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Veni, sancte Spiritus

Bild: Aus dem 'Hortus deliciarum', 12. Jh. Wikimedia gemeinfreiIn den Texten der römischen Liturgie finden sich nur wenige Aussagen über den Heiligen Geist – teils, weil die knappe Orationsform ohnehin nur wenig für komplexe Ausführungen geeignet ist, teils weil die römische Liturgie bzw. die ihr zugrundeliegende Spiritualität um vieles stärker auf das Wirken des Sohnes und das Verhältnis zum Vater ausgerichtet ist. Das Gloria ist ein fast ausschließlich an die Zweite Person gerichteter Hymnus; auch das Credo weiß relativ wenig vom Heiligen Geist zu sagen. Selbst die Präfation von Pfingsten gibt sich wortkarg und vermeldet nur, daß Christus den Heiligen Geist ausgesandt hat.

Dem Credo verdanken wir immerhin eine in der modernen Theologie und Katechese gerne „übersehene“ Aussage: „Er hat gesprochen durch die Propheten“. Das heißt, daß die Schriften des Alten Testaments wenn auch nicht in jeder Einzelaussage, doch in ihrer Gesamtheit als vom Geist Gottes und der Wahrheit „inspiriert“ anzusehen sind.

An zwei Stellen kann auch die römische Liturgie ihre wortkarge Grundstimmung nicht durchhalten und stimmt Hymnen auf den Heiligen Geist an, die an Ausführlichkeit und Eindringlichkeit wenig zu wünschen übrig lassen. Das ist einmal das „Veni sancte Spiritus“, das als Sequenz zwischen Lesung und Evangelium der Pfingstokatav den „Sequenzensturm“ der nachtridentinischen Purgierung des Missales überstanden hat, und dann das „Veni creator Spiritus“ aus Vesper und Terz des Pfingstfestes, das auch bei vielen Weihezeremonien und ähnlichen Anlässen gesungen wird. (Die Links führen zum Hymnarium, wo der Text im lateinischen Original und in deutscher Übersetzung gegeben wird) Vermutlich ist es kein Zufalle, daß beide Hymnen keine authentisch römischen Gewächse sind, sondern aus den transalpinen Ländern eingewandert sind: Das „Veni creator“ ist von dem in Mainz gebürtigen Hrabanus Maurus (~780 – 856) verfaßt worden, das „Veni sancte“ wird Stephanus Langton Cantuarensis (1165 – 1228) zugeschrieben, dem Erzbischof von Canterbury.

Von anderen Gebeten aus dem Pfingstkreis, die meistens um die „Entsendung“ des Geistes bitten, unterscheiden beide Hymnen sich dadurch, daß sie sich direkt und bei der Dichtung des Stephan Cantuar sogar ausschließlich an den Geist richten: Veni, sancte Spiritus, Veni, creator Spiritus.

Hier geht es weiterStephanus Cantuar sieht den Geist durchaus folgerichtig gleichzeitig als Aussender und Gesandten:

„Veni, Sancte Spiritus / Et emitte cælitus / Lucis tuæ radium“ und wiederholt die direkte Bitte im nachfolgenden Vers noch dreimal: „Veni, Pater pauperum, / Veni, dator munerum, Veni, lumen cordium.“

Die erste Zeile wird gerne mit „Vater der Armen“ wiedergegeben, das führt etwas in die Irre, gemeint ist eher „Vater von uns Armen“ - wir alle, zumindest alle Getauften, sind gemeint. Die folgenden Strophen machen klar: Alle Menschen bedürfen immer und bei Allem der Stütze, Gnade und Lenkung durch den Heiligen Geist. Ohne seine Stärkung vermag der Mensch nichts, und alles, was er allein tut, ist nutzlos, ja sogar schädlich. Der Heilige Geist sendet nicht bloß die Gnaden, er ist die heiligmachende Gnade, der „süße Gast der Seele“.

Von bestürzend überzeitlicher Aktualität ist die Liste der Wünsche, ja Aufforderungen, die Stephanus Cantuar dem Geist vorträgt:

„Wasche, was beschmutzt ist / bewässere das Verdorrte / heile unsere Wunden.“ Und: „Beuge das Erstarrte / wärme das Erkaltete / berichtige das Verirrte.“

Am Schluß kommt die Sequenz dann sogar ohne die sonst in der Liturgie unentbehrliche trinitarische Doxologie aus:

„Schenke uns den Lohn der Tugend / gewähre uns am Ende das Heil / gib uns die Ewige Seligkeit!“

Dieser Hymnus ist so sehr vom Bewußtsein der Gegenwart und Heilsnotwendigkeit des Geistes Gottes für das irdische Leben erfüllt, daß er die sonst doch im Vordergrund stehende Zweite Person des Erlösers und den Vater im unzugänglichen Licht an keiner Stelle benennt.

Daraus abzuleiten, daß der Dichter kein rechtes Verständnis der Trinität hätte, wäre durchaus unberechtigt. Eher trifft ein Vorwurf eine gewisse spirituelle Einseitigkeit des Westens, der das unaufhörliche, grenzenlose und lebensnotwendige Wirken des Geistes stellenweise aus dem Blick verloren oder hinter dogmatischen Formeln oft mehr verborgen als enthüllt hat. Eine reizvolle, aber mit unseren Mitteln nicht weiter zu verfolgende Spekulation ist, ob der Cantuar, dessen Lebenszeit in die hohe Zeit der Kreuzzüge fällt, etwa durch geistliche oder materielle Mitbringsel aus dem „Morgenland“ zu dieser Schärfung des Blickes auf die Dritte Person gekommen ist.

Wie dem auch sei. Vorbildliche Ausgewogenheit kennzeichnet den Hymnus des Hrabanus Maurus aus der 1. Hälfte des 9. Jahrhunderts – vielleicht ein Reflex auf die im Frankenreich noch gar nicht so lange zurückliegenden Auseinandersetzungen mit arianischen Lehren, die in Spanien bis in die Mitte des 7. Jh. verbreitet waren. 

Die Anrede des Geistes ist bei Rhabanus ebenso direkt wie bei Stephan Cantuar, und auch die Beschreibung als Schöpfergeist und gnadenspendender Einwohner der Seele erscheinen vom Begriff her sehr ähnlich. Doch daneben kommt auch der allmächtige Vater in den Blick, wenn der Geist als „Geschenk des allerhöchsten Gottes“, ja sogar als „Finger der rechten Hand Gottes“ angesprochen wird. In einer für das westliche Empfinden eher ungewohnten Weise – darin scheint Hrabanus über den späteren Stephan hinaus zu gehen – wird der Geist in der fünften Strophe „Hostem repellas longius“ zugleich mit seinem geistlichen Wirken auch für die irdische Wohlfahrt in Anspruch genommen:

„Weise den Feind weit von uns ab / und schenke uns gnädig Frieden. / So von Dir als Lotse geführt / meiden wir alles Unheil.“

Erst vom Schluß des Verses her wird erkennbar, daß hier nicht nur der Feind im Krieg gemeint ist, ist sondern gleichzeitig oder vielleicht sogar an erster Stelle der „böse Feind“, der die Seelen zu verderben sucht.

Wo beim „Veni sancte“ jede Doxologie fehlt, hat das „Veni creator“ in der heute für die Liturgie gebräuchlichen Form gleich zwei davon. Die eine, die sechste Strophe, die unzweifelhaft schon immer zum Hymnus gehörte, verbindet die Anrufung des Geistes auf bemerkenswerte Weise mit einem Bekenntnis zur Dreifaltigkeit ganz nach dem Sinn des Konzils von Nikäa.

Gib, daß wir durch Dich vom Vater wissen / und auch den Sohn recht kennen / und daß wir allzeit glauben, / daß Du der Geist von beiden bist.

Dem folgt in der liturgischen Fassung dann noch eine „Standard-Doxologie“ ähnlich dem „Ehre sei dem Vater“ - mit einer bemerkenswerten Einfügung:

Ehre sei Gott dem Vater und auch dem Sohn, der von den Toten auferstanden ist und dem Tröstergeist in alle Ewigkeit.

Schon jede dieser beiden Hymnen für sich, erst recht aber beide zusammen, sind in ihrem Reichtum an Bildern und in ihrer theologischen Tiefe geeignet, dem Mißstand abzuhelfen, daß der Heilige Geist für viele „der große Unbekannte“ geblieben ist. Und beide geben eindringliche Beispiele dafür was gute Dichtung in Bereichen vermag, die mit der Sprache des Alltags, aber auch mit der der Wissenschaft, nur schwer zu erschließen sind. Und in beiden findet sich kein Wort jener mißbräuchlichen Berufung auf den Heiligen Geist, die ihn als Einflüsterer von Neuigkeiten oder Anstifter von Aufruhr gegen das, was immer galt, sehen möchte.

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