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Lex credendi - lex orandi

Oft und gerne greift Summorum-Pontificum auf Beispiele aus dem kirchlichen Leben der USA zurück, die zeigen, wie stark die Tradition in Lehre und Liturgie dort an vielen Orten ist, und daß es eine durchaus beachtliche Zahl von Bischöfen gibt, die eine Hermeneutik der Kontinuität unterstützen. Auf die Mißstände und Mißbräuche innerhalb des progressiven Mehrheitslagers des US-Katholizismus gehe wir nur höchst selten ein – da hätten wir vor der eigenen Haustür schon mehr als genug zu kehren. Im Zusammenhang mit der Stadionmesse im Madison Square Garden anlässlich des Papstbesuches sind allerdings zwei Vorkommnisse bekannt geworden, die nicht unbemerkt und unkommentiert vorübergehen dürfen: Sie berühren das Wesen der Liturgie in ihrem Innersten.

Das eine ist das Verhalten der Konzelebranten, die bei der Messe wieder einmal in beträchtlicher Zahl aufgeboten worden waren. Viele von ihnen hatten Photohandys oder Kameras dabei, mit denen sie nicht nur beim Introitus, sondern auch während der Messe unentwegt Bilder machten. Konzelebrant Stephen Paolino brachte es sogar fertig, unmittelbar am Altar stehend grimassierend ein Selfie aufzunehmen und es anschließend stolz in Twitter hochzuladen – ich, ich, ich, it's all about me. Man fragt sich unwillkürlich, was solche Leute eigentlich denken, wenn sie zur Zelebration an den Altar treten – und was ihnen ihre Professoren während der langen Jahre des Philosophie- und Theologiestudiums denn wohl beigebracht haben.

Die Opfertheologie des Konzils von Trient, die auch für den Novus Ordo verbindlich ist, kann es wohl kaum gewesen sein. Schwer abweisbar stellt sich die Frage, ob solche Priester immer, wenn sie als Vorsteher amtieren, das tun wollen, was die Kirche tut, oder ob sie nicht längst schon anderswo angekommen sind: Bei der Selbstfeier der Gemeinde. Unvermeidlich auch ist die Frage, ob derlei möglich wäre, wenn die Zeremonie nicht mit einem „guten Tag allerseits" beginnen würde, sondern mit den Jahrtausende alten Worten des Psalms „Zum Altare Gottes will ich treten, zu Gott, der mich erfreut von Jugend an."

Ein zweiter Vorfall war weniger offensichtlich, aber wohl ebenso schwerwiegend: Als Lektor bei der Messe im Madison Square Garden amtierte der Journalist und Autor Mo Rocca, der in den USA als Aktivist der Homosexuellen-Szene bekannt ist und mehrfach öffentlich gegen die katholische Ehelehre aufgetreten ist. Nur um Mißverständnisse zu vermeiden: Kein Pfarrer wird ein unbescholtenes Gemeindemitglied, das für die Aufgabe des Lektors in Aussicht genommen ist, auf seine sexuellen Gewohnheiten oder andere geheime Laster hin examinieren – selbst wenn eine allgemeine Unterweisung über die Erfordernisse des Gnadenstandes durchaus wünschenswert wäre. Aber einen Propagandisten der Schwulenbewegung zum Lektor bei einer weltweit im Fernsehen übertragenen Messfeier einzusetzen, lässt die Frage stellen, was dieser Lektor denn bei seinem denkwürdigen Auftritt am Altar verkündet und verkörpert hat: Das Wort der heiligen Schrift im Licht des Kreuzes oder seine Agenda als Propagandist des Regenbogens. Dabei kommt es noch nicht einmal so sehr darauf an, was Rocca selbst mit diesem Auftritt verbunden hat. Viel gravierender erscheint, daß diejenigen, die ihn beauftragt haben, damit auf spektakuläre Weise verkünden wollten, daß sie zwischen dem Wort der heiligen Schrift und der politischen Agitation des Homo-Aktivisten keinen Widerspruch sehen wollen.

Das ist eine Indienstnahme und Unterwerfung der Liturgie für glaubensfeindliche Zwecke der perfidesten Art. Und auch hier, nur am Rande bemerkt, ein Mißbrauch, der so nur innerhalb des Novus Ordo möglich ist. Diese Liturgie ist so massiv von dem Ideologem einer quasi Gott- und naturgegebenen Konvergenz der weltlichen und göttlichen Wertordnung kontaminiert, daß man an einer Möglichkeit der Heilung zweifeln muß.

Der lange Winter des Rationalismus

„Die überlieferte Liturgie und die Neuevangelisierung - Über den langen Winter des Rationalismus hinaus“. Unter diesem Titel hat Prof. Kwasniewski in einem Gastvortrag (vollständig nachzulesen auf Rorate Cæli) an der katholischen Universität in Steubenville den Zusammenhang zwischen Reformliturgie und Glaubenskrise erläutert und dargelegt, warum die überlieferte Liturgie einen unentbehrlichen Beitrag zur Überwindung dieser Krise leisten kann.

Empirischer Ausgangspunkt seiner Ausführungen ist die inzwischen unleugnbare Tatsache, daß die Liturgie nach dem Novus Ordo alle in sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllen konnte, während die vermeintlich „überholte und dem heutigen Menschen nicht mehr vermittelbare“ traditionelle Liturgie das Potential hat, Suchende anzusprechen und Gläubige in ihrem geistigen Leben zu fördern.

Den Grund für diese widersprüchliche Entwicklung sieht Kwasniewski darain, daß die Schöpfer der Reformliturgie von einem einseitig rationalistischen und somit durch und durch verfehlten Verständnis von dem, was Liturgie ist und wie sie auf den Menschen wirkt, ausgegangen sind. Sie wollten die Messe leicht verständlich, dem Alltagsleben angenähert und zum tätigen Mittun einladend gestalten - mit den bekannten Ergebnissen

Dem hält Kwasniewski entgegen:

Der usus antiquor folgt dem großen sakramentalen Prinzip, das zu bewirken, was es sichtbar macht, und das sichtbar zu machen, was es dem Wesen nach ist.  Wenn das hl. Messopfer tatsächlich ein tiefes Geheimnis und eine so erhabene und göttliche Wirklichkeit ist, daß wir das mit unserem begrenzuten Verstand gar nicht voll erfassen können, sondern uns dem nur hingeben und uns davon ergreifen lassen können - wenn das also so ist, dann soll uns das auch so gegenübertreten. Eine sakrale Begegnung mit der transzendenten Gottheit muß auch sakral und transzendent aussehen und entsprechend auf uns einwirken. Sie muß bezeichnen, was sie ist, und sein, was sie bezeichnet.“

Von daher gesehen können die Prinzipeien der Refomliturgie nur in die Irre führen:

Unter dem Einfluss des Rationalismus taten die Architekten der modernen Liturgie was sie nur konnten, um die Liturgie (in ihren Augen) verständlicher, transparenter und zugänglicher zu machen - und das hat ironischerweise dazu geführt, daß die Liturgie in unglaublichem Ausmaß an Kraft verloren hat, das erschütternde Geheimnis des Ewigen und Unendlichen Gottes und die heiligen Geheimnisse Christi in seiner göttlichen Menschlichkeit zu vermitteln. Wie so ziemlich jeder schon einmal in den vergangenen 50 Jahren festgestellt hat, ist alles Geheimnisvolle aus der Messe verschwunden. Aber das ist keine Nebensächlichkeit, das ist ein Problem, das das eigentliche Wesen und das Ziel von Liturgie als Gottesdienst in Frage stellt.“

Und dann noch einmal zugespitzt:

Eine Liturgie, die wahrhaft Gott und dem nach Gottes Bild geschaffenen Menschen entspricht, kann nicht vollständig „zugänglich“ gemacht werden - und der Versuch, das zu erreichen, kann nur zerstörerische Folgen haben. Wenn man die Liturgie einsichtig, einfach und leichtverständlich macht, dann ist es keine Liturgie mehr. Wenn die Liturgie sich dem Menschen in seiner Zeitlichkeit und Endlichkeit anpasst, verliert sie im gleichen Ausmaß den Kontakt zum göttlichen und zu der nach Gottes Bild geschaffenen unsterblichen Seele.“

Soweit also Kwasniewski, dessen sowohl in der Analyse als auch hinsichtlich möglicher Perspektiven noch weit über das hier Angerissene hinausgehender Vortrag zur vollständigen Lektüre sehr zu empfehlen ist. Selbst wenn er eine Frage ausklammert, die sich inzwischen immer drängender stellt: Daß die Architekten der Reformliturgie mit Haut und Haar dem rationalistischen Irrtum verfallen waren, und daß der damalige Papst weder die Weitsicht noch die Kraft hatte, dem Einhalt zu gebieten, läßt sich vielleicht noch erklären. Der Zeitgeist kann fast unwiderstehliche Kraft entfalten. Aber daß die überwiegende Mehrzahl von Bischöfen und Theologen diesen Irrtum auch heute noch, da er längst offenkundig geworden ist, wie ein kostbares Gut verteidigen - das bleibt „ein erschütterndes Geheimnis“ ganz eigener Art.

Klare Worte von Weihbischof Schneider

In einem Interview mit der spanischen Website adelantelafe.com, (dort auch eine vollständige englische Version) hat Weihbischof Athanasius Schneider, der in den vergangenen Monaten im Auftrag des Vatikans die Priesterseminare der FSSPX besucht hat, eine klare Empfehlung zur uneingeschränkten kanonischen Anerkennung der Bruderschaft durch Rom ausgesprochen. Er betonte den gerne verschwiegenen Umstand, daß die Bruderschaft in allen Glaubensartikeln fest auf dem boden der kirchlichen Lehre steht, während viele Theologen und Bischöfe, die sich „der vollen Einheit mit dem Papst“ rühmen können, diesen Boden längst zu großen Teilen verlassen haben.

Zur immer wieder als Knackpunkt bezeichneten Frage der „vollen Anerkennung des 2. Vatikanischen Konzils“ führte Bischof Schneider aus:

Ich finde, daß die Frage des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht als conditio sine qua non betrachtet werden sollte, da es sich um eine Versammlung mit primär pastoraler Zielsetzung und entsprechendem Charakter handelte. Ein Teil der Konzilserklärungen spiegelt die Zeitumstände wider und hat daher nur zeitlich begrenzte Geltung, wie das eben für disziplinarische und pastorale Dokumente üblich ist. Aus der Sicht der zweitausendjährigen Kirchengeschichte betrachtet, können wir feststellen, daß es auf beiden Seiten (des Heiligen Stuhls und der Piusbruderschaft) eine Überbewertung und Überschätzung der pastoralen Realität der Kirche ebenso wie des Zweiten Vatikanischen Konzils gibt.

Die Piusbruderschaft entspricht im Glauben, in ihrem Gottesdienst und in ihrem moralischen Leben,  wie es das höchste Lehramt fordert und anerkennt und wie es die Kirche weltweit jahrhundertelang getan hat. Sie erkennt die Legitimität des Papstes und der Diözesanbischöfe an und beten öffentlich für sie. Sie erkennt die Gültigkeit der Sakramente nach der Editio typica der neuen liturgischen Bücher an - das sollte für eine kanonische Anerkennung der Piusbruderschaft durch den Heiligen Stuhl reichen. Andernfalls würde die immer wieder beschworene pastorale und ökumenische Offenheit der heutigen Kirche offensichtlich ihre Glaubwürdigkeit verlieren, und die Geschichte würde eines Tages Vorwürfe gegen die kirchlichen Autoritäten unserer Tage erheben, weil sie den Brüdern mehr Last als notwendig (Apg 15.28) auferlegt haben, was das Gegenteil der pastoralen Methode der Apostel ist.“

Eine etwas ausführlichere Teilübersetzung des Interviews ins Deutsche bringt katholisches.info.

Der zensierte Psalter

Schon 2008 hatten wir in einem längeren Beitrag über den wenig sachgemäßen Umgang der reformierten Liturgie mit den Psalmen darauf hingewiesen, daß nicht nur in Textbestand und Übersetzung, sondern auch durch eine bis dahin für die Liturgie undenkbare Auswahl schwerwiegende Eingriffe in den Originalbestand vorgenommen worden sind:

Dafür leiden die Psalmen der Liturgia Horarum freilich unter einem schweren Anfall von Zensurwut bei ihren Kompilatoren: Die in der Wortwahl zarten Gemütern möglicherweise tatsächlich etwas „unsensibel" erscheinenden Psalmen (neue Zählweise) 57, 82 und 108 fehlen ganz, 77, 104 und 105 dürfen nur noch je einmal im Jahr in der Fastenzeit vorkommen. Gottes Wort – zu hart für unsere Zeit?

Auf der Konferenz Sacra Liturgia im vergangenen Juni in New York hat einer der Redner dieses Thema ausführlich dargestellt und in den Kontext des liturgierevolutionären Tumults der 68er-Zeit eingeordnet. Rorate Cæli hat jetzt den wesentlichen Inhalt dieses Vortrags veröffentlicht - merkwürdigerweise ohne Nennung eines Autors. Dort fanden wir auch das oben gezeigte Bild der sog. Jefferson-Bibel, aus der dritte US-Präsident und Hobby-Bibel-Historiker Thomas Jefferson alle Passagen ausgeschnitten hatte, die nicht in sein aufgeklärtes Weltbild passten.

Memoiren Bouyers auf Englisch

Der französische Oratorianer Louis Bouyer (1913 - 2004) gehört zu den umstrittensten Persönlichkeiten der liturgischen Bewegung und der Liturgiereform. Es ist unverkennbar, daß er als Konvertit aus dem Lutheranertum einige Konzepte mitgebracht hat, die Anlass zu Missverständlichkeiten bieten. Es ist aber auch unübersehbar, daß er sehr früh, schon in den 50er Jahren und damit lange vor dem Konzil, vor liturgischen und pastoralen Fehlentwicklungen warnte, die später zur Deformation der Liturgiereform führen sollten. Als Mitglied des Consiliums konnte er einige dieser Fehlentwicklungen abmildern, wurde dort jedoch immer mehr an den Rand gedrängt und zog sich schließlich enttäuscht aus der Arbeit des Gremiums zurück. 

Tagebuchaufzeichnungen und Notizen aus der Zeit der Reform bilden einen wesentlichen Teil seiner Memoiren, die allerdings wegen ihrer sehr kritischen Tendenz zu seinen Lebzeiten nicht erscheinen konnten. Sie wurden tatsächlich erst im vergangenen Sommer - also zehn Jahre nach seinem Tode - im Original veröffentlicht. Bouyers Französisch ist stark persönlich gefärbt und mischt, wie bei Tagebüchern nicht ungewöhnlich, alle Sprachebenen von Anspielungen auf die klassische Literatur bis zur Zeitungs- und Alltagssprache der 60er Jahre - mit der Folge, daß dieses historisch außerordentlich aufschlußreiche Werk selbst in Frankreich kaum zur Kenntnis genommen wurde, außerhalb erst recht nicht.

Wie Joseph Shaw heute auf seinem Blog mitteilt, ist eine englische Übersetzung dieser Memoiren so gut wie fertig und soll demnächst erscheinen; steht zu hoffen, daß sie leichter zu nutzen ist als das Original. Einige anekdotenhafte Elemente des offenbar sehr kritischen Textes  haben bereits ihren Weg in eine größere Öffentlichkeit gefunden. Nach einem davon habe Papst Paul VI. Bouyer in den 70er Jahren einmal auf einige Elemente der Reform angesprochen, die ihm selbst nicht besonders gelungen erschienen und ihn ganz direkt gefragt, wieso er als Mitglied der Reformkommission diese mitgetragen habe. Darauf antwortete Bouyer: „Weil Bugnini uns versicherte, daß Sie darauf bestünden“ - worauf der Papst entgegnete: „Ist das die Möglichkeit? Und mir hat er gesagt, daß Sie das einstimmig verlangten“.

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