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Von liturgischen Experimenten zum Sittenverfall

Kardinal Raimond Burke hat der amerikanischen Website LifeSiteNews vor einigen Wochen ein Interview gegeben, das in 14 Punkten die ganze herkömmliche Lehre der Kirche gegenüber der in den entwickelten Industriestaaten populären Kultur des Todes zum Ausdruck bringt. Es rückt erst jetzt durch Zitate auf anderen Websites in unser Blickfeld. Zur Erklärung dessen, daß Unkultur und Unmoral innerhalb weniger Jahrzehnte die Vorherrschaft im öffentlichen Diskurs und über die Gesetzgebung übernehmen konnte, führte der Kardinal aus:

Die Kräfte der Säkularisierung waren und sind sehr mächtig, und sie werden vom größeren Teil der Massenmedien unterstützt. Seit mehreren Jahrzehnten wird in den Vereinigten Staaten eine mit schweren Mängeln behaftete Katechese praktiziert, die Erwachsenen und jungen Leuten keine ausreichende Hilfe zur Verteidigung der Wahrheiten des moralischen Gesetzes an die Hand gibt. Dazu kommt die Tendenz, daß die Kirche sich ängstlich hinsichtlich ihrer feierlichen Pflicht zurückhält, die Wahrheit im öffentlichen Raum zu verteidigen. Dabei stützt sie sich auf ein irriges Verständnis der "Nichteinmischungsvorgabe" in der amerikanischen Verfassung. Doch diese Vorgabe verbietet lediglich die Errichtung einer regierungsamtlichen Religion oder einer Staatsreligion in den USA, aber sie verbietet es der Kirche nicht, sich öffentlich für die Wahrheit auszusprechen.“

Auf die abschließend gestellte Frage,  auf welche Weise der Gottesdienst dazu beitragen könne, die Gläubigen zur Verteidigung des Lebens zu befähigen, führte der Kardinal aus:

Nach der altüberlieferten Einsicht der Kirche steht das Gesetz des Gottesdienstes in tiefer innerer Verbindung zum Gesetz des Glaubens und dem des praktischen Lebens. Christus tritt in unsere Mitte durch die Heilige Liturgie, ganz besonders durch die Sakramente der allerheiligsten Eucharistie und der Buße, so daß er unser Herz von Sünden reinigt und durch die Ausgießung des heiligen Geistes mit seiner eigenen Liebe entzündet. Nur wenn wir ein starkes Bewußtsein von der Realität der Begegnung mit Christus in der Heiligen Liturgie haben, werden wir die Wahrheiten des Glaubens und des geordneten Lebens und ihre Bedeutung für unser alltägliches Leben erkennen. Diese Erkenntnis wird genährt, wenn wir die Heilige Liturgie in der Weise feiern, daß wir unseren Blick fest auf Christus und nicht auf uns selbst richten. Es sollte uns nicht überraschen, daß die Epoche des nachkonziliaren Herumexperimentierens mit der Liturgie, die mit so zahlreichen liturgischen Missbräuchen gekennzeichnet ist, mit einem Verlust des Glaubens und moralischem Niedergang einhergeht. Wenn man die Heilige Liturgie als eine rein menschliche Tätigkeit, eine menschliche Erfindung, ansieht, vermittelt sie keine wahrhafte Gemeinschaft mit Gott und kann dann auch den Glauben und seine Bewährung im Alltagsleben nicht fördern.“

Hier noch einmal der Link zum ganzen überaus lesenswerten Interview, das sich durch eine selten gewordene klare Sprache und un-verschämte Bereitschaft zur Aussage von Grundtatsachen des katholischen Glaubenslebens auszeichnet.

Liturgie und Zeitgeschehen

Vom „ohne den Sonntag können wir nicht leben“ der Märtyrer von Abitene im Jahr 304 bis zur Liturgie als „Gipfel, dem das Tun der Kirche zustrebt und gleichzeitig Quelle all ihrer Kraft“ in der Liturgiekonstitution von 1963; vom „dem Gottesdienst soll nichts vorgezogen werden“ der Benediktsregel bis zum „Summorum pontificum cura“ von Papst Benedikt, das der Wahlspruch dieser Website geworden ist, gab es eigentlich nie einen Zweifel: Die Liturgie als öffentlicher Kultus und Ausgangsort des Handelns der göttlichen Gnade steht im Zentrum des Lebens der Kirche. Seit einiger Zeit ist davon nicht mehr viel die Rede, und selbst im Petersdom bemißt sich die Dauer liturgischer Akte neuerdings nach der zumutbaren Übertragungsbereitschaft der Medien und der vermuteten Aufnahmebereitschaft des p.p. Publikums, bevor es zum wohlverdienten Mittagstisch entlassen wird.

In dieser Situation könnte man auf den Gedanken kommen, sich mehr den Themen zuzuwenden, die statt der Liturgie in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken. Einige davon wären es gewiss wert: Neuschaffung vatikanischer Gremien und Verfahrensweisen wie am Fließband, Diversifizierung des Lehramtes in Zweige unterschiedlicher Autorschaft und Kommunikationswege, Mehr-Päpste-Rituale, Beteiligung am Ratespiel „was hat er denn jetzt wieder gemeint?“ usw. usf.. Trotzdem wollen wir, soweit möglich, dieser Versuchung widerstehen. Jedes Nachgeben in dieser Richtung würde bedeuten, die Liturgie auch hier aus dem Zentrum geraten zu lassen.

Um andererseits zu signalisieren, daß auch Summorum-Pontificum wahrnimmt, was da alles geschieht, und natürlich auch, um Positionen zu verbreiten, die der eine oder andere sonst  vielleicht übersehen würde, gibt es in der rechten Spalte die Rubrik „Anderswo gelesen“. Die Links dort sind ausdrücklich unkommentiert - eine Meinung dazu muß man sich also schon selber machen. Auf diese Weise vom Tagesgetümmel entlastet, soll sich Summorum-Pontificum künftig noch stärker auf liturgische Themen konzentrieren - auch wenn deren Aktualität gerade nicht unmittelbar ins Auge fällt.

Der ganz normale Wahnsinn

'Gewaltlose' Gegendemonstranten verdecken die Schilder von Pro-Life-AktivistenDie Idee, daß Personen gleichen Geschlechts im Standesamt und mittlerweile auch vielen Kirchen eine „Ehe“ eingehen könnten, hätte vor 10 Jahren selbst bei den meisten Menschen, die homosexuelle Neigungen haben und praktizieren, verwundertes Kopfschütteln hervorgerufen. Heute muß im „freien Westen“, wer derlei nicht für eine überaus vortreffliche Einrichtung halten mag, mit umfassender gesellschaftlicher Ausgrenzung und wirtschaftlichem Ruin rechnen. Eine Gesellschaft, die den Glauben an Gott und die Übernatur verloren hat, schafft sich eine Ersatzreligion mit unerhörten Dogmen und zeigt sich entschlossen, diese bis aufs Blut zu verteidigen. 

Zur Erklärung dieses in seiner Schnelligkeit historisch einmaligen Umschwungs kursieren bei denen, die ihn für verderblich halten, unterschiedliche Modelle. Oft sind es eher schlichte Verschwörungstheorien - diese gehen weit am Kern der Sache vorbei. Dem kommen schon die Theorien näher, die auf die Dynamik allumfassender Emanzipationsansprüche verweisen: Dem modernen Geist des Westens ist jede vorgegebene Grenze unakzeptierbar. Nicht nur Einschränkungen, die auf eine Übernatur verweisen, sondern allem, was aus der Natur kommt und so die Willkür einschränkt, gilt auch im vermeintlich „ökologischen“ Zeitalter offener Hass. Die Verklärung der „Homo-Ehe“ zum Freiheits- und Gerechtigkeitssymbol erfährt dadurch mächtigen Auftrieb: „Non serviam“.

Das erklärt aber noch nicht die Geschwindigkeit und die Breite des Paradigmenwechsels, der, wie es scheint, von buchstäblichen allen gesellschaftlichen Kräften nach kurzer Bedenkzeit akzeptiert und zur eigenen Herzenssache gemacht worden ist. Die bisher beste Erklärung dafür fanden wir im Blog von Joseph Shaw, dem hier schon des öfteren zitierten Vorsitzenden der Latin Mass Society von England, der unter der Überschrift The Eich affair: why conservatives are wrong eine bemerkenswerte Abhandlung veröffentlicht hat. Im Zentrum seiner Analyse steht die Überlegung, daß das Freiheits- und Gerechtigkeitspathos der Kampagne tiefster Ausdruck eines „liberalen“ Denkens ist, das den „pursuit of happiness“ zum höchsten und nicht mehr hinterfragbaren Wert erhoben hat. Jedes Streben in dieser Richtung, das nicht unmittelbar und nachweisbar das entsprechende Streben anderer verletzt, ist berechtigt, ja sakrosankt - und jeder Versuch, dem unter Berufung auf andere Werte Grenzen aufzuzeigen oder gar aufzuerlegen, ist dann ein Angriff auf die Grundlage des „Contrat social“, dem mit allen Mitteln zu begegnen ist. Wer sich - wie die von Shaw im Titel seines Essays angesprochenen „Konservativen“ - dem unter Berufung auf Werte wie „Meinungsfreiheit“ widersetzen will, hat schon verloren: Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit!

Soweit in 10 Zeilen die Summe dessen, was Shaw ausführlich und mit Beispielen aus dem wirklichen Leben darlegt. Die vollständige Lektüre wird dringend empfohlen - und wenn sich daraus unerwünschte Folgerungen hinsichtlich Leben und Pastoral einer Kirche ergeben, die trotz Benedikts Warnung vor der „Diktatur des Relativismus“ immer noch dazu neigt, die moderne Gesellschaft als im Prinzip wohlgesonnenen Partner ihrer Mission zu betrachten, sollte man jedenfalls nicht den Überbringer der Botschaft haftbar machen.

Das Messopfer - was die Kirche glaubt

Wie bei allen Konzilien vor dem zweiten Vatikanum bestehen die wesentlichen Dokumente des Konzils von Trient aus zwei unterschiedlichen Textarten: Beschlüssen mit allgemeinen Ausführungen und den sogenannten Canones, in denen die Kernpunkte der Lehre in knapper Form zusammengefasst sind. Dabei waren die Verfasser darum bemüht, aktuelle Streit- und Zweifelsfragen aufzugreifen und zu beantworten. Außerdem haben sie größten Wert darauf gelegt, mehrdeutige, missverständliche und vom Willen zum Formelkompromiss geprägte Formulierungen zu vermeiden. In dieser Hinsicht bleibt das 2. Vatikanum hinter den Vorgängern zurück: Entsprechend seinem „pastoralen“ Selbstverständnis hat es keine Canones formuliert, und in den oft umständlich formulierten allgemeinen Ausführungen ist an vielen Stellen das Bestreben erkennbar, aktuelle Streitfragen zu überspielen und mit Formelkompromissen zu überdecken.

Die Folge sind scheinbare oder auch tatsächliche Widersprüche, deren Existenz alleine daraus hervorgeht, daß viele Passagen im Lauf der vergangenen Jahrzehnte von verschiedenen Theologenfraktionen extrem widersprüchlich gedeutet wurden. Das macht es auch denen schwer, „die Lehren des zweiten Vatikanums“ zu bekennen, die den besten Willen dazu mitbringen.

In dieser Situation bietet der Rückgriff auf die präzise formulierten Canones früherer Konzilien, insbesondere des Reformkonzils von Trient, eine große Hilfe, zumal das II. Vatikanum nicht nur mehrfach betont, keine neuen Lehren verkünden zu wollen, sondern auch immer wieder Kernpunkte von Trient zitiert. Eine Auslegung seiner Dokumente, die klaren Lehren des Tridentinums widerspräche, ist daher unzulässig. Wo Aussagen des 2. Vatikanums unklar erscheinen - also überall da, wo öffentlich Aussagen des Konzils unterschiedlich gedeutet werden - geben die Canones eindeutige Orientierung. Wo es keine Canones gibt, müssen offensichtlich offene Fragen als weiterhin offen gelten.

Zum vollen Text der Canones zum hl. Messopfer

Liturgiereform und Kirchenkrise II

Der Artikel von Nicholas Postgate, den wir hier auszugsweise wiedergegeben haben und dessen volle Lektüre wir sehr empfehlen, stellt zwei Hauptfragen:

  • Wie weit kann sich die Liturgiereform von 1969 auf das 2. vatikanische Konzil berufen bzw. wieweit reicht ihre Legitimität?
    und - diese Frage wird in dem Auszug nur zum Teil aufgegriffen -
  • was bedeutet es eigentlich, daß jeder sehende Mensch den Niedergang der Kirche in der Nachkonzilszeit mit Händen greifen kann, während hohe und höchste Würdenträger unverdrossen die angeblich so glänzenden Erfolge des Konzils feiern?

Die erste Frage wird gerne - ein aktuelles Beispiel bietet gerade ebenfalls auf NLM ein Artikel von Peter Kwasniewski - in dem Sinne beantwortet, daß die Liturgiereform eine bedauerliche Abweichung vom Willen der Konzilsväter allgemein und vom Wortlaut der Liturgiekonstitution insbesondere gewesen sei. Diese Ansicht ist sicher nicht ganz unbegründet. Aber kann sie erklären, wieso ein Papst diese „Abweichung" promulgierte und warum Tausende von Bischöfen und Hunderttausende von Priestern sie nicht nur widerspruchslos, sondern vielfach begeistert umsetzten - soweit sie sie nicht schon in „vorauseilendem Gehorsam" erfüllt und übererfüllt hatten? Kann eine „Abweichung vom eigentlich Gewollten" die Kraft entwickeln, die überlieferte Liturgie faktisch zu verbieten und selbst nach ihrer Rehabilitierung durch Papst Benedikt vielfach mit unverhohlener Wut zu verfolgen?

Natürlich nicht. Der ungeheure Impetus der Liturgiereform kommt nicht daher, daß sie von etwas eigentlich Gemeinten abweicht, sondern daß sie in vielem Potential aufweist, mit etwas Gemeintem übereinzustimmen: Mit der säkularistischen Grundströmung in den westlichen Industriegesellschaften, die schon vor dem Konzil auf vielfache Weise in der Kirche wirksam geworden ist und der sich auch die Konzilsväter vielfach nicht in der erforderlichen Eindeutigkeit entziehen konnten und wollten. Daraus erklärt sich die Durchschlagskraft, die alle „revolutionär" deutbaren Elemente der Konstitution entwickelten, während die ja ebenfalls vorhandenen im Sinne der Tradition deutbaren Elemente unter allgemeinem Beifall mißachtet wurden.Der Rekurs auf den Unterschied zwischen Texten und Absichten der Konzilsväter einerseits und der Wahrnehmung und Implementierung des Konzils und seiner Dokumente andererseits greift zu kurz – selbst da, wo solche Unterschiede durchaus vorhanden sind. Veränderung war gewollt oder zumindest akzeptiert – weniger in Hinblick auf bestimmte Ziele, sondern als leitendes Prinzip überhaupt.

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