Passau auf der schiefen Ebene
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- 04. Dezember 2018
Als Essens Bischof Franz-Josef Overbeck kürzlich eine Weiterentwicklung der katholischen Sexualmoral nach Maßgabe der modernen Wissenschaft forderte, waren wir nicht sonderlich überrascht. Overbeck hatte gemeint, die Kirche müsse die Frage beantworten, was Erkenntnisse aus anderen Wissenschaften zu Homosexualität, zu Gender-Fragen oder zu den Rollen von Mann und Frau für die Theologie bedeuten. Die „Wissenschaft“ oder das, was gerade dafür ausgegeben wird, als Lehrmeisterin der Theologie – das ist eine wohlbekannte Vorstellung des zum Atheismus tendierenden Modernismus (Kardinal Müller) von Anfang an.
Aus Essen haben wir ähnlich Unerfreuliches letzthin schon öfter gehört, aber nun scheint auch der Passauer Kollege Oster ins gleiche Horn zu stoßen. Zwar bekennt er sich in einem aktuellen Beitrag auf der Internetseite seines Bistums zunächst zur geltenden Lehre der Kirche, wenn auch nur in reichlich gewundenen Worten. Doch dabei drängt sich immer stärker die sogenannte „Lebenswirklichkeit der Menschen“ in den Vordergrund – während die anscheinend aus einer anderen Lebenswirklichkeit herrührende Lehre der Kirche hinter dem Horizont zu verschwinden scheint – und ebenso Gottes Gebot, in dem diese Lehre gründet. Offen in Frage stellen will Oster dieses Gebot nicht – aber mit einigem begrifflichem Aufwand sucht er nach Relativierungsmöglichkeiten, und schließlich findet er sie.
Der Weg auf dem dies geschieht, ist irritierend. Oster stellt sich die Frage, inwieweit die Sexualität ein „Lernfeld für die Kirche“ sei – schließlich hören wir ja sehr viel von der zuhörenden Kirche, worunter wir ja wohl einer Kirche zu verstehen haben, die mehr auf die Menschen als auf Gott hört. Und hat diese zuhörende Kirche nicht erst kürzlich gelernt, daß die Todesstrafe mit der Würde des Einzelnen nicht zu vereinbaren ist – und entsprechend ihre Lehre im Katechismus geändert?
Dem Verweis auf diesen Präzedenzfall folgt bei Oster dann zunächst eine erneute Bekräftigung der bestehenden Lehre: „Nicht wir können festlegen, was Gott für wertvoll zu halten und insofern zu segnen hat. Sondern Gott lädt uns ein, uns an Ihm zu orientieren und alle unsere Suche nach Werten an Ihm auszurichten.“ Doch wie das mit „Einladungen“ so ist – man kann sie auch ausschlagen – und letztendlich ist das doch wohl auch das gute Recht jedes Einzelnen. Und so landet Oster dann nach mehrfachem Hin und Her dabei, die „Sünde“ in Anführungszeichen zu setzen als etwas, das nicht per se schlecht ist, sondern „als ‚sündig‘ qualifiziert ist“.
Das mag noch im Rahmen der modernen Ambivalenz bleiben, die anscheinend immer mehr zum Grundbestand einer „pastoral“ ausgerichteten Lehre zu werden scheint, die sich nur noch in der Theorie an dem in der Tradition überlieferten Gebot Gottes orientiert. Doch ganz am Schluß öffnet der Bischof dann ein Fenster, das es einer (besseren?) Zukunft ermöglichen könnte, sich auch von dieser Restbindung zu befreien. Eine „neue Anthropologie“ - die er freilich noch nicht sähe – könnte dazu führen, daß auch solche Beziehungen für gut befunden und gesegnet werden könnten, bei denen das heute noch nicht der Fall ist. So könnten dann auch Lebenssituationen kirchlicherseits „ehrlich ermutigt“ werden, „die nicht einfach oder ausschließlich von einem Standpunkt des Glaubensgesetzes her beurteilt oder gar verurteilt werden können“. Neue Anthropologie, kommt sie nur überzeugend genug daher, schlägt alten Glauben? Ansatzpunkte dazu könnte ja vielleicht der Moraltheologe Kruip liefern.
Was bei Bischof Oster noch mit vielem Wenn und Aber, Einerseits und Andererseits daherkommt, bringt katholisch.de auf die kommode Formel:
Lebensformen außerhalb dessen, was die Kirche unter Ehe verstehe, könnten bislang nicht offiziell gesegnet und damit gutgeheißen werden, betont Passaus Bischof Stefan Oster. Doch eine Änderung wäre möglich.“
Mag sein, daß die Autoren von KNA den Bischof damit ein wenig überinterpretieren. Doch im Prinzip haben sie ihn wohl schon richtig verstanden. Das Gesetz der schiefen Ebene ist ebenso wenig hintergehbar wie das der Schwerkraft.
Apostasie konkret
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- 24. November 2018
Geht man nach den alleine in dieser Woche veröffentlichten Stellungnahmen katholischer Repräsentanten aus Deutschland, ist nicht zu sehen, wie die Spaltung der Kirche noch zu verhindern oder – soweit schon eingetreten – jemals zu überwinden sein wird.
Unser erster Bezugspunkt ist das Interview von Gerhard Kardinal Müller mit LifeSiteNews, das wir hier bereits kommentiert hatten und das inzwischen bei kath.net in ganzer Länge übersetzt vorliegt. Den zweiten Bezugspunkt bilden diverse Äußerungen auf der offiziellen Website der katholischen Kirche in Deutschland, von denen wir bisher allein das Interview von Klaus Mertes S.J. kurz gewürdigt hatten. „Unglaublich dreist“ und „abgründig falsch“ sind nach Ansicht des Jesuiten die Ausführungen von Kardinal Müller zur Kirchenkrise im allgemeinen und der Mißbrauchskrise im besonderen. An dieser seien nicht die Homosexuellen schuld, sondern die Tabuisierung der Homosexualität. Während er vor arrogantem Lachen kaum an sich halten konnte, erklärte er im Video-Interview (Zitat ab 9:30) auf die Frage, was er Müller denn raten würde: „Ich habe eigentlich das Interesse daran verloren, mit ihm (Müller) zu sprechen. ... Ich würde seinesgleichen raten, sie sollen endlich einmal zehn Jahre lang Pfarrer in einer normalen Stadtgemeinde sein. Schweigen, und nach zehn Jahren sehen wir uns noch mal.“
Die Ausführungen Mertes‘ in diesem Interview sind nicht nur nach Form und Sprache extrem ungehörig. Entscheidend sind die Inhalte – und die Tatsache, daß diese Inhalte nicht nur von Einzelpersonen, sondern anscheinend von der Mehrheit der Bischöfe vertreten werden. Auf der Webseite der Bischöfe stellen sie die praktisch ohne Widerspruch vertretene Hauptlinie dar. Um nur Beispiele aus der heute zu Ende gehenden Woche anzuführen:
Am Montag den 19. 11. fordert Bischof Franz-Josef Overbeck eine „Weiterentwicklung“ der katholischen Sexualmoral. Die Kirche müsse die Frage beantworten, was Erkenntnisse aus anderen Wissenschaften zu Homosexualität, zu Gender-Fragen oder zu den Rollen von Mann und Frau für die Theologie bedeuten. Mit Blick auf homosexuelle Menschen forderte der Bischof, sie dürften in keiner Weise diskriminiert werden.Die Kirche habe in der Vergangenheit versucht, "verloren gegangene politische Macht durch die Moral zu retten", sagte der Bischof. Dadurch sei in Fragen der Sexualität ein moralischer Druck auf die Gläubigen entstanden, der - im Vergleich zu anderen Glaubensthemen - unverhältnismäßig gewesen sei.
Was uns hier besonders auffiel: Die Bereitschaft, „andere Wissenschaften“ (und sei deren Wissenschaftlichkeit noch so fragwürdig) zur Lehrmeisterin der Theologie zu machen, und der skandalöse Ansatz, die bisherige kirchliche Sexuallehre als Versuch zur Rettung politischer Macht zu diffamieren. Damit stellt sich Overbeck in Widerspruch zum zweitausendjährigen Lehramt der Kirche.
Von „Schisma“ zu „Apostasie“
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- 22. November 2018
Im neuesten Interview von Kardinal Gerhard Müller mit Life-Site-News (inzwischen auf Deutsch bei kath.net) stehen wie kaum anders zu erwarten die Affäre McCarrick und der Eingriff des Vatikans in die Verhandlungen der US-amerikanischen Bischofskonferenz im Vordergrund. In diesem Zusammenhang läßt es der Kardinal keine Sekunde lang an Deutlichkeit fehlen. Mit harten Worten kritisiert er die Tendenz, eindeutig sündhaftes Verhalten – und dazu gehört nun einmal jede Form der Unzucht, und die homosexuelle ganz besonders – hinter einem Nebelvorhang soziologisierender, psychologisierender oder sonstwie zeitgeistabhängiger Phrasen verschwinden zu lassen. Damit sagt er freilich denen, die sich an der traditionellen Lehre der Kirche orientieren, wenig neues – auch wenn diese Lehre in der aktuell geltenden Version des Kirchenrechts (1983) nicht in der Klarheit zum Ausdruck kommt, die in dieser Sache den alten Codex von 1917 kennzeichnete, Dieser enthielt klare Vorschriften zur Disziplinierung und Bestrafung von Priestern, die homosexuelle Verfehlungen begingen. Zur Neufassung von 1983 merkt er an:
Das war ein verhängnisvoller Fehler. Sexueller Kontakt zwischen Personen des gleichen Geschlechts widerspricht vollständig und direkt dem Sinn und Zweck der Sexualität, wie diese in der Schöpfung begründet sind. Sie sind Ausdruck ungeordneten Verlangens und Instinkts und ein Symptom der seit dem Sündenfall zerbrochenen Verbindung zwischen dem Menschen und seinem Schöpfer. (…) Sexuelle Gemeinschaft hat ihren Platz ausschließllich in der Ehe zwischen Mann und Frau. Alles andere ist ist Unzucht und Mißbrauch der Sexualität, sowohl unter Personen des anderen Geschlechts oder in der widernatürlichen Steigerung der Sünde mit Personen des gleichen Geschlechts. Nur wer gelernt hat, sich selbst zu beherrschen, erfüllt die moralischen Voraussetzungen für den Empfang der Priesterweihe.
Noch wichtiger als diese Bekräftigungen der Lehre erscheint uns jedoch ein anderer Gedanke, den der Kardinal an mehreren Stellen des Interviews anspricht: In der Kirche hat sich Atheismus ausgebreitet – das heißt: Angehörige der von Christus gegründeten Kirche, auch in hohen Positionen, glauben in bedeutenden Teilen nicht mehr an Gott!
Dreimal kommt der Kardinal in seinen Antworten auf die Fragen der Journalistin Maike Hickson auf diesen entscheidenden Punkt zu sprechen. Auf die Frage nach einem Ausweg aus der Krise sagt er:
Der Ursprung dieser ganzen Krise liegt in einer Säkularisierung der Kirche und der Reduzierung der Rolle des Priesters auf einen Funktionsträger. Es ist letztlich der Atheismus, der sich in der Kirche ausgebreitet hat, Entsprechend diesem bösen Geist wird die Offenbarung hinsichtlich Glauben und Sitte einer Welt ohne Gott angepasst, damit sie ein Leben nach den eigenen Begierden und Wünschen nicht länger im Wege steht. Nur etwa 5% der Übeltäter (unter den Priestern) können als Pädophile im Sinne einer krankhaften Störung eingeordnet werden. Die große Mehrzahl treten aus eigenem freien Willen und wegen ihrer Immoralität das 6. Gebot mit Füßen und vergehen sich so auf blasphemische Weise gegen Gottes Heilgen Willen.
Zum Kürzel „LGBT“, das von Kurienvertretern in die Arbeitsgrundlage der Jugendsynode eingebracht worden war, führt er aus:
Haben wir (k)einen Papst?
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- 19. November 2018
In den USA nehmen die Empörung, aber auch die Verzweiflung über den jüngsten Eingriff auf die Abstimmungen bei der Sitzung der Bischofskonferenz zu. Er wird bei konservativen wie Progressiven gleicherweise als Versuch gesehen, die Aufklärung der Mißbräuche zu verhindern. Und in Rom bahnt sich Unerhörtes an: Mit Msgr Nicola Bux äußert erstmals ein bedeutender Angehöriger der Kurie Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Wahl Bergoglios zum Papst. Er schlägt allen Ernstes vor, sich von den Unerträglichkeiten dieses Pontifikates dadurch zu befreien, daß es als „ungültig von Anfang an“ betrachtet werden könne.
Doch zunächst in die USA. Die Hintergründe des vatikanischen Einspruchs erscheinen inzwischen zum guten Teil aufgeklärt – wenn man auch noch nicht genau weiß, ob die Initiative von Rom oder den beiden amerikanischen Kardinälen Wuerl und Cupich ausging, die beide beschuldigt werden, an Vertuschungsfällen beteiligt gewesen zu sein oder es generell an Aufklärungsbereitschaft fehlen zu lassen.
Stein des Anstoßes – da decken sich die Interessenlagen von Cupich/Wurl in USA und der Bergoglio-Fraktion im Vatikan – war die Tatsache, daß die Vorlage der Bischofskonferenz vorsah, eine unabhängige Untersuchungskommission einzusetzen, in der Laien eine ausschlaggebende Rolle gespielt hätten. Dabei war nicht beabsichtigt – wie jetzt von den Verteidigern des römischen Eingriffs vorgebracht wird – daß Laien über Bischöfe und Priester hätten urteilen können – das wäre nach kanonischem Recht nicht möglich. Aber die Kleriker in den Untersuchungsausschüssen hätten nicht die Möglichkeit gehabt, den zugang der Ausschüsse zu Akten und Zeugen zu kontrollieren und damit die Untersuchungsergebnisse zu manipulieren. Doch genau auf diese Machtposition wollen die Vertreter des Klerikalismus auf keinen Fall verzichten – die in den USA ebenso wenig wie die in Rom. Wie Walter Ulbricht schon 1945 sagte, als es um den „Aufbau des Sozialismus“ in der sowjetischen Besatzungszone ging: „Es muß demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben“ (Quelle).
Der erfolgreiche Einspruch aus Rom gegen die Installierung derartiger Untersuchungsausschüsse hat zunächst die Folge, daß erstmals seit vielen Jahren mehr traditionsorientierte und konservative Kreise in der US-Kirche mit der Mehrheit der Progressiven an einem Strang ziehen: Beide wollen eine möglichst rückhaltlose Aufklärung und beide befürchten, daß die jetzt bereits große Empörung bei den Gläubigen weiter zunimmt und zu unabsehbaren Konsequenzen nicht nur auf finanziellem Gebiet führen könnte.
Der Papst als Prophet?
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- 14. November 2018
Die Zerrissenheit der Kirche offenbart sich zur Zeit nicht zuletzt darin, daß es in der Haltung zum Papst zwei einander entgegengesetzte Positionen gibt – die beide als unvereinbar mit der traditionellen katholischen Haltung zum Papst erscheinen. Auf der einen Seite eine Ablehnung – nicht des Amtes, aber der Person – die bis dahin geht, dem gegenwärtigen Amtsinhaber Unfähigkeit zur Wahrnehmung seines Auftrags vorzuwerfen oder ihn gar als der Häresie überführt und damit seines Amtes verlustig anzusehen. Und auf der anderen Seite eine Tendenz zu einer Übersteigerung der Stellung dieses Amtes – und besonders dieses Amtsinhabers – die in jeder seiner Ausführungen und Taten den direkten Einfluß des heiligen Geistes erkennen will und in Einzelfällen nachgerade zu einer Vergöttlichung seiner Stellung tendiert, wie das in der Formel vom „Nachfolger Christi“ zum Ausdruck kommt. Oder auch wenn Franziskus selbst den Widerspruch gegen seinen Politikstil als „mangelnde Offenheit gegenüber dem Hl. Geist“ zurückweist.
Der amerikanische Publizist James Kalb ist der Sache in einem Artikel für Crisis Magazine näher nachgegangen. Nachdem er einige weniger überzeugende Erklärungsansätze wie bloße Autoritätsgläubigkeit oder Denkfaulheit zur Seite geschoben hat, kommt er zu dem, was er als den Kern der Sache betrachtet:
Dem katholischen Glauben geht es um Realität, er übersteigt die Welt, aber er ist keine Spinnerei. Jesus Christus ist der Selbe gestern, heute und auf ewig, und in der Theologie gibt es kein 2+2=5. Was der Glaube verlangt, muß von sich aus einsichtig und sich selbst treu sein. Wie kommt es, daß in einem angeblich doch so vernunftgeprägten Zeitalter Leute sich geradezu entgegengesetzt verhalten, als ob der Papst und seine Sprachrohre charismatische Propheten wären, die den Auftrag hätte, die Kirche irgendwohin zu führen, wohin es ihnen gerade den Anforderungen der Zeit zu entsprechen scheint?
In großem Ausmaß kommt diese Haltung von der gegen jede Transzendenz gerichteten Grundeinstellung des modernen Denkens. Die katholische Lehre bezieht sich auf dinge, die man nicht sehen, wiegen oder messen kann, und das macht es den Leuten schwer, sie als Ausdruck von Wahrheit zu akzeptieren. Stattdessen betrachten sie sie als dichterische oder symbolische Weise des Umgangs mit weltlichen Dingen. In dieser Sehweise ist der Grund dafür, daß wir von der Ehe als einem „Sakrament“ und von ihrer „Unauflöslichkeit“ sprechen der, daß die Leute stabile und verantwortungsvolle sexuelle Beziehungen haben wollen und derlei gut für die Kinder ist – deshalb unterstützen wir diese Stabilität, indem wir diese Beziehungen mit schönen Bezeichnungen aufwerten.
Von diesem Ansatz her ist es nur ein kleiner Schritt, das ursprüngliche metaphysische Bezugssystem ganz zur Seite zu legen und in den „schönen Bezeichnungen“ nur noch irdische Elemente zu erblicken, über die auf irdischer Ebene verhandelt und entschieden werden kann. Und wer wäre als oberster Entscheider besser geeignet als ein irdischer Papst, dem die allerhöchste Autorität zugeschrieben wird – ebenfalls in symbolischer Sprache und mit schönen Bezeichnungen, die an die Metaphysik der Vergangenheit anknüpfen, aber in Wirklichkeit ganz „von dieser Welt“ sind.
Schließlich können wir Gott nicht sehen, aber wir sehen den Papst, und wenn der Papst oder seine Interpreten (uns) sagen, daß sie vertrauensvoll annehmen, daß das, was (wir) tun schon das beste ist, das man vernünftigerweise als Gottes Willen entsprechend erwarten kann. … Kann denn Gott uns nicht von der Befolgung seiner eigenen Gesetze entbinden? Und hat Christus uns nicht gelehrt, daß die göttliche Autorität über jeder Tradition steht?
Das scheint, so vermutet Kalb weiter, eine saubere Lösung für viele praktische Probleme zu bieten, und deshalb greifen viele moderne Kirchenvertreter diesen überaus populären Ansatz gerne auf. Allerdings ist in der damit verbundenen Geringschätzung der Widerspruchsfreiheit von Glauben und Lehre eine große Gefahr verbunden:
Wenn die Autorität des Papstes über der Tradition, der hl. Schrift und der Vernunft steht – woher kommt dann unser Vertrauen auf gerade diese Autorität? Die sichtbare Stellung des Papstes als Haupt der weltumspannenden Kirche läßt das, was er sagt, mit großer Autorität ausgestattet erscheinen. Aber dessen Kraft, im Gewissen zu binden, ist ein Ausfluß der katholischen Tradition und hängt vollständig davon ab. Und wenn ein Papst oder seine Unterstützer diese Dinge in Zweifel ziehen, dann unterminieren sie genau die Gründe, die uns veranlassen, den Papst ernst zu nehmen. Wenn der Gott der Überraschungen uns sagen kann, wir könnten seit unvordenklichen Zeiten gültige Lehren hinsichtlich des Familienlebens unbeachtet lassen, warum können wir dann nicht auch die Lehren des Papstes verwerfen?
Genau das ist die aktuelle Situation. Wenn die metaphysische Ebene erst einmal verweltlicht ist und der Mensch das, was zuvor Gott zukam, in die eigenen Hände nimmt, ist alles möglich.
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Zur Illustration verwenden wir einen Screenshot aus Kalbs Vortrag „The Challenge goes Deep“, der ähnliche Fragestellungen wie der Artikel im Crises Magazine behandelt.