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Die sieben Gaben des Geistes

Bild: Eigene AufnahmeZu Pfingsten vor zwei Jahren hatten wir hier die beiden großen Hymnen auf den Heiligen Geist vorgestellt, die mehr als jeder andere liturgische Text über diese für das menschliche Begriffsvermögen am wenigsten umschreibbare Person der hochheiligen Dreifaltigkeit aussagen. Tatsächlich könnte man das nicht nur über viele Strophen, sondern auch über viele einzelne Zeilen dieser beiden Dichtungen aus dem frühen bzw. dem hohen Mittelalter sagen: Fast jeder ihrer Strophen, manchmal sogar ein einzelner Vers bietet Stoff für umfangreiche theologische Überlegungen oder repräsentiert tiefgehende Erkenntnisse.

Das gilt ganz besonders auch für die vorletzte (9.) Strophe des Veni Sancte Spiritus:

Da tuis fidelibus / In te confidentibus / Sacrum septenarium.

Und ebenso für die dritte Strophe des Veni Creator:

Tu septiformis munere / Digitus paternæ dexteræ / Tu rite promissum Patris / Sermone ditans guttura.

Hier zielt die erste Zeile genau auf das ab, was bei Stephan von Canterbury den Inhalt der ganzen neunten Strophe ausmacht: Die Sieben Gnadengaben des Heiligen Geistes.

Vor hundert oder hundertfünfzig Jahren konnte vermutlich noch jedes Schulkind die Liste dieser sieben Gaben aufzählen. Heute sucht man sie im offiziellen Katechismus  (KKK) der Katholischen Kirche vergebens, dessen Kurzfassung (KKKK) verbannt sie in den Anhang. Der auf private Initiative zurückgehende Youcat widmet ihr dagegen in Abschnitt 310 ein eigenes Kapitel, Kernaussage: „Die sieben Gaben des Heiligen Geistes sind: Weisheit, Einsicht, Rat, Stärke, Erkenntnis, Frömmigkeit und Gottesfurcht. Damit „begabt“ der Heilige Geist Christen; d.h., er schenkt ihnen, über ihre natürlichen Anlagen hinaus, bestimmte Kräfte und gibt ihnen die Chance, zu speziellen Werkzeugen Gottes in dieser Welt zu werden.“

Nun reicht es natürlich nicht, eine solche Liste auswendig hersagen zu können – auch wenn das eine gute Gedächtnisstütze abgibt, weshalb die Katechese früherer Jahrhunderte mehrfach solche Siebenerlisten aufstellte: Die Sakramente, die Kardinaltugenden, die Todsünden… Hier geht es weiter Aber in erster Linie geht es natürlich um die Inhalte – und dazu wäre weitaus mehr zu sagen, als in unserem Rahmen möglich ist. Was ist „Weisheit“? Und wie unterscheidet sie sich von „Erkentnnis“? Schon das wäre ein abendfüllendes Programm. Und was ist mit „Rat“ gemeint? Die Fähigkeit, anderen guten Rat zu geben, oder die noch seltenere Gabe, guten Rat von anderen anzunehmen? Zwei der sieben Gaben sind sogar so gut wie ganz aus dem aktuellen Sprachgebrauch der Kirche verschwunden – oder sollte man etwa in den Dokumenten des synodalen Weges jemals „Frömmigkeit“ oder „Gottesfurcht“ finden können? Und wie hängen die sieben Gaben untereinander zusammen, wenn es etwa in Psalm 109, 9 und in Sprüche 9, 10 heißt: „Die Gottesfurcht ist der Anfang der Weisheit“?

Tatsächlich kann man, ja muß man, bis weit ins Alte Testament zurückgehen um wenigstens ansatzweise eine Vorstellung von dem in den „Sieben Gaben“ ausgedrückten Verständnis vom Wirken des heiligen Geistes zu gewinnen. Und so findet sich bereits bei Jesaja (11, 2) eine Liste mit je nach Sprachversion sechs oder sieben „Geistern des Herrn“, die nach Umfang und Reihenfolge offensichtlich das Vorbild für die später in der Kirche geläufige Siebenerliste darstellt. Nur die Frömmigkeit fehlt in der Liste, aber der Fortgang des Textes läßt keinen Zweifel daran, daß sie mit gemeint ist. Und viele weitere Passagen der Bücher das Alten Testamentes enthalten Passagen, die zumindest einzelne der „Sieben Gaben“ als Gaben Gottes vorstellen. Entsprechende Passagen im Neuen Testament sind womöglich noch zahlreicher.

Zwar kennt das Alte Testament nicht die im Christentum entfaltete Lehre von dem einen Gott in Drei Personen, aber der „Geist Gottes“ war den vorchristlichen Juden wohlbekannt als Wirkungsform oder Wirkungsweise des Allmächtigen, und wer genau liest, erkennt die ganze und ungeteilte Dreifaltigkeit bereits in den ersten Sätzen des Buches Genesis im Bericht über die Erschaffung der Welt: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Die Erde aber war formlos und leer, und Finsternis lag über dem Abgrund, und der Geist Gottes wehte über den Wassern und Gott sprach: Es werde...“ Er sprach Das Wort, in dem und durch das alles geschaffen ist – wie mit dem Anfang des Johannesevangeliums hier fortzufahren ist.

Das Gnade und Leben spendende Wirken des Gottesgeistes ist in der Offenbarung des alten Bundes an zahllosen Stellen gegenwärtig. Der große Hymnus auf die Gabe des Gesetzes in Psalm 118 kann auch als Loblied auf die Gaben des Geistes gelesen werden, und es ist die große Tragödie des auserwählten Volkes, daß es sich in seiner Mehrheit diesem Geist widersetzte – wie so oft, in seiner Geschichte – als dieser am ersten Pfingsttag den ersten Gläubigen aus Juden und Heiden seine Gaben mitteilte. So, wie es die große Tragöde vieler „moderner Christen“ ist, diese Gaben vergessen zu haben und zu mißachten.

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