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Von Christen und Juden

Bild: Wikimedia CommonsFür Leser von Summorum-pontificum sollte es nichts Neues sein, aber dieser Position jetzt auch auf „katholisch.de“ zu begegnen, ist überraschend: Das heutige Judentum ist alles andere als ein Spiegel oder getreues Abbild des jüdischen Glaubens und der Religion der Zeit Jesu und seiner Jünger. Es ist vielmehr eine auf den Wurzeln dieses alttestamentarischen Glaubens entstandene neue Religion, die sich ganz bewußt von der Lehre Christi absetzte und aus ihrer eigenen Vorgeschichte all das austilgte, was im Christentum zur Reife und Vollendung geführt wurde. So der Historiker Israel Juval von der Hebräischen Universität Jerusalem in einem bemerkenswerten Interview, das „katholisch.de“ am 8. 4. unter der provokanten Überschrift veröffentlichte: „Das Christentum ist die Mutter, das Judentum die Tochter.“

Dieser Formulierung würden wir uns nicht unbedingt anschließen, sondern eher an den verlorenen Sohn aus dem Gleichnis denken, der zwar in Stolz und Eigensinn den Bruder und das Haus des gemeinsamen Vaters verlassen hat – doch es gibt noch Hoffnung. Auch sonst ist Yuval klaren bis harten Formulierungen nicht abgeneigt – bis hin zu einigen historischen Reminiszenzen, die ihn zu möglicherweise schwer haltbaren geschichtlichen Spekulationen führen. Aber in den religionswissenschaftlichen Aussagen steht er auf sicherem Boden, den insbesondere die amerikanische Wissenschaft vom Alten Testament in den letzten Jahrzehnten erschlossen hat und deren Erkenntniss nur an Deutschlands Fakultäten von einer in den Dogmen des „aufgeklärten Luthertums“ stehen gebliebenen (interkonfessionellen) Sekte ignoriert werden. Einige Zitate:

Der christliche Einfluss ist die DNA der jüdischen Religion, die historisch durch diesen Konflikt geformt wurde. Das Christentum ist in diesem Sinne die Mutter und das Judentum die Tochter, nicht umgekehrt. Der hunderte Jahre später entstandene Talmud ist eine Reaktion auf das Neue Testament, die Pessach-Haggadah eine Polemik zu Ostern: In ihr fordert der jüdische Gelehrte des 1. Jahrhunderts, Rabban Gamliel, dass jeder Jude an Pessach die drei Worte Pessach (Opfer), Mazza (ungesäuertes Brot) und Maror (Bitterkraut) benutzen muss. Die Parallele zum Christentum - Lamm Gottes, Leib Christi, Passion - ist unschwer zu erkennen. Gamliel kommentiert in Abgrenzung, um den Symbolen ihren christlichen Schein zu nehmen. (…)

Oder nehmen wir das Beispiel der Segenssprüche vor der Torahlesung an Schabbat: Darin betonen wir, dass Gott uns erwählt hat, uns die wahre Torah und das ewige Leben gegeben hat. Jede dieser Äußerungen impliziert zugleich die Zurückweisung der Alternative. Hierin spiegelt sich der Konflikt mit dem Christentum und der Erlösung. Es geht letztlich um die Frage, wer die Schlüssel zum Himmel hat.“

Dabei gehen Yuval (und erst recht nicht Interviewer Krogmann) noch gar nicht darauf ein, daß nicht nur die heute gültigen jüdischen Lehrschriften und Liturgien, sondern auch das Alte Testament in hebräischer Sprache (masoretischer Text) von dieser polemischen Absetzbewegung vom Christentum geprägt und teilweise verfälscht worden sind. Hier geht es weiter Wie wir heute wissen, kommen an die 90% der „schwierigen Stellen“ des neuen Testaments, in denen Jesus oder seine Jünger „die Schrift“ zitieren, nicht aus der Tradition, die sich später im masoretischen Text verfestigte, sondern aus der (älteren) Tradition, die in den Jahrhunderten vor christi Geburt zur Septuaginta geführt hatte. In diesen später unterdrückten Traditionen des Judentums und seiner Schriften sind zentrale Glaubenswahrheiten, die im Christentum abschließend ausgesprochen werden, bereits deutlich erkennbar enthalten oder zumindest vorbereitet: Die „Mehrgestaltigkeit“ des Einen Gottes, der Messias als „Sohn Gottes“, das Opfer des Erlösers zur Vergebung der Sünden. Erst bei den Juden, die sich der Anerkennung des Jesus von Nazareth als Messias widersetzten, wurden diese Elemente der ersten Offenbarung soweit möglich aus den Heiligen Schriften getilgt oder durch Polemik in der Kommentierung und der Liturgie „neutralisiert“.

Diesem Befund, der uns in dem Intervie mit Israel Juval an so unerwarteter Stelle begegnet, kann man nicht länger ausweichen, wenn die katholische Beschäftigung mit dem alten Testament nicht unwissenschaftliche Ideologie bleiben soll. Sie muß aufhören, sich auf den masoretischen Text des AT als den „hebräischen Urtext der Bibel“ zu beziehen – er ist es nicht. Sie muß anerkennen, daß der Glaube Jesu und seiner Jünger nicht der des später von den Juden in der Zerstreuung kanonisierten „Neuen Judentums“ war, sondern aus einer viel reicheren Überlieferung und Offenbarung hervorgegangen war – die uns aus den Schriften von Qumran und Nag Hammadi, aber auch aus christlichen und jüdischen Apokryphen und anderen frühen Schriften, heute viel umfangreicher bekannt ist als vor 100 Jahren.

Und sie muß sich verabschieden von der ideologisch geprägten Vorstellung eines Dialogs auf der Grundlage: „Wir glauben doch letztlich an das Selbe“. Nein, das tun wir eben nicht, soweit wir unsere jeweilige christliche oder jüdische Überzeugung ernst nehmen. Und erst auf dieser Basis kann ein Dialog, der diese Bezeichnung vedient, sinnvoll sein.

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