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Von iustitia zu caritas?

Die Sommerferien gehen zu Ende, und auch die Hitzewelle der vergangenen Wochen verliert an Kraft. Umso heißer scheint demgegenüber die Auseinandersetzung um die für den Oktober angesagte „Familiensynode“ in Rom zu werden. Im vergangenen Jahr waren bereits mehrere hochrangige Prälaten mit dem Buch „In der Wahrheit Christi bleiben“ gegen die „Reform“bestrebungen der Synoden-Administration aufgetreten und hatten sich damit den Unwillen höchster Stellen Zugezogen. Jetzt bereiten jetzt elf Kardinäle vorwiegend aus Asien und Afrika eine der überlieferten und unveränderlichen Lehre der Kirche zu Ehe und Familie verpflichtete Publikation vor, die sich gegen das Verwirrspiel von „pastoralen Perspektiven“ und Anpassung an die „Lebenswirklichkeit“ richten soll. Gleichzeitig sammeln Unterstützer der überlieferten Lehre online Unterschriften für eine Petition an den Papst – die erste halbe Million ist schon beisammen. Unterdessen nutzen die Kasperiten in Theologie und Medien eine überaus selbstverständliche Bemerkung des Papstes, daß auch die Geschiedenen mit neuem Partner „nicht exkommuniziert“ seien, um daraus Unterstützung für ihre Forderung abzuleiten, „Wiederverheiratete“ zur Kommunion zuzulassen und überhaupt beliebige Änderungen von Lehre und Sakramentenordnung für zulässig zu erklären.

Bei alledem verstärkt sich der Eindruck, daß bis in die höchsten Ränge der Kirche hinein größte Unklarheit über Wesen und Inhalt der Sakramente – hier insbesondere das der Ehe, das der Eucharistie und das der Buße – besteht, und daß diese Unklarheit ganz wesentlich von der religiöse Praxis herrührt, die mit der Liturgiereform eingeführt wurde. Das greift weit über die Formen der neuen Liturgie hinaus – obwohl sich im oft konstatierten Übergang von der „vertikalen“ (auf die göttliche Transzendenz ausgerichteten) Grundorientierung des Gottesdienstes zu einer „horizontalen“ (auf die mitfeiernde Gemeinde konzentrierte) Ausrichtung bereits eine ganz wesentliches Element von Umorientierung ausmachen lässt. Diese Umorientierung entsteht freilich nicht erst mit der Liturgiereform, sondern sie hat ihre Wurzeln in der weit ins 20. Jahrhundert zurückreichenden Tendenz zur Verweltlichung aller religiösen Denk- und Ausdrucksformen.

Einer Untersuchung zur liturgischen Bewegung des evangelischen Theologen Walter Birnbaum, die in erster Auflage bereits 1926 erschienen ist und dann 1966 überarbeitet wurde, ist dazu eine höchst bemerkenswerte Beobachtung zu entnehmen. Birnbaum konstatiert für alle Richtungen der liturgischen Bewegung eine „Wendung in der Auffassung der Meßliturgie von der iustitia zur caritas“. Es ist demnach also die göttliche Gerechtigkeit, die nach einem Opfer zur Wiedergutmachung für die Sünde verlangt – und wo sich das Gewicht von der Gerechtigkeit zur Barmherzigkeit verschiebt, verliert folglich auch das Opfer seinen Stellenwert. So konnte Birnbaum bereits vor fast 90 Jahren als Grundzug der liturgischen Bewegung feststellen:

Das Leben nach der Liturgie stellt noch heute große Anforderungen, wie in ihrer Entstehungszeit. Es ist aber nicht so, wie man an der gegenwärtigen Frömmigkeit noch immer beobachten muß, als rechne man damit, daß auch der größte Teil der Christen im Zustand der Sünde lebe, aus dem man sich durch die Beichte und angefügte Kommunion nur von Zeit zu Zeit erhebe. Die Liturgie stellt uns wirklich in die communio sanctorum.“

Sollte diese lange vor Konzil und Liturgiereform gemachte Beobachtung Birnbaums zutreffen, hätte das tiefgreifende Auswirkungen auf die Einschätzung der historischen Rolle von liturgischer Bewegung und Liturgiereform. Der eigentliche „Sündenfall“ wäre dann weder eine oft vermutete „Radikalisierung“ von Teilen der liturgischen Bewegung in den 50er Jahren noch eine missglückte Implementierung der Liturgiereform Pauls VI., sondern ein grundstürzender theologischer Paradigmenwechsel unter dem Einfluss zunächst als solche schwer erkennbarer modernistischer Strömungen bereits seit den 20er Jahren.

Zum 8. Sonntag nach Pfingsten

Die Oration zum 8. Sonntag nach Pfingsten ist ein klassisches Beispiel für Inhalt und Stil der traditionellen Orationen des römischen Ritus:

Largire nobis, quæsumus domine, semper spiritum cogitandi, quæ recta sunt, propitius et agendi: ut, qui sine te esse non possumus, secundum te vivere valeamus.

Gewähre uns, Herr wir bitten Dich, stets den Geist der Erkenntnis dessen, was recht, geziemend und uns zu tun obliegt, damit wir, die wir ohne Dich nicht sein können, fähig werden, Dir gemäß zu leben. 

Hier wird, in hierarchischer Abstufung dargestellt, eine der tiefsten Einsichten des Christentums ausgedrückt: Wir können ohne Gott überhaupt nicht sein, doch auch um dieses Sein Gott gemäß zu gestalten, reicht es nicht, das Rechte tun zu wollen - wir brauchen auch den als Gottes Gnade gewährten Geist der Erkenntnis dessen, was recht ist.

Das Tagesgebet des „16. Sonntags im Jahreskreis der Leseordnung B“ ersetzt diesen Text durch einen anderen, der zwar in der Grundrichtung ähnlich erscheint, insgesamt gesehen jedoch bedeutende Veränderungen aufweist - in der offiziellen deutschen Fassung noch stärker als in der lateinischen:

Herr unser Gott, sieh gnädig auf alle, die du in deinen Dienst gerufen hast. Mache uns stark im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe, damit wir immer wachsam sind und auf dem Weg deiner Gebote bleiben.

Hier bittet die Gemeinde zwar noch darum, Gott möge ihr gnädig seine Gaben zukommen lassen, damit sie stets auf dem Weg seiner Gebote verbleibe. Der Gedanke, daß das Sein, das Leben selbst, nur in Gott seinen Grund hat, wird ebenso nicht mehr ausgesprochen wie die Einsicht, daß nur der von Gott zu erbittende „Geist der Erkenntnis“ uns dazu in Stand setzt, das zu erkennen, was den Weg der Gebote Gottes ausmacht. Und die Wendung vom „auf dem Weg bleiben“ läßt vermuten, daß die Beter sich jedenfalls schon auf diesem Wege sehen.

Vielleicht lassen sich vieler Erscheinungen in der Kirche in den letzten Jahrzehnten erst vor diesem Hintergrund verstehen: Daß die bloße Bekundung des Willens, auf dem rechten Weg zu sein, nicht genügt, sondern daß wir stets und vor allem anderen um den von Gott zu gewährenden Geist der Erkenntnis bitten müssen, um erst fähig zu werden, rechte von falschen Wegen zu unterscheiden.

445 Jahre „Quo primum“

Heute vor 445 Jahren, am 14. Juli 1570, erließ Papst Pius V. die Bulle Quo Primum, mit der er das nach dem Auftrag des Konzils von Trient revidierte Römische Messbuch für die ganze Kirche in Kraft setzte. Er verband das nicht, wie manchmal behauptet wird, mit einer „Abschaffung“ sämtlicher bis dahin gebrauchten Riten und Bücher. Ganz im Gegenteil bestätigte er ausdrücklich, daß Kirchen und Gemeinschaften, die „ununterbrochen einen mindestens 200 jährigen Ritus eingehalten haben", bei diesem traditionellen Gebrauch bleiben können - nicht müssen. Die reichlich pauschale 200-Jahres-Frist erklärt sich damit, daß der Papst - im großen Ganzen zutreffender Weise - der Ansicht war, daß diese Frist die Gewähr dafür böte, daß noch keine Irrtümer der Reformation oder ihrer Vorläufer in die betreffenden Riten eingedrungen waren. Denn das war - so wird es in Quo primum mehrfach ausdrücklich gesagt - das eigentliche Ziel der Reform: Die Widerherstellung eines von Irrtümern und Irrlehren gereinigten Zustandes - nicht etwa die Anpassung an ein gewandeltes Verständnis oder eine veränderte Gefühlslage der Gläubigen.

Pius V. bewehrte das neue Missale und seine Bulle mit starken Wendungen gegen künftige Veränderung und „setzte fest, daß diesem Unserem gerade herausgegebenen Missale niemals etwas hinzugefügt, weggenommen oder an ihm etwas verändert werden darf.“ Außerdem bestimmte er:„Auch kann das vorliegende Schreiben niemals widerrufen oder modifiziert werden. Es bleibt vielmehr im vollen Umfang und für immer rechtskräftig bestehen.“ Tatsächlich wurde die Bulle bis letztmalig 1962 auch jeder Neuauflage des Missales vorangestellt. Erst Paul VI. fühlte sich befugt, nicht nur das Messbuch grundstürzend umschreiben zu lassen, sondern auch Quo primum stillschweigend zu entsorgen.

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Tradition und Neuevangelisierung

Im letzten Absatz des Artikels zu „Acht Jahre Summorum-Pontificum“ war mehr im Nebensatz die Rede von der insbesondere im englischsprachigen Raum wachsenden Zahl von Veranstaltungen zur Vertiefung des Wissens über die traditionelle Liturgie. Hier einige Beispiele aus den letzten Wochen:

Die Sacra Liturgia USA veranstaltete einen viertägigen Kongress vom 1. - 4. Juni in New York. Einen zusammenfassenden Bericht gibt es auf der Website der SLUSA; Verweise zu einzelnen Vorträgen bringt die Facebook-Seite der Organisation. Die Veröffentlichung der wesentlichen Referate als Buch soll im kommenden Sommer erscheinen. 

Vom 29. Juni bis zum 4. Juli fand in Pittsburgh das XXV. Colloquium der Church Music Association of America statt. Quasi zur Vorbereitung gab es dazu noch einen besonderen Intensivkurs Gregorianik, der vom 23. bis 26. Juni stattfand. Beide Veranstaltungen  haben die überlieferte Liturgie nicht zum exklusiven Gegenstand, aber beide sind der Hermeneutik der Kontinuität verpflichtet und räumen der überlieferten Liturgie in ihren Gottesdiensten breiten Raum ein. Zahlreiche Berichte - auch in Form von Videos - zum Colloquium finden sich auf The Chant Café.

Im irischen Cork begann am 6. Juli die 8. internationale liturgische Konferenz FOTA. Einen Bericht vom Eröffnungstag zum Thema „Das Priestertum der Getauften“ bringt Gregory Dipippo auf New Liturgical Movement; dort auch Berichte von den weiteren Tagen und zahlreiche Photos von John Briody.

Vom 26. Juli bis zum 2. August veranstaltet der St. Catherine Trust in Verbindung mit der Latin Mass Society von England und Wales eine „Sommerschule“ für Kinder und Jugendliche zur Einführung in die überlieferte Lehre und Liturgie. Gleichzeitig wird für Erwachsene auch ein Intensivkurs Latein angeboten. Er richtet sich nicht ausschließlich, aber doch mit besonderem Nachdruck an Priester und Diakone, um ihnen die sprachlichen Voraussetzungen zur Feier der überlieferten Liturgie zu vermitteln.

All diesen und ähnlichen Initiativen ist gemeinsam, daß sie zwar in katholischem Einvernehmen mit den jeweiligen Diözesen stattfinden, jedoch in keiner Weise von deren finanzieller Unterstützung abhängig sind. Das stellt gelegentlich höhere Anforderungen an Teilnehmer und Sponsoren, verschafft den Organisatoren andererseits aber auch die Freiräume, ohne die eine der Überlieferung der Kirche verpflichtete Neuevangelisierung nicht denkbar erscheint. Ob Veranstaltungen wie die vom Erzbistum Berlin für den heutigen Freitag ausgesprochene Einladung an die Muslime zum Fastenbrechen dazu etwas beitragen können, ist doch sehr fraglich.

Acht Jahre Summorum Pontificum

Am 8. Jahrestag von Summorum Pontificum sind im Bereich der Tradition Elemente von Stagnation unübersehbar. Da tröstet es überhaupt nicht, wenn es anderswo immer deutlicher rückwärts geht – außer beim modernistischen Umbau der Kirche, der gerade in Deutschland von Jahr zu Jahr schneller vorangetrieben zu werden scheint. „Motus in fine velocior" zitierte Roberto de Mattei vor zwei Jahren ein altes Sprichwort, und man sieht im näheren Umkreis wenig, das man dem entgegensetzen könnte.

Allerdings muß man sich auch davor hüten, die mitteleuropäischen Verhältnisse und die in Deutschland ganz besonders zum Maßstab zu machen. Deutlich positiver verläuft die Entwicklung in den Vereinigten Staaten, wo eine ganze Reihe von Bischöfen um die Umsetzung von Summorum Pontificum bemüht sind und immer mehr Gläubige an Sonntagsmessen im überlieferten Ritus teilnehmen können – wenn sie das wollen. Auch aus England ist Erfreuliches zu berichten, gerade in den letzten Tagen wurde eine Kirche ganz offiziell der Petrusbruderschaft für die Zelebration und Sakramentenspendung im alten Ritus übertragen, und aus Italien vertriebene Franziskaner der Immakulata übernehmen im Bistum Portsmouth zum Herbst eine reguläre Pfarrei. In Italien hat demgegenüber der von der Ordenskongragation betriebene Feldzug gegen die FFI viele in den vergangenen Jahren angebotene „Alte Messen" wieder verschwinden lassen. In Frankreich herrschen wegen der starken Präsenz der Piusbruderschaft besondere Bedingungen, die es vielen Gläubigen deutlich erleichtern, an der alten Liturgie teilzunehmen – und es deren Gegnern erschweren, etwas dagegen zu unternehmen.

Für die Länder des deutschsprachigen Raumes verdienen drei Einzelereignisse der letzten Woche besondere Hervorhebung:

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  • Stationskirchen

    Die römischen Stationskirchen

    Kupferstich von Giusepppe Lauro aus dem Jahr 1599

    In der Fastenzeit 2013 haben wir zu jedem Tag die entsprechende Stationskirche kurz vorgestellt. Damit sind zwar alle gegenwärtigen Stationskirchen erfasst, aber nicht alle Tage mit einer Statio, von denen es auch etliche außerhalb der Fastenzeit gibt.

    Bei der Vorstellung der Stationskirchen orientierten wir uns im wesentlichen an „Die Stationskirchen des Missale Romanum“ von Johann Peter Kirch, Freiburg 1926. Zu Ergänzungen haben wir Hartmann Grisar „Das Missale im Licht römischer Stadtgeschichte“, Freiburg 1925, und Anton de Waals „Roma Sacra - Die ewige Stadt“ von 1905 in der Überarbeitung Johann Peter Kirchs von 1925 (Regensburg 1933) herangezogen. Daneben haben wir auch auf Informationen aus Internetquellen zurückgegriffen. Die Illustrationen stammen, soweit nicht anders angegeben, von eigenen Aufnahmen.

    Wie der gegenwertige Nachfolger de Waals und Kirchs als Direktor des römischen Instituts der Görres-Gesellschaft, Prof. Msgr. Stefan Heid, uns mitteilte ist diese älter Literatur insbesondere in Sachen der Datierungen vielfach überholt. Nach seinen Untersuchungen geht die Institution der Stationes nicht wesentlich vor die Zeit Gregors d. Großen zurück. Was natürlich nicht bedeutet, daß die Stationskirchen bzw. deren Vorgängerbauten nicht wesentlich älter sein können.

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