicher Gemeinden bilden können. Aber die Bedingungen waren alles andere als optimal, die Priester blieben aus, und von Schulen konnte in den Fischerdörfern oder Bergweilern nirgendwo die Rede sein. Am schlimmsten aber waren die Verfolgungen, und es ist ein Wunder, daß so viele der nur oberflächlich katechisierten Christus-Anhänger einem Glauben treu blieben, von dem sie so wenig wußten und noch weniger verstanden.

So kam es, daß die ersten 5 Zeilen des lateinischen Ave Maria sich schon bald so anhörten: Ame Mariya kashiabena, Domisu teriko, bintsutswaeshi moedebes, etsu berentsu furutsu bentsuts tsu Intsu. Das hört sich zwar Japanisch an, macht aber im Japanischen nicht den geringsten Sinn. Trotzdem kann man annehmen, daß die ungefähre Bedeutung dennoch gekannt und überliefert wurde – so machte man es mit Sanskritversen aus Sutras schließlich auch. Wo die Gebete in übersetzter Form gebräuchlich waren, blieben Wortlaut und Sinn wesentlich besser erhalten.

Als wirksames Mittel gegen die Verfolgungen, die in unterschiedlichem Ausmaß selbst die entferntesten Gegenden erfassten, bot sich die Tarnung der Christenreligion in buddhistischen Formen an. Einige Richtungen des ostasiatischen Buddhismus enthalten ohnehin starke Elemente einer Erlösertheologie, die sich auch in den Formen der gottesdienstlichen Praxis niederschlagen. Sie weisen eine reich bevölkerte Götter- und Heiligenwelt auf und haben Ikonographien und Zeremonien entwickelt, die nicht in den Einzelheiten, aber in Stil und Gestus katholischen Formen nahestehen. Nur ein Kreuz – das kennen sie nicht.

Aber die Einkleidung unter buddhistischen Formen enthielt auch die Gefahr, daß diese Formen sich vor die ursprünglich gemeinten Inhalte drängten. Tatsächlich entwickelten sich Synkretismen der unterschiedlichsten Art – gerade so, wie das auch heute gerne beim Aufeinandertreffen christlicher und ostasiatischer Religiösität geschieht. Als bei einer der letzten japanischen Verfolgungen im 19. Jh. in den Häusern von Christen einige verdächtige Schriften gefunden wurden, übergab die Polizei sie einem örtlichen buddhistischen Tempel zur Prüfung. Die Mönche erklärten, nichts der Lehre Buddhas Fremdes darin finden zu können, und bis zum heutigen Tag ist nicht klar, ob sie das aus Mitleid mit den Verfolgten taten, oder ob diese Texte so ununterscheidbar Christliches und Buddhistisches vermischten, daß sie zwanglos einen Platz in der weitgespannten buddhistischen Gedankenwelt finden konnten.

Das Problem des christlich-buddhistischen Synkretismus, das in Japan auch heute eine große Rolle spielt, soll an einem der folgenden Tage in einem weiteren Beitrag beleuchtet werden.

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