Mythen der Reform
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- 06. Februar 2019
Die Liturgiereformen des vergangenen Jahrhunderts, die wir in diesem traurigen Jubiläumsjahr in lockerer Folge vorstellen wollen, waren stets begleitet von angeblich wissenschaftlich belegten Leitsätzen. Sie sollten dazu dienen, dem, was sich einzelne oder ganze Gruppen von Reformen in den Kopf gesetzt hatten, den Anstrich von „objektiven Erkenntnissen“ oder gar „wissenschaftlich begründeter Notwendigkeiten“ zu verleihen. Viele dieser Leitsätze haben sich inzwischen als Mythen erwiesen. Neben den eigentlichen Reformschritten, von denen wir die ersten noch unter Pius XII. erfolgten bereits kurz benannt hatten, sollen hier auch solche zu ihrer Begründung verbreiteten Mythen in lockerer Folge zur Sprache kommen. Das Angebot ist reichlich, eine kleine Auswahl, unsortiert, gibt einen ersten Eindruck:
- Nur das volle Textverständnis ermöglicht die andächtige Mitfeier – daher Volkssprache.
- Die „Liturgie der Katakomben“ ist die eigentlich Grundform – was nachher kam, sind Wucherungen und Entstellungen
- Das 2. Hochgebet ist der Kanon des Hippolytus aus dem 3. Jahrhundert.
- Wer bei der hl. Messe den Rosenkranz betet, verpasst die „richtige“ Teilnahme.
- Die Urkirche feierte die Eucharistie an einem den Gläubigen zugewandten Altar.
- „Meßandachten“ versperren den Zugang zum eigentlichen Geschehen der Meßfeier.
- „Participatio actuosa“ bedeutet „Aktive Teilnahme“.
- Für Texte aus der hl. Schrift muß man den „hebräischen Urtext“ zu Grunde legen.
- Die Ministranten sind Stellvertreter der mitfeiernden Gemeinde.
In ihrer Gesamtheit wurden diese von den Reformen immer wieder vorgetragenen Leitsätze seinerzeit fast von niemandem angezweifelt – zumindest nicht bei den Theologen, den Ausbildern in den Priesterseminaren und auch bei den „engagierten Laien“ nicht. Dieser Umstand macht verständlich, daß die Reformen sich so schnell und fast ohne Widerspruch in der Breite durchsetzen konnten. Und die Tatsache, daß diese Leitsätze der Reform größtenteils liturgiegeschichtlich unhaltbar und „pastoralliturgisch“ verfehlt waren macht verständlich, daß die so leicht durchgesetzte Reform sämtliche ihrer proklamierten Ziele verfehlt hat.
Liturgiereform unter Pius XII.
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- 04. Februar 2019
Die große Liturgiereform des 20. Jahrhunderts nahm ihren offiziellen Anfang im Jahr 1945. Am 24. März dieses Jahres – also noch vor dem Ende des 2. Weltkriegs in Europa – erließ Papst Pius XII. das Motu Proprio „In Cotidianis Precibus“, das den Gebrauch einer neuen lateinischen Psalmenübersetzung für das Breviergebet erlaubte - nicht vorschrieb. Dazu in einem späteren Beitrag mehr.
Im November 1947 veröffentlichte er die Enzyklika Mediator Dei, in der er einerseits die überlieferte Lehre der Kirche zu Messopfer und Priestertum in vollem Umfang bekräftigte, andererseits aber auch die Notwendigkeit von liturgischen Reformen anerkannte. Dabei versuchte er, sowohl denen, die sich praktisch gegen jede Veränderung an der bestehenden Liturgie wandten, als auch denen, die weitergehende Reformen verlangten, eine gemeinsame Plattform zu bieten. Das erschien damals durchaus möglich, da selbst die am weitesten gehenden Forderungen sich aus heutiger Sicht mehr als bescheiden darstellten.
Am 28. Mai 1948 setzte Papst Pius XII.eine päpstliche Kommission für die Liturgiereform ein, die später allgemein als Commissio Piana bezeichnet wurde. Sie umfasste zunächst nur 8 Mitglieder und war der Ritenkongregation zugeordnet. Deren Präfekt Kardinal Micara übernahm die Kommissionsleitung, Sekretär wurde der damals 36jährige Vincentianerpater und Liturgiedozent Annibale Bugnini. Nach Auskunft seines Biographen Yves Chiron übernahm Bugnini zwar mit seinen Kenntnissen und seinem Fleiß einen bedeutenden Teil der Alltagsarbeit für die Kommission, hatte in dieser Phase aber noch keinen größeren inhaltlichen Einfluß auf die Entwicklungen. Die Einrichtung der Kommission wurde nicht öffentlich bekannt gegeben, und ihre Arbeit erfolgte unter völliger Geheimhaltung – ein Charakteristikum der Reformarbeiten in diesem Pontifikat.
Bis zum Dezember des Jahres 1948 erarbeitete die Kommission mit ihrer Memoria sulla Riforma liturgica ein Grundsatzpapier – heute würde man von einer „Roadmap“ sprechen – das auf fast 400 Seiten die Gegenstände und Prinzipien der für notwendig gehaltenen Reformen festlegte. Das Dokument war nicht zur Veröffentlichung bestimmt und wurde erst 2003 einem größeren Kreis bekannt.
In den 10 Jahren bis zum Tod von Papst Pius XII. im Oktober 1958 konnte die Kommission nur einen Teil ihrer in der Memoria angesprochenen Vorhaben umsetzen. Die wichtigsten darunter waren:
Revolution und Liturgie
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- 01. Februar 2019
Wenn als Grund für die Notwendigkeit von Reformen der Liturgie der beklagenswerte Stand des liturgischen Lebens im 19. Jahrhundert angeführt wird, ist das kaum von der Hand zu weisen. Für viele Gläubige war die stille Messe oder ein aus dieser abgeleitetes „gesungenes Amt“ für den Sonntag die einzige Form der Messe, die sie jemals erlebten. Da kann es nicht wundern, daß sie sich – im günstigeren Fall – privaten Frömmigkeitsübungen wie dem oft kritisierten Rosenkranzgebet zuwandten. Selten wird nach den historischen Bedingungen gefragt, die diese formale und inhaltliche Verarmung des liturgischen Lebens hervorgebracht haben.
Denn um eine Verarmung handelt es sich. Bis weit in das 18. Jahrhundert hinein war das liturgische Leben und die Teilnahme des gläubigen Volkes weitaus reichhaltiger, als das heute bewußt ist – wenn auch der Reichtum der mittelalterlichen Liturgie schon seit Anbruch der Neuzeit vielerorts im Rückgang begriffen war. Dennoch muß man (mindestens) bei der spätmittelalterlichen Liturgie ansetzen, um ermessen zu können, wie eine wahrhafte „Volksliturgie“ aussehen kann – und was seitdem verloren gegangen ist.
Diese Zeit kannte noch keine Trennung zwischen Leben und Arbeit, Natur und Übernatur, wie sie heute selbstverständlich ist. Der Tag begann mit dem Sonnenaufgang und endete mit dem Sonnenuntergang – im Sommer war er 16 Stunden lang, im Winter nur 8, aber was machte das schon, wenn man keine Uhr hatte. Seit dem 14. Jahrhundert wurde der Tag durch das Angelus-Läuten am Morgen und am Abend strukturiert, später kam noch die Mittagsglocke dazu – und jeder, der die Glocke hörte, sah sich aufgefordert, den Angelus oder ein Gesetz des Rosenkranzes zu beten. Wie der Tag, so war auch das Jahr durch Gottesdienste gegliedert, und beileibe nicht nur durch den Sonntag. Es gab noch einmal mindestens ebenso viele Feiertage, an denen nicht gearbeitet wurde, und an denen jeder zur Teilnahme am Gottesdienst aufgefordert war – und zumindest aus Gewohnheit oder aufgrund familiären/sozialen Drucks auch tatsächlich teilnahm.
Doch solchen Druck brauchte es kaum - was waren das oft für Gottesdienste!
Liturgiereform - Ziele und Resultate
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- 31. Januar 2019
Angesichts der faulen Früchte von 50 Jahre Liturgiereform stellt sich heute unabweisbar die Frage: War denn überhaupt eine Reform des öffentlichen Kultus der Kirche notwendig? Und wenn ja, welche? Die Schriften der Liturgischen Bewegung bis in die 50er Jahre artikulieren auf vielfache Weise ein Ungenügen an der liturgischen Praxis in den Gemeinden – ein einheitliches Reformkonzept enthalten sie noch nicht einmal in Ansätzen. Wenn es überhaupt etwas gibt, in dem sie weitgehend übereinstimmen, dann ist das die Absicht, den Kenntnisstand der Gläubigen zu Inhalt und Bedeutung der hl. Messe zu verbessern, um ihnen der Zugang zu den dort gebotenen Reichtümern zu erleichtern. Das aber war bei weitem keine Erfindung der liturgischen Bewegung, sondern spätestens seit Martin von Cochems um 1695 verfasster „Meßerklärung“ die Grundlage aller katechetischen Bemühungen. Stets ging es darum, die Menschen, ihr Wissen, ihre Haltung, ihre Frömmigkeit, zu verändern und näher an die Liturgie heranzubringen – die Liturgie selbst wurde im wesentlichen als vorgegeben und nur in großen historischen Zusammenhängen wandelbar wahrgenommen.
Genau hier bahnte sich schon vor dem zweiten Weltkrieg ein entscheidender Wechsel der Perspektive an, der dann nach dem Krieg 1956 durch den „Ersten Internationalen Pastoralliturgischen Kongress“ von Assisi auf eine griffige Formel gebracht wurde: „Erneuerung der Liturgie aus dem Geiste der Seelsorge“. Als das Vorgegebene, zumindest jedoch als Ausgangspunkt, erschien nun – auch wenn das damals noch nicht so formuliert wurde – die „Lebenswelt“ und das daraus abgeleitete Bewußtsein des Menschen der Gegenwart. Das zu Verändernde war nun die Liturgie – und damit war, hatte man erst einmal ein Auseinanderfallen von Bewußtsseinslage der Gläubigen und den Vollzügen des Gottesdienstes festgestellt, eine Liturgiereform unumgänglich.
Es wäre sicher eine interessante Aufgabe, diesen Perspektivwechsel im einzelnen nachzuzeichnen – das wäre Aufgabe einer um die Klärung ihrer eigenen Voraussetzungen bemühten Liturgiewissenschaft und kann hier in gar keiner Weise angegangen werden. Aber wir können uns einzelne Beispiel herausgreifen – etwa anhand von Hinweisen prominenter und wirkunmächtiger Vertreter der „Liturgischen Bewegung“ Also etwa bei Pius Parsch in seiner 1931 unter dem Titel „Liturgische Erneuerung“ herausgegebene Sammlung eigener Aufsätze zum Thema.
Grundsätzlich sieht sich Parsch noch in der traditionellen Form „liturgischer Unterweisung“ verankert, wenn er schreibt: „Geist und Leben der Liturgie müssen erfaßt und erarbeitet werden; das ist die liturgische Erneuerung“.
NO-Illusionen: Flexibilität
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- 12. Januar 2019
Am 9. Januar haben wir hier in der Reaktion auf einen Artikel von Fr. Longnecker, in dem er vermeintliche Vorzüge des Novus Ordo darstellte, sein Argument zur „Zugänglichkeit“ untersucht. Als nächster Punkt soll es hier um die „Flexibilität“ gehen, die Longnecker in Nr. 2 und 3 seiner Liste behandelt: Alles geht und das überall: Latein oder Volkssprache, Gregorianik und Kitsch, am Strand, beim Manöver, im Gefängnis.
Das mag sein - vor einiger Zeit waren sogar Bilder von einer „Eucharistiefeier“ zu sehen, die ein dem Geist des NO erlegener Priester für die Mitglieder eines Schwimmvereins am Swimmingpool gestaltet hat - blasphemisches Litutainment, wenn uns die Wortschöpfung gestattet ist. Von der frivolen Ortswahl einmal abgesehen, können wir hier keinen Vorteil des NO erkennen, der über die historisch vielfach belegten Möglichkeiten der überlieferten Liturgie hinausginge, die Messe unter allen möglichen und unmöglichen von der Not erzwungenen Umständen zu feiern. Wo wurden nicht alles würdige Messen zelebriert: Im Schützengraben, im Konzentrationslager, im Gefängnis, im Flüchtlingstrek... - und es war immer die selbe Messe nach dem selben Messbuch, zugegebener maßen dann meistens ohne Hochaltar oder Weihrauch, aber sonst mit allem, was zur Messfeier gebraucht wird. Alle Teilehmer sollten sehen und wiedererkennen können, was da stattfand. Man glaubt ja gar nicht, auf wie wenig Raum sich das, was man dazu braucht, zusammenfalten läßt.
Gegen die von Longnecker ins Feld geführte Möglichkeit, die Liturgie den musikalischen Fähigkeiten oder gar dem Geschmack der Mitfeiernden anzupassen, haben wir den gleichen Einwand wie gegen die von ihm zuvor herausgestrichene „Zugänglichkeit“: Es geht in der Liturgie nicht darum, die heilige Handlung so auf die so zum „Publikum“ gemachten Mitfeiernden zuzuschneiden, daß sie Teil ihres Alltags wird, sondern darum, die Gläubigen hinzuführen zu der hl. Messe, die immer die selbe ist – mit und ohne Weihrauch.
Flexibilität des Gottesdienstes hinsichtlich der äußeren Umstände – das war und ist immer eine Selbstverständlichkeit. Flexibilität als liturgisches Prinzip – das ist ein innerer Widerspruch und ein Einfalltor für alle möglichen Mißbräuche, die den Gottesdienst zum Menschendienst werden lassen.