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Barmherzigkeit

Um wenige Begriffe herrscht derzeit so viel Verwirrung, wird derzeit so gezielt Verwirrung erzeugt, wie um den der „Barmherzigkeit“. Dabei bietet auch hier die Liturgie, wie in so vielen anderen Fällen auch, unfehlbare Auskunft darüber, was es mit Gottes Barmherzigkeit auf sich hat und unter welchen Bedingungen wir darauf hoffen dürfen.

Der Introitus des XX. Sonntags nach Pfingsten zitiert Passagen aus dem Buch Daniel, erweitert um einen Vers aus Psalm 118:

Alles was Du an uns getan, o Herr, hast Du in Deinem wahrhaft gerechten Urteil getan, denn wir haben gegen Dich gesündigt und waren nicht gehorsam gegenüber Deinen Geboten. Doch erweise Deinem Namen die Ehre und tue an uns nach der Fülle Deines Erbarmens.

Selig die ohne Sünde wandeln, die sich an das Gesetz des Herrn halten.

Die Oratio des Tages stellt das Verhältnis zwischen Sünde und Schuld, Vergebung und Besserung dann noch einmal ganz klar:

Erweise Deinen Gläubigen, Herr, so bitten wir Dich, Verzeihung, Trost und Frieden, damit sie von allen Verfehlungen bewahrt bleiben und Dir stets in sicherer Gewissheit dienen.

Für theologische Feinheiten und scharfsinnige Interpretationen, die das Gute im Schlechten suchen, bleibt hier kein Raum: Sünden, die nicht als Sünden anerkannt und mit der Bereitschaft zur Besserung bereut werden, können nicht auf „Barmherzigkeit“ zählen.

Zum Sonntag „Justus es“

Der 17. Sonntag nach Pfingsten beginnt (oder beschließt) die Quatemberwoche des September. Und während die Herbstquatember selbst seit alters her den freudigen Erntedank ins Zentrum stellt, so waren die Quatembertage doch stets auch Tage des Fastens und der Buße. Sehr deutlich kommt dieser Charakter im Proprium dieses Sonntags zum Ausdruck, dessen Tagesgebet eines der wenigen ist, die den Widersache von Anfang an im Rahmen des Messtextes ausdrücklich erwähnen:

Wir bitten Dich, o Herr, gib Deinem Volk die Gnade, jegliche teuflische Ansteckung zu meiden und mit reinem Geiste zu Dir als dem einzigen wahren Gott hinzustreben.“

Introitus und Graduale zitieren Verse aus insgesamt vier Psalmen, die dieser Bitte des Tagesgebets ihren Rahmen geben. Der Introitus bekräftigt die Einheit von Gerechtigkeit, Gesetz und Barmherzigkeit:

Gerecht bist du (justus es), o Herr, und recht ist Dein Gericht, handle an Deinem Knecht nach Deiner Barmherzigkeit. Selig die Makellosen auf dem Lebenswege, die wandeln nach des Herrn Gesetz.“

Das Graduale benennt den Grund und Ursprung dieses Zusammenhangs:

Selig das Volk, dessen Gott der Herr ist, das Volk, das sich der Herr zum Eigentum erkoren. Durch das Wort des Herrn sind die Himmel geschaffen, all ihre Sternenheere durch den Hauch seines Mundes.“

Und dann noch einmal in der Communio mit zwei Versen aus dem 75. Psalm, die zusätzlich auch noch einen Anklang an den Erntedank vernehmen lassen.:

Weihet dem Herrn eurem Gotte Gelübde und erfüllt sie, ihr alle ringsum, bringet Gaben herbei für ihn, den Gewaltigen, für ihn, der den Trotz der Fürsten zerbricht , für ihn, der alle Erdenkönige mit Furcht erfüllt.“

Das Messbuch von 1970 ersetzt diese Versauswahl durch andere, die zwar generell in die gleiche Richtung zielen mögen, dabei jedoch erkennbar darauf bedacht sind, die zarten Empfindungen des modernen Menschen zu schonen. Der Teufel findet da keine Erwähnung mehr, und auch vom zerbrochenen Trotz und der Furcht, die selbst die Könige empfinden, ist nicht die Rede.

Fr. Zuhlsdorf verdanken wir den Hinweis darauf, daß die alte Oration in der Editio Typica Tertia des Missales von 2002 wieder enthalten ist, freilich an entlegenster Stelle: Als „andere Oration" in der neu eingefügten dritten Variante einer Bittmesse aus besonderem Anlass.

Von der Deutschen Bischofskonferenz ist diese Fassung des Missales, die in einigen Punkten um stärkere Rückbindung an die Tradition bemüht ist, bis jetzt allerdings noch nicht endgültig übernommen bzw. umgesetzt worden.

Miserere mihi, Domine

Barmherzigkeit und Erbarmen sind die Worte der Stunde. Der vereinte Chor von Welt und Kirche ruft uns auf, Barmherzigkeit zu üben - und wer wollte dem guten Gewissens widersprechen. Vergessen wird dabei immer öfter, daß auch Barmherzigkeit kein Gut ist, über das wir frei verfügen können. Wie könnten wir Barmherzigkeit üben, ohne zuvor Erbarmen empfangen zu haben, und wie könnte die Welt Gottes Erbarmen würdig sein, wenn sie sich nicht seiner Gerechtigkeit unterwürfe?

Der 16. Sonntag nach Pfingsten erinnert uns daran, daß wir zunächst des göttlichen Erbarmens Bedürftige sind und ohne seine Gnade nichts ausrichten können:

Introitus: Erbarm Dich meiner, o Herr, ich rufe zu Dir den ganzen Tag; Du bist ja gut und Mild, o Herr, und an Erbarmen reich für alle, die zu Dir rufen. Herr, neige Dein Ohr zu mir, und erhöre mich, denn ich bin hilflos und arm.

Oration: Wir bitten Dich, oh Herr, Deine Gnade möge uns allezeit vorangehen und folgen, und uns unablässig zu guten Werken ermuntern.

Offerorium: Herr, mir zu helfen sei bedacht. Schmach und Beschämung treffe alle, die mir nach dem Leben trachten.

Postcommunio: Wir bitten Dich, o Herr: Läutere in Deiner Güte unseren Geist und erneuere ihn durch das himmlische Sakrament; so haben wir dann auch für den Leib jetzt und später Hilfe.

...dann bleiben ja die Mädchen weg

Bereits im Juli hat Joseph Shaw das Positionspapier 26 der FIUV veröffentlicht, Thema: Die überlieferte Liturgie und die Männer. Rorate Cæli hat den kompletten Text auf Englisch. Shaw publizierte dazu auf seinem Blog eine locker geschriebene Vorstellung, die wir hier übersetzen:

Ich habe auf meinem Blog bereits ziemlich viele Texte zum Thema Liturgie und Männer veröffentlicht. Das ist ein spannendes und soweit ich sehe unterbewertetes Thema. Ich habe den Eindruck, daß viele Inhaber von wichtigen Positionen in der Kirche nichts davon hören wollen; sie sind zu sehr damit beschäftigt, dem Gebot, sich um die Frauen zu kümmern, zu folgen, um zu bemerken, daß die Männer gegenwärtig der Kirche viel mehr entfremdet sind.

Das Thema ist letzten Endes ein Bestandteil der allgemeinen Diskussion über die Rolle von Männern und Frauen in Gesellschaft und Kirche, aber es sollte doch möglich sein, die Messe etwas weniger abweisend gegenüber Männern zu feiern, ohne sich in allzu kontroverse Diskussionen über diese allgemeine Frage zu verstricken. Im Lauf der Jahre sind einige recht einfache Korrelationen ins Auge gefallen, die recht plausibel erscheinen.

  • Männer werden von Spontaneität eher abgestoßen – sie schätzen Rituale.
  • Statt „auf Befehl" Emotionen zu zeigen, sind sie eher bereit, spürbare persönliche Opfer zu bringen – etwa Fasten.
  • Statt sich ausschließlich „horizontal'" (d.h. auf die Gemeinschaft) zu orientieren, schätzen sie den Bezug auf die vertikale, die transzendente Dimension.

Diese Korrelationen sind um so deutlicher, je jünger die Männer sind, mit dem Grad der formalen Bildung werden sie schwächer. Man achte einmal darauf bei einem fortschrittlichen Gottesdienst einer beliebigen Gemeinschaft und vergleiche das mit den Eindrücken von der freundlichen Moschee oder einer orthodoxen Synagoge in der Nachbarschaft – mit großer Wahrscheinlichkeit werden Sie diese Verallgemeinerung bestätigt finden.

Was hält die katholischen Priester und ihre protestantischen Amtskollegen in den westlichen Ländern davon ab, diesen Sachverhalt wahrzunehmen und entsprechend zu handeln?

Das ist eine lange Geschichte mit vielen Untersträngen. Einer ist die romantische Denkart, die uns vorgaukelt, nur das Spontane und Emotionale sei „authentisch“. Ein anderes Problem besteht darin, daß vermutlich auch viele Feminist(in)en mit dem Befund durchaus übereinstimmen – aber gar nicht wollen, daß mehr Männer in die Kirche kommen.

Die feministische Nonne vom Dienst in einer Gemeinde, in der nach großen Anstrengungen – hauptsächlich von Seiten junger Männer – endlich einmal eine Messe in der überlieferten Liturgie gefeiert werden sollte, verhalf mir da zu einem Schlüsselerlebnis. Als sie sah, wie einer der jungen Burschen die Kanontafeln auf den Altar stellte, rief sie aus: Das kann man nicht machen – dann bleiben ja die Mädchen weg.

Was natürlich nicht stimmte: Es nahmen auch viele Frauen und Mädchen teil. Nachdem ich mich viel mit den Zahlen der Teilnehmerschaft bei traditionellen Liturgien befasst habe, schätze ich den Anteil der Frauen auf durchschnittlich 45%. Die überlieferte Liturgie vertreibt nicht die Frauen, sondern sie verzichtet darauf, die Männer zu vertreiben, die in der durchschnittlichen Novus Ordo-Gemeinde bestenfalls 35% der Gläubigen ausmachen. Insoweit hatte diese progressive Nonne also schon recht, als sie von eine Korrelation zwischen der überlieferten Liturgie und den spirituellen Bedürfnissen von Männern ausging. Und das fand sie überhaupt nicht gut.“

Inzwischen ist bereits das 27. Positionspapier der FIUV erschienen, es behandelt das komplexe Verhältnis zwischen Tradition, Restauration und Reform in der Kirche. Hier ebenfalls bei Rorate Cæli.

Der Kampf um die Sakramente

Umschlag der aktuellen AusgabeIm Mittelpunkt der soeben erschienen Ausgabe 2015/2 der Una-Voce Korrespondenz stehen Beiträge von der 17. Kölner Liturgischen Tagung in Herzogenrath vom März dieses Jahres, die sich dem Thema „Liturgie der Sakramente" gewidmet hatte. Die UVK präsentiert jetzt in einer erweiterten Fassung den Vortrag von Heinz-Lothar Barth über den Ritus der Kindertaufe; von Bischof Jean-Pierre Delville zum Ursprung des Fronleichnamsfestes, von Veit Neumann über die „Firmung zwischen Initiation und Jugendweihe", Raymond Kardinal Burke über die Ehe-Liturgie der Kirche und Peter Christoph Düren zur Frage „Unctio extrema oder Krankensalbung"? Weitere Beiträge aus Herzogenrath sollen in der kommenden Ausgabe folgen.

Vor der zweiten Session der Bischofssynode zur Ehepastoral im kommenden Herbst konnte im März und kann auch jetzt noch der Vortrag von S.E. Kardinal Burke auf besonderes Interesse rechnen. Das gilt auch dann, wenn dieser Vortrag der Natur der Sache nach keine Neuigkeiten bieten konnte: Die Ehe kann nach dem geoffenbarten Willen Gottes nur zwischen einem Mann und einer Frau geschlossen, und das Eheband kann nur durch den Tod eines der beiden Partner gelöst werden. Der Ehebruch ist ein schwerwiegender Verstoß gegen Gottes Gebote, wer sich dessen schuldig macht, bleibt zwar weiterhin Glied der Kirche und kann, sofern er das wünscht, auf besondere Begleitung und Fürsorge rechnen – doch die wesentlichen Voraussetzungen zum Empfang des Leibes des Herren erfüllt er oder sie nicht. Soweit nichts Neues.

Was den Vortrag auf Dauer lesenswert macht ist die Klarheit und Entschiedenheit, in der der Kardinal diese überlieferte Auffassung von der Bedeutung des Ehesakramentes und des eucharistischen Sakramentes bekräftigte. Klarheit in der Sache selbst – keine Spur von dem pseudo-pastoralen Doublespeak , mit dem gerade in Deutschland versucht wird, unter dem Mantel der „Barmherzigkeit" ein praktisches Abgehen von der klaren Lehre der Kirche hinsichtlich beider Sakramente als theologisch-theoretisches Festhalten an eben dieser Lehre zu verkleiden: Das geht nicht. Entschiedenheit gegenüber allen Mitbrüdern im Bischofsamt, die sich an diesem unmöglichen Balanceakt beteiligen: „Gemäß einem grundlegenden Gesetz der Logik kann eine Sache nicht gleichzeitig sein und nicht sein". Entschiedenheit aber auch gegenüber den Ansprüchen einer säkularisierten Kultur, die „den Glauben aufgegeben hat und zugleich damit auch die Ehrfurcht gegenüber der objektiven Realität der Ehe". Demgegenüber gilt: „Die Kirche muß die Tatsachen bei ihrem eigenen Namen nennen, um nicht selbst zur Konfusion und zum Irrtum beizutragen. ... Die Aufrichtigen, die in einer derartigen Kultur leben, dürsten nach der Wahrheit und ihrer Verkündigung in der Liebe."

Als zweiter Beitrag der Ausgabe soll hier der vom Autor noch einmal deutlich erweiterte Vortrag von Heinz-Lothar Barth zum überlieferten Ritus der Kindertaufe ausführlicher angeführt werden. Schon Papst Benedikt hatte die säkularistischen Einflüssen geschuldete Unklarheit des modernen Taufritus beklagt, in dem die Eltern, vom taufenden Priester nach ihrem Begehr gefragt, für den Täufling „die Taufe" verlangen, wo im überlieferten Ritus die Paten in dessen Namen um „den Glauben" bitten. Die teilweise darüber noch weit hinausgehenden Veränderungen und Abschwächungen des sakramentalen Aktes, die Barth über 50 Seiten hinweg darstellt, können hier nur in Stichworten angedeutet werden:

  • Die Befreiung von der Erbschuld tritt völlig zurück gegenüber dem Vorgang der Eingliederung in die Kirche;
  • Um den gemeindlichen Charakter der Taufe weiter zu betonen, wird der Tauftermin oft über Monate hinausgezögert, bis genug Täuflinge für eine zünftige Gemeinschaftsfeier zusammen sind
  • Der Charakter der Taufe als Heilsvoraussetzung wird verschwiegen
  • Symbole und Sakramentalien wie der Epphata-Ruf, mehrere Salbungen und die Salzgabe, die bis in apostalische Zeit zurückreichen, wurden „abgeschafft",
  • Der Exorzismus, durch den die bis dahin schutzlose Seele dem Einfluss des Bösen entzogen wird, ist zu Unkenntlichkeit verwässert
  • Die Rollenverteilung zwischen Paten, Eltern und Täufling wird unter dem Einfluss rationalistisch-protestantischer Vorstellungen neu definiert – bis dahin, daß die Kindertaufe selbst in Frage gestellt wird.

All das und vieles andere erfolgte unter dem Vorwand, das Sakrament und seinen Ritus in einer Weise zu gestalten, die dem „Verständnis des modernen Menschen mehr entgegen kommt". Vieles davon erscheint in der Darstellung Barths wie ein Versuch der römischen Oberreformer, im Schnelldurchgang all die Irrtümer und Verfälschungen der kirchlichen Lehre nachzuholen, für deren Entwicklung die Reformatoren in der Tradition Luthers sich mehrere Jahrhunderte Zeit ließen.

Besondere Aufmerksamkeit widmet Barth in diesem Zusammenhang auch dem Umstand, daß diese oft unter dem Banner der Ökumene durchgesetzten Veränderungen noch in der Mitte des 20. Jahrhunderts bestehende theologische Übereinstimmungen mit den Kirchen des Ostens schwer beschädigten.

Neben den Beiträgen aus Herzogenrath thematisiert die aktuelle Ausgabe der UVK in den Miszellen eine Sicht aus dem Ausland, konkret George Weigels aus den USA auf die Krise der katholischen Kirche in Deutschland und behandelt die Degeneration des Toleranzbegriffs im Zeichen gesamtgesellschaftlich akzeptierter Kirchenfeindlichkeit. Ein Beitrag befasst sich mit dem Phänomen einer Papstmesse „für die Gläubigen des armenischen Ritus", die nicht im armenischen Ritus stattfand; Buchbesprechungen stellen unter anderem Bücher von Manfred Hauke über „Papst Benedikt XVI. und die Liturgie" und Michael Fiedrowicz über die "Theologie der Kirchenväter" vor.

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