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Ein Kardinal spricht Klartext

Bild: M.Migliorato/CPP/CIRIC18. Kölner Liturgische Tagung III

Warum auch immer Kardinal Sarah seine Teilnahme an der 18. Liturgischen Tagung in Herzogenrath absagen mußte – sein am Freitag verlesenes Grußwort machte ihn so präsent, wie er auch bei persönlicher Anwesenheit kaum präsenter hätte sein können. In Form, Tonlage und Länge war dieses Grußwort ein ausgewachsener Tagungsbeitrag – und was für einer. Wir präsentieren und kommentieren hier einige der wichtigsten Aussagen des Kardinals nach der dankenswerter Weise schnell vorgelegten deutschen bzw. englischen Übersetzung des französischen Originals in der Tagespost. Dabei gehen wir davon aus, daß sich bei einer unter weniger Zeitdruck erfolgenden Übersetzung noch einige Varianten in Aspekt und Tonlage ergeben werden.

Inhaltlich behandelt der Kardinal in seinem Eröffnungsvortrag zwei Bereiche: Zunächst den aktuellen Stand des liturgischen Lebens der Kirche und den Weg, der dahin geführt hat, und dann - zumindest in Ansätzen - Schritte und Voraussetzungen zu einer Überwindung dieses von ihm selbst als „Desaster, Verwüstung und Schisma“ beschriebenen Zustandes. Wir sind bereits aus der Zeit, als Josef Ratzinger noch Präfekt der Glaubenskongregation war, starke Worte der Kritik am Niedergang der Kirche nach dem Konzil gewöhnt. Robert Kardinal Sarah, der sich in vielem eng an Denken und Lehre Ratzingers/Benedikts anschließt, trägt der Tatsache Rechnung, daß die Dinge in weiten Bereichen seitdem noch weitaus schlimmer geworden sind und macht Aussagen, die viele Katholiken bis jetzt kaum zu denken, geschweige denn auszusprechen wagten.

Als Antriebskraft vieler „Reformen“, die nach dem Konzil durchgezogen wurden, macht er ein einziges Motiv aus, geboren aus der Angst, den Anschluß an eine unbegriffene ,neue Zeit' zu verpassen: „ Man wollte unbedingt ein als vollkommen negativ und überholt wahrgenommenes Erbe beseitigen, um eine Kluft aufzutun zwischen dem, was vor und dem, was nach dem Konzil existierte.“ Dem setzt er „die absolute und radikale Zurückweisung jeglicher Hermeneutik des Bruchs und der Diskontinuität“ entgegen. Sein Ausgangspunkt dabei ist die Liturgie, doch seine Forderung richtet sich auf den gesamten Inhalt von Glauben und Lehre. Der Glaube selbst ist in einer tiefen Krise, und das „nicht nur bei den Gläubigen, sondern auch und vor allem bei zahlreichen Priestern und Bischöfen“, denen er vorwirft die seit jeher geltende vom Konzil noch einmal ausdrücklich bekräftigte Lehre der Kirche nicht zu kennen – oder wahrnehmen zu wollen.

In einer Weise, wie man das bisher selten gehört hat, kritisiert er die unerträgliche Phrasendrescherei vom „neuen Frühling“ und setzt dem die Fakten entgegen, den „Relativismus bei der Vermittlung der Glaubens- und Morallehre, schwere Missbräuche, die Entsakralisierung und Banalisierung der Heiligen Liturgie sowie die rein soziale und horizontale Sicht der Mission der Kirche.“ Seine Vorwürfe gipfeln in der unerhörten, aber zweifellos berechtigten Aussage „Man wirft dem politischen Europa vor, seine christlichen Wurzeln aufzugeben oder zu verleugnen. Doch wer zuerst seine christlichen Wurzeln und seine christliche Vergangenheit aufgegeben hat – das ist mit Sicherheit die nachkonziliare katholische Kirche.“

Den vor 10 Jahren erfolgten Erlaß von Summorum-Pontificum sieht Kardinal Sarah als Versuch Papst Benedikts, den durch die revolutionäre Lesart des Konzils entstandenen Bruch wieder zu heilen, oder besser gesagt, die Voraussetzungen für eine Heilung zu schaffen – getreu der Einsicht, daß die Art unseres Gottesdienstes entscheidend ist für die Art unseres Glaubens. Um das zu konkretisieren, schlägt der Kardinal einen dreifachen Weg vor, den er unter dem Kürzel „Stille – Anbetung – Ausbildung“ skizziert:

Zunächst also die heilige Stille, ohne die man Gott nicht begegnen kann. In meinem Buch La force du silence schreibe ich folgendes: „In der Stille erwirbt sich der Mensch seine Erhabenheit und seine Größe nur dann, wenn er kniet, um auf Gott zu hören und ihn anzubeten“ .

Sodann, die Anbetung: In diesem Zusammenhang verweise ich auf dasselbe Buch La force du silence, wo ich in Bezug auf meine geistliche Erfahrung folgendes schreibe: „Ich für meinen Teil weiß, dass die besten Augenblicke meines Tages in diesen unvergleichlichen Stunden zu finden sind, die ich auf den Knien in der Dunkelheit vor dem Allerheiligsten Sakrament des Leibes und des Blutes Unseres Herrn Jesus Christus verbringe. Ich bin wie in Gott versunken und von allen Seiten von seiner stillen Gegenwart umgeben. Ich möchte nur noch Gott angehören und in die Reinheit seiner Liebe eintauchen. Und dennoch ermesse ich, wie armselig ich bin, wie weit davon entfernt, den Herrn zu lieben, wie er mich geliebt hat – bis dass er sich für mich ausgeliefert hat“

Schließlich, die liturgische Ausbildung, von einer Glaubensverkündigung oder -katechese ausgehend, deren Maßstab der Katechismus der Katholischen Kirche ist, was uns vor möglichen mehr oder weniger gelehrten Hirngespinsten bestimmter Theologen bewahrt, denen es an „Neuerungen“ ermangelt. 

An die Katholiken, die sich der überlieferten Liturgie verbunden sehen, richtet er in diesem Zusammenhang eine Mahnung:

In diesem Gesamtzusammenhang also und in einem Geist des Glaubens und der tiefen Verbundenheit mit dem Gehorsam Christi am Kreuz bitte ich euch demütig, Summorum Pontificum mit Sorgfalt anzuwenden – nicht als eine negative und rückschrittliche, in die Vergangenheit gerichtete Maßnahme, oder als etwas, das Mauern aufrichtet und ein Getto schafft, sondern als einen wichtigen und echten Beitrag zum gegenwärtigen und zukünftigen liturgischen Leben der Kirche, wie auch zur liturgischen Bewegung unserer Zeit, aus der immer mehr Menschen, insbesondere die jungen, soviel Gutes, Wahres und Schönes schöpfen.

Das ist keine leicht erfüllbare Anforderung: Beim gegenwärtigen Stand der allgemeinen Zerrüttung in Theologie und Gottesdienst sowie im Kirchenregiment insgesamt drängt alles dahin, sich auf Inseln zurückzuziehen und sich von dem, was „draußen“ scheinbar unabwendbar in den Zusammenbruch steuert, abzugrenzen. Da hat es bisher sicher an Phantasie und auch an Mut gefehlt, über diese aus gutem Grund wohlbefestigten Grenzen hinauszuwirken.

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Wesentliche Vorträge der Tagung, darunter auch das von Robert Kardinal Sarah, sind als Video bei Bonifatius-TV unter „Dokumentationen“ zu hören und zu sehen.

Der Vortrag hat große Aufmerksamkeit gefunden und wurde im Neztz vielfach zitiert und Kommentiert. Einen ziemlich irritierten Kommentar von KNA bringt katholisch.de und bettet ihn an 4. Stelle in eine Aufzählung von Links zu größtenteils Sarah-kritischen Artikeln ein.

Zerstörer am Werk

Bild: Pressedienst der Diözese Rottenburg-StuttgartDer Angriff auf die Sakramentenordnung der Kirche geht ungebremst weiter – vorgetragen aus dem Innern der Gemeinschaft heraus. Die Krankensalbung, früher durchaus sinnvoll als „letzte Ölung“ bezeichnet, ist vergessen, die Beichte so gut wie – denn es gibt ja keine Sünde mehr, zumindest keine schwere, für alles bieten sich mildernde Umstände. Die Firmung wird zu einem jedes geistlichen Sinns entleerten Übergangsritus wie Konfirmation und Jugendweihe: Geschenke und Party. Die Ehe ist auf dem besten Weg dahin – ihre Unauflöslichkeit jedenfalls ist wirkungsvoll in Zweifel gezogen, wenn in Chile künftig anderes gelten sollte als z.B. in Deutschland, beides mit gleichem Segen aus Rom. Aus Rom wird auch die Eucharistie in Zweifel gezogen, wenn „Amoris Laetita“ den Zugang zum Leib des Herrn für diejenigen öffnet, die nach allen Zeugnissen der Schrift und der Väter dazu nicht zugelassen werden können; wenn das Zeichen der „Mahlgemeinschaft“ höheren Wert erhält als das, was damit bezeichnet wird und wenn die Ehrfurcht vor der leibhaftigen Gegenwart des Herrn selbst den Papst nicht mehr auf die Knie zwingt.

Die Angriffe auf das Sakrament der Weihe und das damit übertragene Priestertum „in Persona Christi“ werden seit Jahren an verschiedenen Fronten vorgetrieben. Ein vielerorts mit Bedacht herbeigeführter Priestermangel gewöhnt die Gemeinden an Riten, für die es keine Priester braucht; der Dauerstreit um den Zölibat lenkt alle Aufmerksamkeit in eine falsche Richtung, und natürlich kann, wo „Die Zukunft ist weiblich“ zum Dogma der Staatsdoktrin geworden ist, auch die Auseinandersetzung über ein „Frauenpriestertum“ nicht enden, bevor der Fortschritt gesiegt hat.

Zum Propheten dieses Fortschritts hat sich jetzt wieder mal ein deutscher Bischof gemacht, Bischof Fürst von Rottenburg, - warum feiern diese Leute eigentlich das Jahr des Reformationsjubiläums eigentlich nicht durch Übertritt in eine evangelische Gemeinschaft, die ihnen – außer dem Lila Käppi – doch alles bietet, was ihr Herz begehrt?

Bei einem Festakt des katholischen Frauenbundes bezeichnete er das mögliche Amt der Diakonin als „Zeichen der Zeit“. Den Einsatz von sogenannten „viri probati“ im priesterlichen Dienst halte er im Vergleich zur Diakonin für „nachgeordnet“, führte der Bischof am Sonntagnachmittag weiterhin aus. In der seit Jahren ausstehenden (tut sie das?) Antwort zum Thema Frauendiakonat sieht er keine Absage, sondern ein Zeichen, dass der Vatikan das Thema „nicht total verneint“. (Quelle

In einem hat er recht: Das Thema der „viri probati“ ist in vielerlei Hinsicht von sekundärer Bedeutung. Die Weihe „bewährter Männer“, auch verheirateter,  ist zwar in der gegenwärtigen Disziplinarordnung nur für wenige Ausnahmefälle vorgesehen – aber sie ist möglich, wird in begrenzten Umfang praktiziert und würde – zumindest bei Anlegung entsprechender Kriterien - das Priestertum keinesfalls grundsätzlich in Frage stellen. Genau das wäre von einer Öffnung – zunächst – des Diakonats für Frauen zu erwarten, theologisch wie lebenspraktisch, um nicht zu sagen „pastoral“. Den natürlich würde es nicht bei „Diakoninnen“ bleiben. Das Sakrament der Priesterweihe ist eines – aber es hat drei Stufen: Diakon, Priester, Bischof. Für eine davon grundsätzlich andere Zugangserfordernisse zu definieren ist nicht nur rechtlich/zeitgeistig, sondern auch theologisch unmöglich. Die gesamte Theologie der Kirche zum Priestertum müsste tiefgreifend umgeschrieben werden – ein Projekt, ganz nach dem herzen jedes „Reformers“, dessen eigentliches Ziel die Destruktion ist.

Wie das dann praktisch wirkt, ist am Vorbild der Anglikaner bestens zu beobachten. Dort haben sich die Frauen stufenweise den Weg zum Bischofsamt „freigekämpft“ und damit Erschütterungen und Zerstörungen angestoßen, die den Fortbestand der Staatskirche in Frage stellen. Warum Bischof Fürst anzunehmen scheint, ein solcher Schritt würde dem Überleben der deutschen Staatskirche nützlich sein, ist sein Geheimnis.

Eine seelenlose Theologie

In seinem lesenswerten Beitrag „Das Dogma von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele“ in der Una-Voce Korrespondenz 2017-I geht Norbert Clasen auch darauf ein, wie sich diese Glaubenswahrheit in der reformierten Liturgie nach dem Missale Pauls VI. darstellt. Sein Befund ist niederschmetternd, und auch hier stellt sich wieder die Frage, ob der Zeitgeist die Kirche dazu gebracht hat, eine seit zweitausend Jahren festgehaltene Lehre bis zur Unkenntlichkeit zu verdünnen – oder ob der Verzicht darauf, diese Lehre auch im liturgischen Leben deutlich werden zu lassen, mit dazu geführt hat, daß der Glaube an eine unsterbliche Seele mit all seinen Implikationen immer mehr in den Hintergrund gerückt ist. Clasen schreibt:

Die Kongregation für die Glaubenslehre bekräftigte 1979 schließlich noch einmal die Lehre von der „Fortdauer und Sub­sistenz eines geistigen Elements nach dem Tod, der Seele.“ Die „Bekräftigung“ war auch dringend erforderlich geworden angesichts bestimmter unheilvoller Entwicklungen in Liturgie, Theologie und Verkündigung: Schon im neuen latei­nischen Missale Pauls Vl. kommt das Wort Seele kaum noch vor, das deutsche Messbuch kennt überhaupt keine Seele mehr; der Allerseelentag ist zum „Ge­dächtnis aller verstorbenen Gläubigen“ geworden.

Ähnliches begegnet in den neuen Bibelübersetzungen:

Noch im Jahr 1962 lautete die bekannte Matthäus-Stelle 16,25 ff in den deutschen katholischen Bibeln einheitlich: „Denn was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber Schaden leidet an seiner Seele? Oder was kann der Mensch als Entgelt geben für seine Seele?“ Dagegen liest sich heute dieselbe Stelle nach der sog. „Einheitsübersetzung": „Was nützt es dem Men­schen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt? Um welchen Preis kann ein Mensch sein Leben zurückkaufen?“

Diese Übersetzung hören die heutigen Kirchenbesucher in fast allen Got­teshäusern. Sie ist „entsorgt", die Seele, in dieser zentralen Evangelienstelle!

Und später:

Auch in den Gebeten der neuen Totenmesse kommt die Seele des bzw. der Verstorbenen, für deren Heil das Messopfer dargebracht wird, nicht mehr zur Sprache. Im Requiemformular des alten Messbuchs heißt es noch klar und deutlich:

„Gott, Dir ist eigen, allzeit Erbarmen und Schonung zu üben, darum flehen wir in Demut zu Dir für die Seele Deines Dieners N., die Du heute aus dieser Welt hast scheiden lassen: Übergib sie nicht den Händen des Feindes und vergiss sie nicht für immer, sondern lass die heiligen Engel ihr entgegen eilen und sie zur Heimat des Paradieses geleiten, sie hat ja auf Dich gehofft und geglaubt, darum möge sie nicht die Qualen der Hölle erleiden, sondern die ewigen Freuden genießen.' (Schott 1962)

Demgegenüber lautet der Text der neuen Messordnung:

„Gott, dem es eigen ist, immer Erbarmen und Schonung zu üben, wir bitten Dich flehentlich für Deinen Diener N., den Du heute zu Dir hast aufbrechen lassen: lass ihn, da er auf Dich gehofft und geglaubt hat, zur wahren Heimat geleitet werden und ewige Freuden genießen."

Außerdem ist hier weder vom Fegfeuer noch von der ewigen Verdammnis die Rede. Der Verstorbene wandert ohne weiteres zu Gott, was mit Blick auf die konstante Lehre der Kirche nur als „vermessene Heilssicherheit“ zu bezeichnen ist. Geradezu symptomatisch sind die sog. „Auferstehungsgottesdienste", die an die Stelle der Messfeiern für Verstorbene treten und immer beliebter werden: Offenbar geht man davon aus, dass sich im Tod zugleich die Auferstehung voll­zieht.

Wie einleitend bereits angedeutet, ist die Frage des liturgischen Ausdrucks des Dogmas im Artikel Clasens nur ein Randaspekt. In der Hauptsache beschreibt der Autor die populären, wenn auch wissenschaftlich bereits weitgehend widerlegten Materialistischen Denkfiguren, die die Existenz der Menschenseele bestreite, und kritisiert deren Aufnahme in die Theologie durch die sog. „Ganztodlehre“. Wer Argumente sucht, kann sie hier in leicht verständlicher Zusammenfassung finden.

Zu bekommen - am besten im Abonnement – ist die UVK über die Website der deutschen Una Voce

Vom verdeckten ins offene Schisma

Alle knien - bis auf einen. Bild: the eponymous Flower am 10. 3., http://eponymousflower.blogspot.de/2017/03/lenten-exercise-2017-for-pope-and-roman.htmlAm 13. März 2013 wählten die Kardinäle den Argentinier Jorge Bergoglio zum Bischof von Rom. Bereits bei seinem ersten Auftritt auf der Loggia des Petersdoms machte Bergoglio unmißverständlich klar, daß er von diesem Amt radikal andere Vorstellungen hat als seine sämtlichen Vorgänger der letzten Jahrhunderte, und das hat er seitdem täglich aufs neue demonstriert. Innerhalb von nur vier Jahren hat der vom argentinischen Peronismus geprägte Papst damit dieses Amt und die Kirche in eine der schwersten Krisen ihres Bestehens geführt. Heute stehen Kardinäle gegen Kardinäle, Bischöfe gegen Bischöfe, Theologen gegen Theologen und Laien gegen Laien im Streit um die Ausdeutung päpstlicher Aussagen, deren Inhalt – soweit überhaupt faßbar – oft nur noch mit akrobatischen Anstrengungen  vor dem offenen Widerspruch zur Lehre der Kirche zu bewahren ist. 

Wie der Jubiläumsaufsatz auf der offiziellen Website der katholischen Bischöfe in Deutschland zeigt, enthält dieser Ansatz das Potential, die Lehre Christi in postmoderner Willkür aufzulösen:

Franziskus stellt die Kirche mit seiner neuen Lesart des Papsttums vor eine Herausforderung. Doch diese ist durchaus ihrer Zeit gemäß. Die Ära des bipolaren Realismus ist schließlich nicht nur in der Politik vorüber. Auch die Kirche kann in einer globalisierten und individualisierten Welt nicht länger auf harte Grenzen zwischen richtig und falsch setzen; die meisten Gläubigen leben selbst irgendwo dazwischen. Papst Franziskus übersetzt das auf seine Weise in die Theologie: Nicht harte Doktrin und nicht sanfte Beliebigkeit, sondern immer dazwischen.

Sollte das zur in Rom offiziell vertretenen Linie werden, wäre es die schmachvolle Kapitulation vor der seinerzeit von Josef Ratzinger angeprangerten „Diktatur des Relativismus“. Damit würde die Lehre Christi zwar nicht von dieser Welt verschwinden – ein zweitausend Jahre lang treu gebliebenes Lehramt hat die verläßlichen Fundamente ihrer Bewahrung gelegt. Aber die Umwandlung des seit Jahrzehnte schwärenden verdeckten Schismas in eine offene Form wäre die eher früher als später unvermeidliche Konsequenz.

Wie ernst diese Situation auf der Seite derer eingeschätzt wird, die glauben, daß Christus seine Kirche nicht für einen Schlingerkurs „immer zwischen Doktrin und Beliebigkeit“ gestiftet hat, ist auf den material- und gedankenreichen Artikeln von Edward Pentin auf NCR-Blog,  Steve Kojec auf OnePeterFive, Christopher Ferrera auf „The Remnant“ und Phil Lawler auf CatholicCulture zu ersehen.

Angriffe auf das Priestertum

Während wir alle noch – und das zu Recht – beunruhigt auf das Chaos blicken, das Amoris Laetitia hinsichtlich der Bedeutung der Sakramente der Ehe, der Buße und der Eucharisitie ausgelöst hat, bereiten die Berufsrevolutionäre im Kirchendienst bereits dem nächsten Punkt ihrer Agenda zu. Der Abschaffung des Priestertums nach dem bisherigen Verständnis der Kirche. Daß es dabei durchaus einen gewissen Zusammenhang zu Amoris Laetitia gibt wird daran erkennbar, daß ausgerechnet einer der lautesten Anwälte der „Neubewertung“ von Ehe und Eucharistie, Cardinal Cocopalmiero, jetzt zum Abschluß eines Interviews mit Eduard Pentin zu Amoris Laetitia auch in dieser Frage mit außerordentlich bedenklichen Ideen hervorgetreten ist. Auf die Bitte des Interviewers um Präzisierung seiner bereits zuvor geäußerten Ansicht, die Kirche solle zugunsten der Ökumene von ihrem bisherigen „rigiden“ Amtsverständnis abgehen, erläuterte der Kardinal:

Ich habe gesagt, wir müssen über Fragen nachdenken. Jetzt sagen wir: Es ist ganz gültig, oder gar nichts ist gültig. Vielleicht müssen wir über diesen Begriff von Gültigkeit oder Ungültigkeit nachdenken. Das zweite Vatikanische Konzil hat gesagt, es besteht eine wahre Gemeinschaft, auch wenn sie noch nicht vollständig oder abgeschlossen ist. Sie sehen, man hat ein Konzept entwickelt, das nicht so eindeutig auf alles oder gar nichts festgelegt ist. Es gibt eine Gemeinschaft, die bereits gut ist, aber einige Elemente fehlen noch. Doch wenn wenn man sagt, daß deshalb, weil noch einiges fehlt, gar nichts da ist, ist man im Irrtum. Es gibt noch fehlende Teile, aber es gibt schon eine Gemeinschaft, doch diese Gemeinschaft ist noch nicht vollständig. Das gleiche oder etwas ähnliches kann man auch hinsichtlich der Gültigkeit oder Ungültigkeit der Weihe sagen. Ich sage: Darüber sollten wir nachdenken. Es ist eine Hypothese. Vielleicht kommt etwas dabei heraus, vielleicht auch nicht – es geht um eine Untersuchung, ums Nachdenken.

Hier geht der Angriff also über die Schiene des Gradualismus: Es gibt kein gültig oder ungültig, kein wahr oder falsch – nur gleitende Übergänge. Alles geht irgendwie – Relativismus in Reinkultur.

Über eine andere Schiene geht der Angriff, den der brasilianische Bischof Luiz Demetrio Valentini im Umfeld der berüchtigten Amazonas-Werkstatt unlängst vorgetragen hat. Angesichts des Priestermangels fordert er die Einführung von „Gemeindepriestern“ - wobei unklar bleibt, ob er darunter lediglich die Herabsetzung der Anforderungen an Personen stellt, die als „erprobte Laien“ vom Bischof zu Priestern geweiht werden sollen – oder ob er bereits in der Beauftragung solcher Laien durch die Gemeinde die Übertragung der Vollmacht zur Feier der Eucharistie als gegeben ansieht.

In einer solchen Ansicht könnte er sich – unter Zuhilfenahme der Cocopalmieroschen Gradualitätstheorie – sicher auch auf den Würzburger Liturgologen Martin Stuflesser stützen, der bereits 2015 im Rahmen seiner ökumenischen Schwerpunktsetzung meinte:

Beim Hochgebet kann man festhalten, dass es allen Konfessionen nicht nur darum geht, die Einsetzungsworte zu rezitieren; diese sind vielmehr Teil eines großen Bitt- und Dankgebetes im Kern der Eucharistiefeier, in das die Einsetzungsworte eingebettet sind. Diese Worte werden vom Vorsteher, also einem ordinierten Amtsträger, im Auftrag der Gemeinde gesprochen. Wenn wir uns darüber einig sind, sind wir bereits einen großen Schritt weiter.

Weiter wohin?

Das Gemeinsame an all diesen Gedankengängen – seien sie nun als Denkanstöße, Forderungen oder wissenschaftliche Erkenntnisse dargestellt – ist, daß sie die Kirche und die Feier der Sakramente ihrem Wesen nach nicht mehr als von Christus gestiftetes, von den Aposteln und den Kirchenlehrern überliefertes Geschenk der Gnade begreifen, sondern als Menschenwerk, dessen Deutung und Bedeutung in den Händen derer liegt, die es betreiben.

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