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Liturgiereform im 14. Jahrhundert

Bild: Wikimedia CommonsDer „Überlieferte Ritus“, wie er nach dem Konzil von Trient kodifiziert wurde, geht bekanntlich auf das Missale der päpstlichen Palastkapelle zurück, das an der Kurie seit dem frühen 13. Jahrhundert gebräuchlich war. Eine erste gedruckte Fassung dieses Missale secundum consuetudinem curiae romanae erschien wenige Jahrzehnte nach Erfindung des Buchdrucks 1474 in Mailand. Es bildete die wenig veränderte Grundlage für das Missale, das Papst Pius V. nach dem Konzil von Trient 1570 promulgierte und das innerhalb von etwa 150 Jahren die Fülle der bis dahin gebräuchlichen Riten und Usus der römischen Kirche verdrängte oder zumindest marginalisierte. Wie eine solche Verdrängung - auch wo sich nicht von tiefergehende theologische Absichten motiviert war - schon aus praktischen Gründen und wegen der Schwerkraft der menschlichen Bequemlichkeit vor sich geht, konnten wir ja in den letzten Jahrzehnten am Absterben des Conon Romanus beobachten.

Im Unterschied zu den Ordines Romani, die verschiedene Aspekte der öffentlichen Zeremonien am Sitz des Papstes beschreiben und Material enthalten, das für die Messliturgie bis auf die Zeit vor Papst Gregor d. Großen zurückgeht, war das Missale der Kurie eine schlichte Zusammenstellung der Texte für die Feier der Messe durch die Kleriker des Hofes – quasi das Minimalprogramm ohne besonderes Zeremoniell. Dieses Rumpfmissale, das zunächst auch noch keinerlei Rubriken enthielt, entsprach dem praktischen Bedürfnis der beamteten Geistlichkeit nach einer Vorlage für die im wesentlichen „private“ Zelebration. Eine seiner wesentlichen Quellen war das seit Ende des 12. Jahrhunderts im Franziskanerorden entstandene Messbuch für die wandernden Bettelmönche – erst durch diese war überhaupt das Bedürfnis entstanden, die vorher auf verschiedene „Rollenbücher“ aufgeteilten Texte (Evangeliar, Graduale, Ordo, Canon(tafeln) usw.) erstens in einem „Messbuch“ zusammenzufassen und das zweitens auch noch in tragbarer Form.

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Die Furcht vor dem Ritual

Vor einem Jahr erschien in der UNA VOCE Edition in deutscher Ausgabe Peter Kwasniewskis Buch: Neuanfang inmitten der Krise. Es ist insgesamt höchst lesens- und empfehlenswert; einige Abschnitte fassen bestimmte Problemfelder des aktuellen Standes der Liturgie äußerst prägnant zusammen. Solche Passagen wollen wir hier in lockerer Folge präsentieren.

Die Furcht vor dem Ritual

Einer der vielen Irrtümer, welche die Liturgiereform vergifteten, war die Ge¬ringschätzung des Rituals, die von der verbreiteten Ansicht herrührt, das Ritual halte die Menschen auf Abstand und hindere den Priester daran, mit den Gläubigen „in Fühlung" zu bleiben. Das neue Messbuch wurde „deritualisiert" oder erlaubt wenigstens und ermuntert gar den Priester, die Messe zu deritualisieren, indem er das gottesdienstliche Geschehen aus dem Stegreif kommentiert, sich in lässiger Weise bewegt und zahlreiche, nicht liturgisch gewandete Laien einlädt, den Altarraum zu betreten, was dem Geist des Rituals oder des göttlichen Cultus diametral zuwiderläuft. In Thomas Days Buch Why Catholics Can't Sing [Warum Katholiken nicht singen können] gibt es eine lustige (aber erschreckend zutreffende) Beschreibung der schizophrenen Liturgien, die aus den gängigen, spärlich eingeübten Rubriken im Zusammenspiel mit unbedarft angewandtem Brauch entstehen: eine offensichtlich rituelle Zeremonie, durchgeführt von Leuten, die so tun, als sei diese Zeremonie nicht rituell. Der mit liturgischen Gewändern angetane Priester schreitet in Prozession unter dem angestimmten Eingangslied durch den Mittelgang des Kirchenschiffs, begibt sich zum Altar, richtet sein Mikrofon und blickt in die Runde auf das versammelte Kirchenvolk, lächelt und gleitet dann in heillose Banalität ab: „Guten Morgen allerseits!" - um dann zum Ritual zurückzukehren: „Im Namen des Vaters ..." - und wieder in den Plauderton zu verfallen: „Heute wollen wir uns daran erinnern, dass wir unser Bestes geben wollten, aber dennoch immer wieder gefehlt haben, deshalb wollen wir nun den Herrn um sein Erbarmen bitten" - wieder beim Ritual angekommen: „Herr, erbarme dich!" Und so geht es weiter hin und her, bis er die versammelte Gemeinde mit den Worten entlässt: „Ihnen allen noch einen schönen Tag!"

Lange Zeit machte es mich betroffen und ich empfand es als grotesk, dass wirklich nur so wenige diesen völligen Bruch der Kontinuität im Hin und Her zwischen Ritual und alltäglichem Gerede und Gehabe verspüren sollten. Als ich jedoch das Chaos der Moderne besser abschätzen lernte, wurde mir immer klarer bewusst, wie ausgesprochen ritualfeindlich und antireligiös unsere Zeit geworden war. Alles außerhalb der Wohlfühlzone von Alltagsgeschwätz über Berufsleben und Freizeitspaß erscheint als fremdartig, gefährlich und bedrohlich und die Leute meiden diese Zone der Unangepasstheit soweit nur irgend möglich. Die katholische Liturgie, die ganz auf das Heilige, das Numinose, das Geheimnisvolle abzielt, steht zur westlichen Mentalität des religiösen „Marktes der Möglichkeiten" in diametralem Widerspruch; sie widerstrebt dem allgegenwärtigen modernen Lifestyle eines zügellosen Materialismus. Jede traditionelle Liturgie, bei der Augen und Herzen sich nach dem ausrichten, was droben und jenseits ist, stellt eine ernsthafte Bedrohung für jenen Triumph des Egoismus dar, den Regierung, Schulsystem und Privatwirtschaft überaus bemüht sind, in jede Stadt und jedes Haus zu tragen. 

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Peter Kwasniewski: Neuanfang inmitten der Krise ist erhältlich im allgemeinen Buchhandel und bei Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Ad Dominum - ad populum

Bild: PinterestDas Bild rechts zeigt einen Zustand, der seit gestern Vergangenheit ist: Zum 1409. Jahrestag der Weihe als Kirche erhielt nun auch Sancta Maria ad Martyres – bekannter unter dem etwas irreführenden Namen ‚Pantheon‘ – einen fest eingebauten Volksaltar. Also den der Gemeinde zugewandten Altartisch, von dem im Konzilsdokument zur Liturgiereform Sacrosanctum Concilium zwar nirgendwo die Rede ist, der den Vertretern des Bruches der Kirche mit ihrer katholischen Vergangenheit aber als augenfälligstes Symbol eben dieses Bruches lieb und teuer ist.

In Rom war die Einführung des Volksaltares über Jahrzehnte hin eher schleppend verlaufen. Teils, weil einige besonders alte Kirchen mit Altar über einer Confessio ohnehin nicht streng geostet waren oder ihre freistehenden Altäre ohnehin die Zelebration in beiderlei Richtung ermöglichte. Teils aus ästhetischen Bedenken, weil die bestehenden Altäre von großen Künstlern der Renaissance oder des Barocks geschaffen worden waren und sich von daher einer Umgestaltung widersetzten. In vielen Fällen, so auch im Pantheon, hatte man, um der aktuellen Mode zu genügen, einfach einen transportablen Altar bereitgestellt – eine Kompromisslösung, die freilich so zumeist weder den kirchenrechtlichen noch den ästhetischen Anforderungen entsprach.

Diese etwas italienisch-lässige Praxis hat sich unter dem amtierenden Bischof von Rom in den vergangenen Jahren deutlich verändert. In zunehmender Eile wurden auch bisher unangerührt gebliebene Kirchen mit dem fest im Boden verankerten Feldzeichen der neuen Ordnung ausgestattet – Fr. Zuhlsdorf nennt aus dem letzten halben Jahr S. Andrea della Valle und die Chiesa Nuova.

Unter diesen Umständen ist es erfreulich zu beobachten, daß dieser Weg nicht unumkehrbar ist. Die Berliner Kirche St. Afra war soweit bekannt die erste Kirche in Berlin, in der Ende der 30er Jahre an einem provisorisch aufgestellten Tisch „ad Populum“ zelebriert wurde. Der in gotisierender Holzschnitzarbeit des 19. Jahrhunderts ausgeführte Hochaltar wurde nach dem Krieg in zwei Stufen brutal reduziert und später durch einen so nahe wie möglich an die Messbesucher gerückten Volksaltar ersetzt. Seit über 10 Jahren ist St. Afra nun die Kirche des altrituellen Instituts St. Philipp Neri – und seit einigen Jahren wird dort auch wieder an einem aus einer Kirchenauflösung geretteten traditionellen Hochaltar zelebriert, der an der alten Stelle errichtet worden ist.

Update: katholisches.info zeigt bereits ein Bild des neuen Volksaltars: Er ist so dicht vor den Stufen des alten Altars platziert, daß nicht nur eine Zelebration im überlieferten Ritus fast unmöglich wird - auch für die neue Liturgie bleibt kaum genügend Platz. Hauptsache, die Symbolik stimmt.

Liturgie - Reform oder Revolution

Scan des BuchumschlagsErst auf dem Umweg über eine englische Übersetzung, die dieser Tage auf Rorate Cæli erschienen ist, erreicht uns die Kenntnis eines Vortrages von Wolfram Schrems über die Liturgiereform. Gehalten wurde dieser Vortrag schon vor einem Jahr anläßlich der Vorstellung der deutschen Ausgabe von Peter Kwasniewskis „Neuanfang inmitten der Krise“ (zu beziehen etwa hier). Er enthält eine der schärfsten Kritiken der Liturgiekonstitution „Sacrosdanctum Concilium“ von katholischer Seite. Danach sind die Mängel der Reform, die schließlich zu ihrem katastrophalen Scheitern in der gottesdienstlichen Realität geführt haben, nicht in einer unzureichenden Umsetzung dieses Dokuments durch das Consilium Bugninis begründet, sondern gehen direkt auf die darin enthaltenen theologischen Fehlkonzeptionen und gezielt eingebauten Zweideutigkeiten zurück. Nicht Reform, sondern Revolution im sinne des Modernismus war das Ziel der Verfasser von Sacrosanctum Concilium

Als weitere hochinteressante Aussagen enthält der Vortrag durchaus begründet erscheinende Ansätze zur Ehrenrettung von Vertretern der liturgischen Bewegung der Zwischenkriegszeit wie Romano Guardini, Odo Casel oder Pius Parsch. Sie werden oft von den Propagandisten der Liturgiezerstörung als Wegbereiter und geistige Vorfahren in Anspruch genommen und von den Verteidigern der Liturgie der Kirche dann auch oft für solche gehalten. Schrems weist überzeugend darauf hin, daß es sich bei diesen und den meisten anderen Vertretern der Liturgischen Bewegung um alles andere als Revolutionäre handelt. Es waren fromme und liturgisch hochgebildete Männer, die früh den Spalt erkannten, der sich zwischen der überlieferten Liturgie und dem Frömmigkeitsempfinden der Moderne öffnete. Nicht alles, was sie vorschlugen, um dem entgegenzuwirken, erscheint in der Rückschau als sinnvoll. Aber es kann keinen Zweifel daran geben, daß sie die Aufgabe von der richtigen Seite her angehen wollten: Es ging ihnen nicht darum, die Liturgie der „modernen Lebenswelt“ anzupassen, sondern sie wollten die Bewohner dieser Lebenswelt darin unterstützen, in den liturgischen Raum einzutreten.

Den Vortrag von Wolfgang Schrems mit einer Länge von 32 Minuten kann man hier anschauen.

Mein Erbe gefällt mir wohl

Bild: Michael HesemannDer folgende Text ist die vollständige Übersetzung eines Artikels von Prof. Peter Kwasniewski, der am 30. April auf New Liturgical Movement erschienen ist. Die Abbildung zeigt den Santo Caliz von Valencia, in dem der von Michael Hesemann zusammengefassten Überlieferung nach der aus Achat geschnittene Becher des Abendmahls aufbewahrt ist.

Mein Erbe gefällt mir wohl – Dank für die liturgische Vorsehung

Fortschrittliche Liturgiewissenschaftler – also bis auf ein paar Ausnahmen das gesamte liturgiewissenschaftliche Establishment auf dem 2. Vatikanischen Konzil und danach – begehen in ihrem Denken anscheinend einen ganz merkwürdigen grundlegenden Fehler, der ganz nahe bei den Fehlern liegt, die man bei den modernen Bibelkritikern findet.

Wenn Liturgiewissenschaftler sich in die Geschichte der Riten vertiefen, entdecken sie jede Menge Veränderung, Entwicklung, Verschiedenheit und anscheinend zufällige Elemente, etwa: „Es weiß doch jeder, daß Karl der Große letztlich dafür verantwortlich ist, daß der römische Ritus die Gallikanische Liturgie ablöste und dabei viele von dessen Elementen aufnahm“. So weit, so gut. Doch dann ziehen sie eine unbegründete Folgerung: Abgesehen vom Postulat eines „Goldenen Zeitalters“ zur Zeit der Apostel schulden wir den liturgischen Riten aus späteren Stadien ihrer Entwicklung keinerlei Ehrfurcht oder Anerkennung. Da also mittelalterliche und barocke Züge der römischen Liturgie auf historischen Entwicklungen beruhen, sehen sie diese als legitime Objekte der „Bereinigung“ durch die Experten, die schließlich besser wissen, was unseren gegenwärtigen historischen Bedingungen entspricht.

Diese Denkweise offenbart einen Mangel an metaphysischer und theologischer Gesamtschau davon, wie die göttliche Vorsehung wirkt und die Dinge nicht nur im Großen, sondern auch in den Einzelheiten leitet. Für uns hienieden mit unserem schwachen und begrenzten Verständnis von den Zusammenhängen ist nur die Zufälligkeit sichtbar – aber in den Augen Gottes gibt es keine Zufälle. Er sieht und bewirkt alles. Ohne einen angemessenen Begriff von Vorsehung und ohne Vertrauen darauf sind wir leicht geneigt, in die Sünde zu verfallen, die Früchte einer organischen liturgischen Entwicklung so zu beurteilen und zu verwerfen, als ob wir Modernen unseren Vorvätern überlegen wären. Die Grundannahme christlichen Geschichtsverständnisses ist allerdings, daß unsere Vorväter weiser waren als wir und daß es uns zukommt, das Überlieferte anzunehmen und anzueignen, so weit wir überhaupt in der Lage sind, dem zu entsprechen.

So verfehlt das Denken der Liturgiewissenschaftler die spirituelle Grundhaltung, die wir gegenüber unserem Erbe an den Tag legen sollten, nämlich gegenüber dem, was uns „als Los zugefallen“ ist. Der Psalmist gibt das in vollendeter Form wieder: Funes ceciderunt mihi in praeclaris; etenim haereditas mea praeclara est mihi  - Die Messchnur fiel mir auf liebliches Land, ja, mein Erbe gefällt mir wohl. (15,6) Der Sinn des Verses ist, daß das, was Gott seinem Volk in seiner Väterlichen Fürsorge zugeteilt hat, das wahre und rechte ist, es ist Zeugnis seiner Weisheit. Was uns als Erbe zugefallen ist, sollte zu unserem Wohlgefallen sein und unterliegt nicht unserer Beurteilung oder gar Geringschätzung.

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